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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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besonderer Vorliebe den Kalk- und Dolomitbergen zugewandt, und
man kann ohne Uebertreibung behaupten, dass das Kalkgebirge
kaum jemals so populär war, wie heute.

Felsklettereien, namentlich im formenreichen Kalkgebirge,
bieten manche Vorzüge, die wir bei ausgedehnten Gletscher-
wanderungen vermissen. Das Terrain zeigt eine grössere Mannig-
faltigkeit in Aufbau und Gestalt, Vegetation, Eis und Schnee er-
scheinen als angenehme Zuthaten, nicht als einförmiges Element,
Licht, Schatten und Perspektive kommen zu grösserer Wirkung,
das Klettern selbst ist kurzweiliger, genussvoller und interessanter,
es nimmt nicht nur einzelne Muskelgruppen, sondern den ganzen
Körper in Anspruch. Während wir auf Gletschertouren mehr
oder weniger von Anderen abhängen, können wir auf Felsbergen
fremder Hülfe leichter entbehren, und bald einen gewissen Grad
von Uebung und Selbstständigkeit erreichen. Viele sind der An-
sicht, dass Felstouren weniger gefährlich seien, als Wanderungen
auf Gletschern, dies lässt sich aber keineswegs behaupten. Die
meisten Unglücksfälle, auch solche, die nicht in der Schuld des
Touristen liegen, ereigneten sich auf Felsen, und die Mehrzahl
derselben hatte ernstere Folgen, als das Einbrechen in eine
Gletscherspalte. Felsen, deren Gefüge stark brüchig und ver-
wittert ist, und solche, die mit einer Schnee- oder Eiskruste über-
zogen sind, können dem unerfahrenen Bergsteiger viel gefährlicher
werden, als ein Gang über ein Firn- oder Eisfeld, über dessen
Gefahren sich jedermann klar ist.

Die vorherrschenden Gesteinsarten sind: Granit, Gneiss,
Serpentin, Gabbro, Schiefer, Porphyr, Kalk und Dolomit, während
sich die Berge als Kuppen, Kegel, Hörner, Thürme, Nadeln und
Zinnen darstellen. Wie bei den Plateaugebirgen die Hochfläche,
so ist bei den Kettengebirgen der Grat eine typische Erscheinung,
daher auch von Plateau. und Gratwanderungen gesprochen werden
kann. Charakteristisch für den Dolomit sind die Thürme, Säulen,
Nadeln und Zinnen, die Granit- und Gneissberge dagegen er-
scheinen als Kuppen, Pyramiden oder Dreiecke, bei starker Ver-
witterung wohl auch, wie in der Mont Blanc-Kette, als Nadeln und
Spitzen; die Schieferberge zeigen sich als Horn, als flache Pyramide
oder Kegel.

Wenn die Neigung des Terrains ein gewisses Maass über-
steigt, so dass wir uns auch der Hände zum Fortkommen be-
dienen müssen, beginnt das Klettern, das wir in der Regel als
eine willkommene Entlastung der Beine begrüssen. Der Ueber-

L. Purtscheller.
besonderer Vorliebe den Kalk- und Dolomitbergen zugewandt, und
man kann ohne Uebertreibung behaupten, dass das Kalkgebirge
kaum jemals so populär war, wie heute.

Felsklettereien, namentlich im formenreichen Kalkgebirge,
bieten manche Vorzüge, die wir bei ausgedehnten Gletscher-
wanderungen vermissen. Das Terrain zeigt eine grössere Mannig-
faltigkeit in Aufbau und Gestalt, Vegetation, Eis und Schnee er-
scheinen als angenehme Zuthaten, nicht als einförmiges Element,
Licht, Schatten und Perspektive kommen zu grösserer Wirkung,
das Klettern selbst ist kurzweiliger, genussvoller und interessanter,
es nimmt nicht nur einzelne Muskelgruppen, sondern den ganzen
Körper in Anspruch. Während wir auf Gletschertouren mehr
oder weniger von Anderen abhängen, können wir auf Felsbergen
fremder Hülfe leichter entbehren, und bald einen gewissen Grad
von Uebung und Selbstständigkeit erreichen. Viele sind der An-
sicht, dass Felstouren weniger gefährlich seien, als Wanderungen
auf Gletschern, dies lässt sich aber keineswegs behaupten. Die
meisten Unglücksfälle, auch solche, die nicht in der Schuld des
Touristen liegen, ereigneten sich auf Felsen, und die Mehrzahl
derselben hatte ernstere Folgen, als das Einbrechen in eine
Gletscherspalte. Felsen, deren Gefüge stark brüchig und ver-
wittert ist, und solche, die mit einer Schnee- oder Eiskruste über-
zogen sind, können dem unerfahrenen Bergsteiger viel gefährlicher
werden, als ein Gang über ein Firn- oder Eisfeld, über dessen
Gefahren sich jedermann klar ist.

