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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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L. Purtscheller.
Um die Beinmuskulatur nicht allzu rasch zu ermüden, hebe man
den Fuss langsam vom Boden weg und setze ihn ebenso langsam
vorwärts. Auch die Länge und Höhe der Schritte ist von grossem
Einflusse, auch sie sollten möglichst gleichmässig sein, eine Be-
dingung, die freilich auf rauhem Terrain, auf Blockhalden, brüchigem
Schnee oder bei Nacht kaum einzuhalten ist. Der erfahrene Berg-
steiger besitzt vor dem Anfänger den grossen Vortheil, dass
er jenes Terrain zum Fortkommen wählen wird, das ihn am
raschesten und mühelosesten fördert. und dass er mit grösserer
Sicherheit die richtigen Stellen findet, wohin er den Fuss auf-
zusetzen hat. Eine sehr minderwerthige Pfadspur wird daher
immer besser sein, als keine; harter Boden ist beim Anstieg,
weiches, nachgiebiges Terrain dagegen bei Abstieg von grösserem
Vortheile. Je mechanischer, gleichmässiger und ruhiger sämmtliche
Bewegungen sind - und dies gilt auch von der Athmung - desto
weniger rasch wird sich eine Ermüdung einstellen.

Die Stabilität des Körpers und die Grösse der Reibung,
die dem Abgleiten entgegenwirkt, wird erfahrungsgemäss bedeutend
erhöht, wenn das Aufsetzen des Fusses mit der ganzen Sohle er-
folgt. Solange die Unterlage horizontal ist, wird Niemand von
dieser Regel abweichen, ist aber die Fläche ein zu erklimmender
steiler Hang, so werden wir früher oder später nur den Ballen,
die Zehen oder die Ränder der Sohle - beim Abstieg auch die
Fersen - aufsetzen. Das Steigen mit der ganzen Sohle erfordert
eine grössere Beweglichkeit des Fussgelenkes in senkrechter, wie
in seitlicher Richtung, doch ist auch die Gewohnheit von grossem
Einflusse. Anton v. Ruthner war nach seinen Mittheilungen stets
ein "Zehengänger", und auch der Verfasser pflegt schon bei
minder steilen Hängen nur mit Zehen und Ballen aufzutreten.
Anders jedoch verhält sich die Sache auf gefährlichem Terrain,
in dem ein Ausgleiten einen Absturz herbeiführen kann. Hier
werden wir uns nach Möglichkeit bestreben, entweder den ganzen
Fuss oder wenigstens den Rand der Sohle und des Absatzes gleich-
zeitig aufzusetzen, um das Muskel- oder Gleichgewichtsgefühl
nicht zu gefährden. Ist die Unterlage allzu steil oder zu schmal,
kann der Körper die nöthige Stabilität nicht mehr finden, so
müssen wir die Hände zu Hülfe nehmen, also klettern, oder uns
einen künstlichen Auftritt herstellen. Der Eintritt dieses Zeit-
punktes hängt von unserer Gewandtheit, unserer Sicherheit und
Ruhe und wohl auch von unserer Ausrüstung ab. Da das
Klettern mehr Kraft- und Zeitaufwand beansprucht als das Gehen,

L. Purtscheller.
Um die Beinmuskulatur nicht allzu rasch zu ermüden, hebe man
den Fuss langsam vom Boden weg und setze ihn ebenso langsam
vorwärts. Auch die Länge und Höhe der Schritte ist von grossem
Einflusse, auch sie sollten möglichst gleichmässig sein, eine Be-
dingung, die freilich auf rauhem Terrain, auf Blockhalden, brüchigem
Schnee oder bei Nacht kaum einzuhalten ist. Der erfahrene Berg-
steiger besitzt vor dem Anfänger den grossen Vortheil, dass
er jenes Terrain zum Fortkommen wählen wird, das ihn am
raschesten und mühelosesten fördert. und dass er mit grösserer
Sicherheit die richtigen Stellen findet, wohin er den Fuss auf-
zusetzen hat. Eine sehr minderwerthige Pfadspur wird daher
immer besser sein, als keine; harter Boden ist beim Anstieg,
weiches, nachgiebiges Terrain dagegen bei Abstieg von grösserem
Vortheile. Je mechanischer, gleichmässiger und ruhiger sämmtliche
Bewegungen sind – und dies gilt auch von der Athmung – desto
weniger rasch wird sich eine Ermüdung einstellen.

