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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
Hören wir, was darüber der berühmte Alpinist Dr. Paul Güss-
feldt
sagt:

"Es wäre doch einseitig, wollte man nur von der zerstörenden
Kraft des Feuers reden, nicht von der wärmenden, nicht von
dem glänzenden Spiel, das die lodernden Flammen dem Auge
bieten. Wer das Feuer aus der Welt geschafft wissen will, der
Feuersbrünste wegen; wer den Weltverkehr verurtheilt, der
Schiffbrüche wegen; dem darf man allerdings keinen Vorwurf
machen, wenn er die grossen Unternehmungen im Hochgebirge
verurtheilt, der Unfälle wegen. Aber seine Moral ist die des
Philisters, der konsequent zu sein glaubt, wo er doch nur
engherzig ist; der helle Schein der grossen That ängstigt ihn,
weil er vor ihr seine eigene Kleinheit durch einen deutlich erkennbaren
Schatten wirft; Curven höherer Ordnung dürfen seine Kreise
nicht stören."

Wir verfechten unsere Sache mit um so grösserer Be-
geisterung, je grösser die Vorurtheile sind, die uns entgegen-
treten, je mehr wir gezwungen sind, den Kampf gegen Ver-
weichlichung, träge Genusssucht, Schlappheit und geistige Ver-
blödung aufzunehmen. Viele Wege führen zum gedeihlichen
Ziele, am schönsten aber der, der frei und hoch liegt! So lange
wir unserer Jugend nicht eine breite Brust, helle Augen und
elastische Glieder anerziehen, so lange sie nicht hellenisches Leben
erhellt, wird sie nicht frei sein, kein Held und Herold des warm-
blütigen Lebens.



Je ernster und eindrucksvoller die Lehren sind, die wir vom
Hochgebirge empfangen, desto mehr ist es auch unsere Pflicht,
auf Mittel zu sinnen, um diesen Gefahren zu begegnen. Diese
Mittel zur Bekämpfung jener Gefahren sind mehrfacher Art: sie
erstrecken sich auf unsere körperliche und geistige Eignung, auf
Urtheil und Erfahrung, auf das Erkennen und die Abwendung
der Gefahr, auf Bekleidung und Ausrüstung, und dies in Kürze
auf Grund der bisherigen Entwicklung der Alpinistik darzuthun,
sei unsere weitere Aufgabe.

Die Bekleidung, die der Bauer und Jäger im Gebirge trägt,
ist auch für den Touristen die beste und empfehlenswertheste.
Sie wird aus Rohstoffen angefertigt, die der Gebirgsbewohner
selbst erzeugt, und ist seit Jahrhunderten dieselbe. Schon Kaiser
Maximilian I., zu seiner Zeit der "kühnste Gemsjäger Tirols", giebt
in dem für seine fürstlichen Nachfolger verfassten "Haimlich Gejaidt

Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.
Hören wir, was darüber der berühmte Alpinist Dr. Paul Güss-
feldt
sagt:

„Es wäre doch einseitig, wollte man nur von der zerstörenden
Kraft des Feuers reden, nicht von der wärmenden, nicht von
dem glänzenden Spiel, das die lodernden Flammen dem Auge
bieten. Wer das Feuer aus der Welt geschafft wissen will, der
Feuersbrünste wegen; wer den Weltverkehr verurtheilt, der
Schiffbrüche wegen; dem darf man allerdings keinen Vorwurf
machen, wenn er die grossen Unternehmungen im Hochgebirge
verurtheilt, der Unfälle wegen. Aber seine Moral ist die des
Philisters, der konsequent zu sein glaubt, wo er doch nur
engherzig ist; der helle Schein der grossen That ängstigt ihn,
weil er vor ihr seine eigene Kleinheit durch einen deutlich erkennbaren
Schatten wirft; Curven höherer Ordnung dürfen seine Kreise
nicht stören.“

Wir verfechten unsere Sache mit um so grösserer Be-
geisterung, je grösser die Vorurtheile sind, die uns entgegen-
treten, je mehr wir gezwungen sind, den Kampf gegen Ver-
weichlichung, träge Genusssucht, Schlappheit und geistige Ver-
blödung aufzunehmen. Viele Wege führen zum gedeihlichen
Ziele, am schönsten aber der, der frei und hoch liegt! So lange
wir unserer Jugend nicht eine breite Brust, helle Augen und
elastische Glieder anerziehen, so lange sie nicht hellenisches Leben
erhellt, wird sie nicht frei sein, kein Held und Herold des warm-
blütigen Lebens.



