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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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L. Purtscheller
Mal 1775 als liebedürstiger, von der Sonne des Dichterruhmes
umstrahlter Jüngling, das zweite Mal 1779 auf der Höhe seines
künstlerischen Schaffens, und das dritte Mal 1797 als ein mit
grossen Erfolgen beglückter und an äusseren Ehren überhäufter
Mann, dessen Lebensanschauung durch das Studium der Antike zu
höchster Vollendung und höchster Harmonie gereift war. Auf
seiner ersten Reise sammelte Goethe eine Fülle von Eindrücken
aus der grossartigen Scenerie der Alpen, er genoss mit dem Ge-
fühle und nicht mit dem Verstande; auf seiner zweiten und dritten
Reise überwiegt bereits das naturhistorische Interesse, die kritische
Beobachtung und das Naturverständniss, ein psychologischer Vor-
gang, über den so mancher erfahrene Alpenwanderer zu berichten
weiss. Und für Alles, was sein Auge anschaute, mit was sein
empfänglicher Geist sich beschäftigte, fand er den richtigen Aus-
druck, das belebende Wort: Die beschattete Bucht, in der alle
Lüfte ruhen, der Berge Gipfelriesen, die früh des ewigen Lichts
sich freuen, Thäler aus Morgenduft gewoben und Sonnenklarheit,
des Gotthards Urfelsen, um die die Lawinen im donnernden Fall
ihr Morgenlied jubeln, der Wassersturz, der das Felsenriff durch-
braust und um den die Winde gar lieblich buhlen: wie tönt dies
Alles so harmonisch schön auf des Dichters güld'ner Harfe!

Es wäre auffallend, wenn die Begeisterung, die Goethe den
Alpen entgegenbrachte, sich nicht auch auf Schiller, seinen
Freund und Mitgenossen des Dichterruhmes, übertragen hätte.
Obwohl Schiller die Alpen nie mit eigenen Augen sah, wusste
doch seine grossartige Phantasie aus der Lektüre und den Berichten
Anderer ein getreues Bild der Alpennatur zu entwerfen. Aber
während bei Goethe das naturhistorische Interesse überwiegt und
ihm die Menschen "unter den grossen Gegenständen der Natur
minder merkwürdig" erschienen, betrachtete Schiller die Alpen
vorzugsweise als Schauplatz geschichtlicher Thaten und in ihrer
Wirkung auf das menschliche Gemüth. Schiller führte das Hoch-
gebirge auf die Bühne und stellte die Alpenbewohner als die
Wächter des Freiheitsideales hin. Unsterblicher Sänger des Tell!
Welche Gefühle erschüttern unsere Brust, wenn wir unsern Geist
in deine grosse Dichtung versenken, wie wunderbar, wie seltsam
wird uns zu Muthe, wenn wir das "Berglied" oder des "Alpen-
jägers" kecke Strophen citieren. Es ist das Kennzeichen des
Genius, dass er eine Fackel entzündet, die unauslöschlich in allen
Zeiten voranleuchtet. Und diese Leuchte des Dichterheros, seine
flammenden Worte erhellten auch das Deutsche Volk, als es nach

L. Purtscheller
Mal 1775 als liebedürstiger, von der Sonne des Dichterruhmes
umstrahlter Jüngling, das zweite Mal 1779 auf der Höhe seines
künstlerischen Schaffens, und das dritte Mal 1797 als ein mit
grossen Erfolgen beglückter und an äusseren Ehren überhäufter
Mann, dessen Lebensanschauung durch das Studium der Antike zu
höchster Vollendung und höchster Harmonie gereift war. Auf
seiner ersten Reise sammelte Goethe eine Fülle von Eindrücken
aus der grossartigen Scenerie der Alpen, er genoss mit dem Ge-
fühle und nicht mit dem Verstande; auf seiner zweiten und dritten
Reise überwiegt bereits das naturhistorische Interesse, die kritische
Beobachtung und das Naturverständniss, ein psychologischer Vor-
gang, über den so mancher erfahrene Alpenwanderer zu berichten
weiss. Und für Alles, was sein Auge anschaute, mit was sein
empfänglicher Geist sich beschäftigte, fand er den richtigen Aus-
druck, das belebende Wort: Die beschattete Bucht, in der alle
Lüfte ruhen, der Berge Gipfelriesen, die früh des ewigen Lichts
sich freuen, Thäler aus Morgenduft gewoben und Sonnenklarheit,
des Gotthards Urfelsen, um die die Lawinen im donnernden Fall
ihr Morgenlied jubeln, der Wassersturz, der das Felsenriff durch-
braust und um den die Winde gar lieblich buhlen: wie tönt dies
Alles so harmonisch schön auf des Dichters güld’ner Harfe!