Die Stabilität des Körpers und die Grösse der Reibung,
die dem Abgleiten entgegenwirkt, wird erfahrungsgemäss bedeutend
erhöht, wenn das Aufsetzen des Fusses mit der ganzen Sohle er-
folgt. Solange die Unterlage horizontal ist, wird Niemand von
dieser Regel abweichen, ist aber die Fläche ein zu erklimmender
steiler Hang, so werden wir früher oder später nur den Ballen,
die Zehen oder die Ränder der Sohle – beim Abstieg auch die
Fersen – aufsetzen. Das Steigen mit der ganzen Sohle erfordert
eine grössere Beweglichkeit des Fussgelenkes in senkrechter, wie
in seitlicher Richtung, doch ist auch die Gewohnheit von grossem
Einflusse. Anton v. Ruthner war nach seinen Mittheilungen stets
ein „Zehengänger“, und auch der Verfasser pflegt schon bei
minder steilen Hängen nur mit Zehen und Ballen aufzutreten.
Anders jedoch verhält sich die Sache auf gefährlichem Terrain,
in dem ein Ausgleiten einen Absturz herbeiführen kann. Hier
werden wir uns nach Möglichkeit bestreben, entweder den ganzen
Fuss oder wenigstens den Rand der Sohle und des Absatzes gleich-
zeitig aufzusetzen, um das Muskel- oder Gleichgewichtsgefühl
nicht zu gefährden. Ist die Unterlage allzu steil oder zu schmal,
kann der Körper die nöthige Stabilität nicht mehr finden, so
müssen wir die Hände zu Hülfe nehmen, also klettern, oder uns
einen künstlichen Auftritt herstellen. Der Eintritt dieses Zeit-
punktes hängt von unserer Gewandtheit, unserer Sicherheit und
Ruhe und wohl auch von unserer Ausrüstung ab. Da das
Klettern mehr Kraft- und Zeitaufwand beansprucht als das Gehen,

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[136/0042] L. Purtscheller. Um die Beinmuskulatur nicht allzu rasch zu ermüden, hebe man den Fuss langsam vom Boden weg und setze ihn ebenso langsam vorwärts. Auch die Länge und Höhe der Schritte ist von grossem Einflusse, auch sie sollten möglichst gleichmässig sein, eine Be- dingung, die freilich auf rauhem Terrain, auf Blockhalden, brüchigem Schnee oder bei Nacht kaum einzuhalten ist. Der erfahrene Berg- steiger besitzt vor dem Anfänger den grossen Vortheil, dass er jenes Terrain zum Fortkommen wählen wird, das ihn am raschesten und mühelosesten fördert. und dass er mit grösserer Sicherheit die richtigen Stellen findet, wohin er den Fuss auf- zusetzen hat. Eine sehr minderwerthige Pfadspur wird daher immer besser sein, als keine; harter Boden ist beim Anstieg, weiches, nachgiebiges Terrain dagegen bei Abstieg von grösserem Vortheile. Je mechanischer, gleichmässiger und ruhiger sämmtliche Bewegungen sind – und dies gilt auch von der Athmung – desto weniger rasch wird sich eine Ermüdung einstellen. Die Stabilität des Körpers und die Grösse der Reibung, die dem Abgleiten entgegenwirkt, wird erfahrungsgemäss bedeutend erhöht, wenn das Aufsetzen des Fusses mit der ganzen Sohle er- folgt. Solange die Unterlage horizontal ist, wird Niemand von dieser Regel abweichen, ist aber die Fläche ein zu erklimmender steiler Hang, so werden wir früher oder später nur den Ballen, die Zehen oder die Ränder der Sohle – beim Abstieg auch die Fersen – aufsetzen. Das Steigen mit der ganzen Sohle erfordert eine grössere Beweglichkeit des Fussgelenkes in senkrechter, wie in seitlicher Richtung, doch ist auch die Gewohnheit von grossem Einflusse. Anton v. Ruthner war nach seinen Mittheilungen stets ein „Zehengänger“, und auch der Verfasser pflegt schon bei minder steilen Hängen nur mit Zehen und Ballen aufzutreten. Anders jedoch verhält sich die Sache auf gefährlichem Terrain, in dem ein Ausgleiten einen Absturz herbeiführen kann. Hier werden wir uns nach Möglichkeit bestreben, entweder den ganzen Fuss oder wenigstens den Rand der Sohle und des Absatzes gleich- zeitig aufzusetzen, um das Muskel- oder Gleichgewichtsgefühl nicht zu gefährden. Ist die Unterlage allzu steil oder zu schmal, kann der Körper die nöthige Stabilität nicht mehr finden, so müssen wir die Hände zu Hülfe nehmen, also klettern, oder uns einen künstlichen Auftritt herstellen. Der Eintritt dieses Zeit- punktes hängt von unserer Gewandtheit, unserer Sicherheit und Ruhe und wohl auch von unserer Ausrüstung ab. Da das Klettern mehr Kraft- und Zeitaufwand beansprucht als das Gehen,

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/42>, abgerufen am 28.03.2024.