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Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176.

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Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.

Wie sich aus Vorstehendem ergiebt, haben sowohl die
Litteratur, wie die Malerei, die darstellende, wie die bildende
Kunst in hervorragender Weise dazu beigetragen, den Sinn für
das Hochgebirge und für Alpenwanderungen zu beleben. Bevor
wir uns mit den eigentlichen Alpen-Pionieren beschäftigen, sei
auch derjenigen gedacht, die das Gebirge aus beruflicher Thätig-
keit besteigen: der Hirten, Jäger und Bergleute, dann der Bo-
taniker, Geologen und Kartographen, die als die "Eclaireurs" der
späteren alpinen Völkerwanderung zu betrachten sind.

Seit unvordenklicher Zeit hat der Hirte, soweit der Alpen-
und Weideboden reicht, von den Bergen seiner Heimat Besitz
genommen. Unzweifelhaft sind im Gebirge viele, ja vielleicht die
Mehrzahl der auf den Anhöhen gelegenen Siedelungen älter, als
jene in den Thälern, deren Niederungen grösstentheils von
Sümpfen erfüllt waren. Seit jeher schon dürften die herrlichen, in
buntem Blumenschmucke leuchtenden Alpenmatten die Berg-
bewohner veranlasst haben, ihr Vieh in der Höhe zu sommern und
Bergwiesen für wirthschaftliche Zwecke dienstbar zu machen. Von
mehreren dieser Alpenweiden lässt sich eine Benützung von über
1000 Jahren nachweisen, und im Allgemeinen wird man nicht fehl
gehen, wenn man das Alter vieler Alpen auf das Zwei- und Drei-
fache dieser Zeit veranschlägt. Mit dem Alpen- und Sennerei-
betriebe ging die Ausübung der Hochgebirgsjagd Hand in Hand.
Auch sie ist viel älter, als ihre Geschichte. Wenn auch das Gems-
wild in unseren Ost-Alpen vor 300 Jahren selbst in der unteren
Berg- und Waldregion nicht selten war, worüber genügende Be-
weise vorliegen, so hatte sich doch der Jäger, ebenso wie der
Hirte, weit früher alle Hochthäler bis hinauf zur Gletscherregion
erobert. Wie aus dem im Statthalterei-Archive zu Innsbruck
erliegenden "Gejaidt Puech" des Kaisers Maximilian I. aus dem
Jahre 1500 hervorgeht, waren um diese Zeit alle bedeutenderen
Hochthäler Nord-Tirols zum Mindesten von reitbaren Wegen
durchzogen, auch verzeichnet das Buch in Nord-Tirol 16 Gerichte
mit circa 80 Gehegen, wo der Kaiser ein "Hirschen- oder Gambsen-
Gejaid" abhalten könne.

Eine weitere Förderung erfuhr der Alpinismus durch den
Bergbau. Er weckte Interesse und Sinn für das Hochgebirge und
schuf natürliche Stützpunkte, von denen die nähere Bereisung und
Erforschung des Gebirges ausging. Insbesondere rege gestaltete
sich das bergmännische Leben in den Hohen Tauern, die schon
im II. Jahrhundert v. Chr. wegen ihres Goldreichthums berühmt

Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus.

Wie sich aus Vorstehendem ergiebt, haben sowohl die
Litteratur, wie die Malerei, die darstellende, wie die bildende
Kunst in hervorragender Weise dazu beigetragen, den Sinn für
das Hochgebirge und für Alpenwanderungen zu beleben. Bevor
wir uns mit den eigentlichen Alpen-Pionieren beschäftigen, sei
auch derjenigen gedacht, die das Gebirge aus beruflicher Thätig-
keit besteigen: der Hirten, Jäger und Bergleute, dann der Bo-
taniker, Geologen und Kartographen, die als die „Eclaireurs“ der
späteren alpinen Völkerwanderung zu betrachten sind.