Es wäre auffallend, wenn die Begeisterung, die Goethe den
Alpen entgegenbrachte, sich nicht auch auf Schiller, seinen
Freund und Mitgenossen des Dichterruhmes, übertragen hätte.
Obwohl Schiller die Alpen nie mit eigenen Augen sah, wusste
doch seine grossartige Phantasie aus der Lektüre und den Berichten
Anderer ein getreues Bild der Alpennatur zu entwerfen. Aber
während bei Goethe das naturhistorische Interesse überwiegt und
ihm die Menschen „unter den grossen Gegenständen der Natur
minder merkwürdig“ erschienen, betrachtete Schiller die Alpen
vorzugsweise als Schauplatz geschichtlicher Thaten und in ihrer
Wirkung auf das menschliche Gemüth. Schiller führte das Hoch-
gebirge auf die Bühne und stellte die Alpenbewohner als die
Wächter des Freiheitsideales hin. Unsterblicher Sänger des Tell!
Welche Gefühle erschüttern unsere Brust, wenn wir unsern Geist
in deine grosse Dichtung versenken, wie wunderbar, wie seltsam
wird uns zu Muthe, wenn wir das „Berglied“ oder des „Alpen-
jägers“ kecke Strophen citieren. Es ist das Kennzeichen des
Genius, dass er eine Fackel entzündet, die unauslöschlich in allen
Zeiten voranleuchtet. Und diese Leuchte des Dichterheros, seine
flammenden Worte erhellten auch das Deutsche Volk, als es nach

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[98/0004] L. Purtscheller Mal 1775 als liebedürstiger, von der Sonne des Dichterruhmes umstrahlter Jüngling, das zweite Mal 1779 auf der Höhe seines künstlerischen Schaffens, und das dritte Mal 1797 als ein mit grossen Erfolgen beglückter und an äusseren Ehren überhäufter Mann, dessen Lebensanschauung durch das Studium der Antike zu höchster Vollendung und höchster Harmonie gereift war. Auf seiner ersten Reise sammelte Goethe eine Fülle von Eindrücken aus der grossartigen Scenerie der Alpen, er genoss mit dem Ge- fühle und nicht mit dem Verstande; auf seiner zweiten und dritten Reise überwiegt bereits das naturhistorische Interesse, die kritische Beobachtung und das Naturverständniss, ein psychologischer Vor- gang, über den so mancher erfahrene Alpenwanderer zu berichten weiss. Und für Alles, was sein Auge anschaute, mit was sein empfänglicher Geist sich beschäftigte, fand er den richtigen Aus- druck, das belebende Wort: Die beschattete Bucht, in der alle Lüfte ruhen, der Berge Gipfelriesen, die früh des ewigen Lichts sich freuen, Thäler aus Morgenduft gewoben und Sonnenklarheit, des Gotthards Urfelsen, um die die Lawinen im donnernden Fall ihr Morgenlied jubeln, der Wassersturz, der das Felsenriff durch- braust und um den die Winde gar lieblich buhlen: wie tönt dies Alles so harmonisch schön auf des Dichters güld’ner Harfe! Es wäre auffallend, wenn die Begeisterung, die Goethe den Alpen entgegenbrachte, sich nicht auch auf Schiller, seinen Freund und Mitgenossen des Dichterruhmes, übertragen hätte. Obwohl Schiller die Alpen nie mit eigenen Augen sah, wusste doch seine grossartige Phantasie aus der Lektüre und den Berichten Anderer ein getreues Bild der Alpennatur zu entwerfen. Aber während bei Goethe das naturhistorische Interesse überwiegt und ihm die Menschen „unter den grossen Gegenständen der Natur minder merkwürdig“ erschienen, betrachtete Schiller die Alpen vorzugsweise als Schauplatz geschichtlicher Thaten und in ihrer Wirkung auf das menschliche Gemüth. Schiller führte das Hoch- gebirge auf die Bühne und stellte die Alpenbewohner als die Wächter des Freiheitsideales hin. Unsterblicher Sänger des Tell! Welche Gefühle erschüttern unsere Brust, wenn wir unsern Geist in deine grosse Dichtung versenken, wie wunderbar, wie seltsam wird uns zu Muthe, wenn wir das „Berglied“ oder des „Alpen- jägers“ kecke Strophen citieren. Es ist das Kennzeichen des Genius, dass er eine Fackel entzündet, die unauslöschlich in allen Zeiten voranleuchtet. Und diese Leuchte des Dichterheros, seine flammenden Worte erhellten auch das Deutsche Volk, als es nach

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/4>, abgerufen am 16.04.2024.