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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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existieren, sicher aber ist es, dass es hier eine unüberschreitbare
Grenze giebt.

Die Frage, ob nicht schon der Gaurisankar und andere
Hochgipfel des Himalaya diese Grenze überragen, dürfte wohl erst
in den nächsten Jahrhunderten gelöst werden. Die Herren Coxwell
und Glaisher wollen mit ihrem Luftballon eine Höhe von 11 000 m
erreicht haben. Diese Schätzung ist wahrscheinlich etwas zu hoch,
doch dürfte immerhin die erreichte Höhe die des Gaurisankar
(8840 m) überschreiten. Eine Gefahr bei Ballonfahrten liegt in
dem raschen Aufsteigen in dünnere Luftschichten. Die Herren
Croce-Spinelli, Sivel und Tissandier verweilten mit dem Ballon
durch zwei Stunden in einer Höhe von 7900 - 8500 m, sie fielen in
eine tiefe Ohnmacht, aus der nur Tissandier wieder erwachte.
Eine der wichtigsten Anforderungen, welche die Hochtouristik
an ihre Vertreter stellt, ist eine gute Orientierungsgabe. Der
Bergsteiger, der Herr wie der Führer, muss im Stande sein, sich
an der Hand einer Karte oder durch andere Mittel ein klares
Bild von der Gegend zu verschaffen. Manche Bergtour misslang
in Folge mangelnder Orientierung oder gestaltete sich zu einer
sehr gefährlichen und anstrengenden Unternehmung. Man orientiert
sich mit Hülfe des Kompasses, der Sonne und der Karte, aber
während es in der bewohnten Region meist leicht ist, über den
eigenen Standpunkt und über die Lage, Richtung und Entfernung
der sichtbaren Terraintheile Klarheit zu gewinnen, ändert sich das
im Hochgebirge bedeutend. Nicht immer ist die Karte so genau
gearbeitet, und der Maassstab von solcher Grösse, dass eine
genaue Anvisierung der Objekte möglich wäre, auch sind dieselben
nicht selten durch Vorlagen verdeckt. Der Bergsteiger wird daher
im Gebirge oft nach seiner angeborenen Orientierungsgabe zu
entscheiden haben, die aber nur durch die Praxis ausgebildet und
vervollkommnet wird.

Mit der Orientierung geht das Rekognoszieren Hand in Hand.
Lehrt uns die Orientierung die Kunst, uns in einer unbekannten
Gegend zurechtzufinden, so zeigt uns die Rekognoszierung die
Wege, die wir zu wandeln haben. Auch sie verlangt einen
geübten Blick, ein richtiges Urtheil und ein genaues Abwägen
der Kräfte. Bei vielen Bergen ist eine eigentliche Rekognoszierung
nicht nöthig, da die Routen bis ins Einzelne bekannt sind. Anders
aber liegen die Dinge in den weniger besuchten Berggebieten
oder im Hochgebirge, wo die Routen von dem Zustande der
Schnee- und Eisbedeckung abhängen. Zu einer sehr schwierigen

L. Purtscheller.
existieren, sicher aber ist es, dass es hier eine unüberschreitbare
Grenze giebt.

Die Frage, ob nicht schon der Gaurisankar und andere
Hochgipfel des Himalaya diese Grenze überragen, dürfte wohl erst
in den nächsten Jahrhunderten gelöst werden. Die Herren Coxwell
und Glaisher wollen mit ihrem Luftballon eine Höhe von 11 000 m
erreicht haben. Diese Schätzung ist wahrscheinlich etwas zu hoch,
doch dürfte immerhin die erreichte Höhe die des Gaurisankar
(8840 m) überschreiten. Eine Gefahr bei Ballonfahrten liegt in
dem raschen Aufsteigen in dünnere Luftschichten. Die Herren
Crocé-Spinelli, Sivel und Tissandier verweilten mit dem Ballon
durch zwei Stunden in einer Höhe von 7900 – 8500 m, sie fielen in
eine tiefe Ohnmacht, aus der nur Tissandier wieder erwachte.
Eine der wichtigsten Anforderungen, welche die Hochtouristik
an ihre Vertreter stellt, ist eine gute Orientierungsgabe. Der
Bergsteiger, der Herr wie der Führer, muss im Stande sein, sich
an der Hand einer Karte oder durch andere Mittel ein klares
Bild von der Gegend zu verschaffen. Manche Bergtour misslang
in Folge mangelnder Orientierung oder gestaltete sich zu einer
sehr gefährlichen und anstrengenden Unternehmung. Man orientiert
sich mit Hülfe des Kompasses, der Sonne und der Karte, aber
während es in der bewohnten Region meist leicht ist, über den
eigenen Standpunkt und über die Lage, Richtung und Entfernung
der sichtbaren Terraintheile Klarheit zu gewinnen, ändert sich das
im Hochgebirge bedeutend. Nicht immer ist die Karte so genau
gearbeitet, und der Maassstab von solcher Grösse, dass eine
genaue Anvisierung der Objekte möglich wäre, auch sind dieselben
nicht selten durch Vorlagen verdeckt. Der Bergsteiger wird daher
im Gebirge oft nach seiner angeborenen Orientierungsgabe zu
entscheiden haben, die aber nur durch die Praxis ausgebildet und
vervollkommnet wird.