Seit unvordenklicher Zeit hat der Hirte, soweit der Alpen-
und Weideboden reicht, von den Bergen seiner Heimat Besitz
genommen. Unzweifelhaft sind im Gebirge viele, ja vielleicht die
Mehrzahl der auf den Anhöhen gelegenen Siedelungen älter, als
jene in den Thälern, deren Niederungen grösstentheils von
Sümpfen erfüllt waren. Seit jeher schon dürften die herrlichen, in
buntem Blumenschmucke leuchtenden Alpenmatten die Berg-
bewohner veranlasst haben, ihr Vieh in der Höhe zu sommern und
Bergwiesen für wirthschaftliche Zwecke dienstbar zu machen. Von
mehreren dieser Alpenweiden lässt sich eine Benützung von über
1000 Jahren nachweisen, und im Allgemeinen wird man nicht fehl
gehen, wenn man das Alter vieler Alpen auf das Zwei- und Drei-
fache dieser Zeit veranschlägt. Mit dem Alpen- und Sennerei-
betriebe ging die Ausübung der Hochgebirgsjagd Hand in Hand.
Auch sie ist viel älter, als ihre Geschichte. Wenn auch das Gems-
wild in unseren Ost-Alpen vor 300 Jahren selbst in der unteren
Berg- und Waldregion nicht selten war, worüber genügende Be-
weise vorliegen, so hatte sich doch der Jäger, ebenso wie der
Hirte, weit früher alle Hochthäler bis hinauf zur Gletscherregion
erobert. Wie aus dem im Statthalterei-Archive zu Innsbruck
erliegenden „Gejaidt Puech“ des Kaisers Maximilian I. aus dem
Jahre 1500 hervorgeht, waren um diese Zeit alle bedeutenderen
Hochthäler Nord-Tirols zum Mindesten von reitbaren Wegen
durchzogen, auch verzeichnet das Buch in Nord-Tirol 16 Gerichte
mit circa 80 Gehegen, wo der Kaiser ein „Hirschen- oder Gambsen-
Gejaid“ abhalten könne.

Eine weitere Förderung erfuhr der Alpinismus durch den
Bergbau. Er weckte Interesse und Sinn für das Hochgebirge und
schuf natürliche Stützpunkte, von denen die nähere Bereisung und
Erforschung des Gebirges ausging. Insbesondere rege gestaltete
sich das bergmännische Leben in den Hohen Tauern, die schon
im II. Jahrhundert v. Chr. wegen ihres Goldreichthums berühmt

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[103/0009] Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus. Wie sich aus Vorstehendem ergiebt, haben sowohl die Litteratur, wie die Malerei, die darstellende, wie die bildende Kunst in hervorragender Weise dazu beigetragen, den Sinn für das Hochgebirge und für Alpenwanderungen zu beleben. Bevor wir uns mit den eigentlichen Alpen-Pionieren beschäftigen, sei auch derjenigen gedacht, die das Gebirge aus beruflicher Thätig- keit besteigen: der Hirten, Jäger und Bergleute, dann der Bo- taniker, Geologen und Kartographen, die als die „Eclaireurs“ der späteren alpinen Völkerwanderung zu betrachten sind. Seit unvordenklicher Zeit hat der Hirte, soweit der Alpen- und Weideboden reicht, von den Bergen seiner Heimat Besitz genommen. Unzweifelhaft sind im Gebirge viele, ja vielleicht die Mehrzahl der auf den Anhöhen gelegenen Siedelungen älter, als jene in den Thälern, deren Niederungen grösstentheils von Sümpfen erfüllt waren. Seit jeher schon dürften die herrlichen, in buntem Blumenschmucke leuchtenden Alpenmatten die Berg- bewohner veranlasst haben, ihr Vieh in der Höhe zu sommern und Bergwiesen für wirthschaftliche Zwecke dienstbar zu machen. Von mehreren dieser Alpenweiden lässt sich eine Benützung von über 1000 Jahren nachweisen, und im Allgemeinen wird man nicht fehl gehen, wenn man das Alter vieler Alpen auf das Zwei- und Drei- fache dieser Zeit veranschlägt. Mit dem Alpen- und Sennerei- betriebe ging die Ausübung der Hochgebirgsjagd Hand in Hand. Auch sie ist viel älter, als ihre Geschichte. Wenn auch das Gems- wild in unseren Ost-Alpen vor 300 Jahren selbst in der unteren Berg- und Waldregion nicht selten war, worüber genügende Be- weise vorliegen, so hatte sich doch der Jäger, ebenso wie der Hirte, weit früher alle Hochthäler bis hinauf zur Gletscherregion erobert. Wie aus dem im Statthalterei-Archive zu Innsbruck erliegenden „Gejaidt Puech“ des Kaisers Maximilian I. aus dem Jahre 1500 hervorgeht, waren um diese Zeit alle bedeutenderen Hochthäler Nord-Tirols zum Mindesten von reitbaren Wegen durchzogen, auch verzeichnet das Buch in Nord-Tirol 16 Gerichte mit circa 80 Gehegen, wo der Kaiser ein „Hirschen- oder Gambsen- Gejaid“ abhalten könne. Eine weitere Förderung erfuhr der Alpinismus durch den Bergbau. Er weckte Interesse und Sinn für das Hochgebirge und schuf natürliche Stützpunkte, von denen die nähere Bereisung und Erforschung des Gebirges ausging. Insbesondere rege gestaltete sich das bergmännische Leben in den Hohen Tauern, die schon im II. Jahrhundert v. Chr. wegen ihres Goldreichthums berühmt

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Zitationshilfe: Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Deutschen und Oesterreichischen Alpen. In: Zeitschrift des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. Band XXV. Berlin, 1894, S. 95-176, hier S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/purtscheller_alpinismus_1894/9>, abgerufen am 29.03.2024.