Je ernster und eindrucksvoller die Lehren sind, die wir vom
Hochgebirge empfangen, desto mehr ist es auch unsere Pflicht,
auf Mittel zu sinnen, um diesen Gefahren zu begegnen. Diese
Mittel zur Bekämpfung jener Gefahren sind mehrfacher Art: sie
erstrecken sich auf unsere körperliche und geistige Eignung, auf
Urtheil und Erfahrung, auf das Erkennen und die Abwendung
der Gefahr, auf Bekleidung und Ausrüstung, und dies in Kürze
auf Grund der bisherigen Entwicklung der Alpinistik darzuthun,
sei unsere weitere Aufgabe.

Die Bekleidung, die der Bauer und Jäger im Gebirge trägt,
ist auch für den Touristen die beste und empfehlenswertheste.
Sie wird aus Rohstoffen angefertigt, die der Gebirgsbewohner
selbst erzeugt, und ist seit Jahrhunderten dieselbe. Schon Kaiser
Maximilian I., zu seiner Zeit der „kühnste Gemsjäger Tirols“, giebt
in dem für seine fürstlichen Nachfolger verfassten „Haimlich Gejaidt

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[119/0025] Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus. Hören wir, was darüber der berühmte Alpinist Dr. Paul Güss- feldt sagt: „Es wäre doch einseitig, wollte man nur von der zerstörenden Kraft des Feuers reden, nicht von der wärmenden, nicht von dem glänzenden Spiel, das die lodernden Flammen dem Auge bieten. Wer das Feuer aus der Welt geschafft wissen will, der Feuersbrünste wegen; wer den Weltverkehr verurtheilt, der Schiffbrüche wegen; dem darf man allerdings keinen Vorwurf machen, wenn er die grossen Unternehmungen im Hochgebirge verurtheilt, der Unfälle wegen. Aber seine Moral ist die des Philisters, der konsequent zu sein glaubt, wo er doch nur engherzig ist; der helle Schein der grossen That ängstigt ihn, weil er vor ihr seine eigene Kleinheit durch einen deutlich erkennbaren Schatten wirft; Curven höherer Ordnung dürfen seine Kreise nicht stören.“ Wir verfechten unsere Sache mit um so grösserer Be- geisterung, je grösser die Vorurtheile sind, die uns entgegen- treten, je mehr wir gezwungen sind, den Kampf gegen Ver- weichlichung, träge Genusssucht, Schlappheit und geistige Ver- blödung aufzunehmen. Viele Wege führen zum gedeihlichen Ziele, am schönsten aber der, der frei und hoch liegt! So lange wir unserer Jugend nicht eine breite Brust, helle Augen und elastische Glieder anerziehen, so lange sie nicht hellenisches Leben erhellt, wird sie nicht frei sein, kein Held und Herold des warm- blütigen Lebens. Je ernster und eindrucksvoller die Lehren sind, die wir vom Hochgebirge empfangen, desto mehr ist es auch unsere Pflicht, auf Mittel zu sinnen, um diesen Gefahren zu begegnen. Diese Mittel zur Bekämpfung jener Gefahren sind mehrfacher Art: sie erstrecken sich auf unsere körperliche und geistige Eignung, auf Urtheil und Erfahrung, auf das Erkennen und die Abwendung der Gefahr, auf Bekleidung und Ausrüstung, und dies in Kürze auf Grund der bisherigen Entwicklung der Alpinistik darzuthun, sei unsere weitere Aufgabe. Die Bekleidung, die der Bauer und Jäger im Gebirge trägt, ist auch für den Touristen die beste und empfehlenswertheste. Sie wird aus Rohstoffen angefertigt, die der Gebirgsbewohner selbst erzeugt, und ist seit Jahrhunderten dieselbe. Schon Kaiser Maximilian I., zu seiner Zeit der „kühnste Gemsjäger Tirols“, giebt in dem für seine fürstlichen Nachfolger verfassten „Haimlich Gejaidt

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/25>, abgerufen am 28.03.2024.