Mit der Orientierung geht das Rekognoszieren Hand in Hand.
Lehrt uns die Orientierung die Kunst, uns in einer unbekannten
Gegend zurechtzufinden, so zeigt uns die Rekognoszierung die
Wege, die wir zu wandeln haben. Auch sie verlangt einen
geübten Blick, ein richtiges Urtheil und ein genaues Abwägen
der Kräfte. Bei vielen Bergen ist eine eigentliche Rekognoszierung
nicht nöthig, da die Routen bis ins Einzelne bekannt sind. Anders
aber liegen die Dinge in den weniger besuchten Berggebieten
oder im Hochgebirge, wo die Routen von dem Zustande der
Schnee- und Eisbedeckung abhängen. Zu einer sehr schwierigen

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[122/0028] L. Purtscheller. existieren, sicher aber ist es, dass es hier eine unüberschreitbare Grenze giebt. Die Frage, ob nicht schon der Gaurisankar und andere Hochgipfel des Himalaya diese Grenze überragen, dürfte wohl erst in den nächsten Jahrhunderten gelöst werden. Die Herren Coxwell und Glaisher wollen mit ihrem Luftballon eine Höhe von 11 000 m erreicht haben. Diese Schätzung ist wahrscheinlich etwas zu hoch, doch dürfte immerhin die erreichte Höhe die des Gaurisankar (8840 m) überschreiten. Eine Gefahr bei Ballonfahrten liegt in dem raschen Aufsteigen in dünnere Luftschichten. Die Herren Crocé-Spinelli, Sivel und Tissandier verweilten mit dem Ballon durch zwei Stunden in einer Höhe von 7900 – 8500 m, sie fielen in eine tiefe Ohnmacht, aus der nur Tissandier wieder erwachte. Eine der wichtigsten Anforderungen, welche die Hochtouristik an ihre Vertreter stellt, ist eine gute Orientierungsgabe. Der Bergsteiger, der Herr wie der Führer, muss im Stande sein, sich an der Hand einer Karte oder durch andere Mittel ein klares Bild von der Gegend zu verschaffen. Manche Bergtour misslang in Folge mangelnder Orientierung oder gestaltete sich zu einer sehr gefährlichen und anstrengenden Unternehmung. Man orientiert sich mit Hülfe des Kompasses, der Sonne und der Karte, aber während es in der bewohnten Region meist leicht ist, über den eigenen Standpunkt und über die Lage, Richtung und Entfernung der sichtbaren Terraintheile Klarheit zu gewinnen, ändert sich das im Hochgebirge bedeutend. Nicht immer ist die Karte so genau gearbeitet, und der Maassstab von solcher Grösse, dass eine genaue Anvisierung der Objekte möglich wäre, auch sind dieselben nicht selten durch Vorlagen verdeckt. Der Bergsteiger wird daher im Gebirge oft nach seiner angeborenen Orientierungsgabe zu entscheiden haben, die aber nur durch die Praxis ausgebildet und vervollkommnet wird. Mit der Orientierung geht das Rekognoszieren Hand in Hand. Lehrt uns die Orientierung die Kunst, uns in einer unbekannten Gegend zurechtzufinden, so zeigt uns die Rekognoszierung die Wege, die wir zu wandeln haben. Auch sie verlangt einen geübten Blick, ein richtiges Urtheil und ein genaues Abwägen der Kräfte. Bei vielen Bergen ist eine eigentliche Rekognoszierung nicht nöthig, da die Routen bis ins Einzelne bekannt sind. Anders aber liegen die Dinge in den weniger besuchten Berggebieten oder im Hochgebirge, wo die Routen von dem Zustande der Schnee- und Eisbedeckung abhängen. Zu einer sehr schwierigen

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/28>, abgerufen am 28.03.2024.