Die vorherrschenden Gesteinsarten sind: Granit, Gneiss,
Serpentin, Gabbro, Schiefer, Porphyr, Kalk und Dolomit, während
sich die Berge als Kuppen, Kegel, Hörner, Thürme, Nadeln und
Zinnen darstellen. Wie bei den Plateaugebirgen die Hochfläche,
so ist bei den Kettengebirgen der Grat eine typische Erscheinung,
daher auch von Plateau. und Gratwanderungen gesprochen werden
kann. Charakteristisch für den Dolomit sind die Thürme, Säulen,
Nadeln und Zinnen, die Granit- und Gneissberge dagegen er-
scheinen als Kuppen, Pyramiden oder Dreiecke, bei starker Ver-
witterung wohl auch, wie in der Mont Blanc-Kette, als Nadeln und
Spitzen; die Schieferberge zeigen sich als Horn, als flache Pyramide
oder Kegel.

Wenn die Neigung des Terrains ein gewisses Maass über-
steigt, so dass wir uns auch der Hände zum Fortkommen be-
dienen müssen, beginnt das Klettern, das wir in der Regel als
eine willkommene Entlastung der Beine begrüssen. Der Ueber-

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[142/0048] L. Purtscheller. besonderer Vorliebe den Kalk- und Dolomitbergen zugewandt, und man kann ohne Uebertreibung behaupten, dass das Kalkgebirge kaum jemals so populär war, wie heute. Felsklettereien, namentlich im formenreichen Kalkgebirge, bieten manche Vorzüge, die wir bei ausgedehnten Gletscher- wanderungen vermissen. Das Terrain zeigt eine grössere Mannig- faltigkeit in Aufbau und Gestalt, Vegetation, Eis und Schnee er- scheinen als angenehme Zuthaten, nicht als einförmiges Element, Licht, Schatten und Perspektive kommen zu grösserer Wirkung, das Klettern selbst ist kurzweiliger, genussvoller und interessanter, es nimmt nicht nur einzelne Muskelgruppen, sondern den ganzen Körper in Anspruch. Während wir auf Gletschertouren mehr oder weniger von Anderen abhängen, können wir auf Felsbergen fremder Hülfe leichter entbehren, und bald einen gewissen Grad von Uebung und Selbstständigkeit erreichen. Viele sind der An- sicht, dass Felstouren weniger gefährlich seien, als Wanderungen auf Gletschern, dies lässt sich aber keineswegs behaupten. Die meisten Unglücksfälle, auch solche, die nicht in der Schuld des Touristen liegen, ereigneten sich auf Felsen, und die Mehrzahl derselben hatte ernstere Folgen, als das Einbrechen in eine Gletscherspalte. Felsen, deren Gefüge stark brüchig und ver- wittert ist, und solche, die mit einer Schnee- oder Eiskruste über- zogen sind, können dem unerfahrenen Bergsteiger viel gefährlicher werden, als ein Gang über ein Firn- oder Eisfeld, über dessen Gefahren sich jedermann klar ist. Die vorherrschenden Gesteinsarten sind: Granit, Gneiss, Serpentin, Gabbro, Schiefer, Porphyr, Kalk und Dolomit, während sich die Berge als Kuppen, Kegel, Hörner, Thürme, Nadeln und Zinnen darstellen. Wie bei den Plateaugebirgen die Hochfläche, so ist bei den Kettengebirgen der Grat eine typische Erscheinung, daher auch von Plateau. und Gratwanderungen gesprochen werden kann. Charakteristisch für den Dolomit sind die Thürme, Säulen, Nadeln und Zinnen, die Granit- und Gneissberge dagegen er- scheinen als Kuppen, Pyramiden oder Dreiecke, bei starker Ver- witterung wohl auch, wie in der Mont Blanc-Kette, als Nadeln und Spitzen; die Schieferberge zeigen sich als Horn, als flache Pyramide oder Kegel. Wenn die Neigung des Terrains ein gewisses Maass über- steigt, so dass wir uns auch der Hände zum Fortkommen be- dienen müssen, beginnt das Klettern, das wir in der Regel als eine willkommene Entlastung der Beine begrüssen. Der Ueber-

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/48>, abgerufen am 29.03.2024.