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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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anderer Kindheits-, Feld-, Wald- und Wiesen-Freund
Stopfkuchen, den ich nur dann seinen Schritt etwas
beschleunigen sah, wenn ihn der alte Konrektor mit
der Haselnußgerte im Kreise nicht um die Welt,
sondern um die schwarze Schultafel und die un-
gelöste mathematische Aufgabe jagte.

Ja, zu unserer Zeit kriegte man noch die Prügel,
die Einem gebührten . . . Gott sei Dank! -- "Stopf-
kuchen" nannten wir ihn auf der Schule. Eigentlich
hieß er Heinrich Schaumann, und war das einzige
Kind so dürrer, eingeschrumpfelter, zaunkönighaft-
nervös-lebendiger Eltern, daß Die in der Stadt nicht
Unrecht zu haben schienen, die da behaupteten, er
habe in einem Kuckucksei gelegen, und sei schändlich
doloser Weise dem Herrn Registrator und der Frau
Registratorin Schaumann ins Nest geschoben worden.
Wie dem auch sein mochte: sie hatten ihn heran-
gefüttert und ihm zu und in den Schnabel getragen,
was sie vermochten; und es war ihm gediehen.

Und wie ein Zaunkönigspaar seine Freude und
seinen Stolz an seinem dicken Nestling hat, so hatten
auch Vater und Mutter Schaumann ihren Stolz und
ihre Freude an ihrem "Dicken", und wollten selbst-
verständlich auch noch nach einer andern Dimension
hin etwas aus ihm machen, nämlich etwas Großes.
Natürlich einen Pastor, Regierungsrath, Sanitätsrath
oder dergleichen.

"Die Sache könnte mir schon passen, Eduard,"
sagte Heinrich damals häufig zu mir. "Wenn nur
nicht die verdammten Vorstrapazen wären; das

anderer Kindheits-, Feld-, Wald- und Wieſen-Freund
Stopfkuchen, den ich nur dann ſeinen Schritt etwas
beſchleunigen ſah, wenn ihn der alte Konrektor mit
der Haſelnußgerte im Kreiſe nicht um die Welt,
ſondern um die ſchwarze Schultafel und die un-
gelöſte mathematiſche Aufgabe jagte.

Ja, zu unſerer Zeit kriegte man noch die Prügel,
die Einem gebührten . . . Gott ſei Dank! — „Stopf-
kuchen“ nannten wir ihn auf der Schule. Eigentlich
hieß er Heinrich Schaumann, und war das einzige
Kind ſo dürrer, eingeſchrumpfelter, zaunkönighaft-
nervös-lebendiger Eltern, daß Die in der Stadt nicht
Unrecht zu haben ſchienen, die da behaupteten, er
habe in einem Kuckucksei gelegen, und ſei ſchändlich
doloſer Weiſe dem Herrn Regiſtrator und der Frau
Regiſtratorin Schaumann ins Neſt geſchoben worden.
Wie dem auch ſein mochte: ſie hatten ihn heran-
gefüttert und ihm zu und in den Schnabel getragen,
was ſie vermochten; und es war ihm gediehen.

Und wie ein Zaunkönigspaar ſeine Freude und
ſeinen Stolz an ſeinem dicken Neſtling hat, ſo hatten
auch Vater und Mutter Schaumann ihren Stolz und
ihre Freude an ihrem „Dicken“, und wollten ſelbſt-
verſtändlich auch noch nach einer andern Dimenſion
hin etwas aus ihm machen, nämlich etwas Großes.
Natürlich einen Paſtor, Regierungsrath, Sanitätsrath
oder dergleichen.

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ſagte Heinrich damals häufig zu mir. „Wenn nur
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[28/0038] anderer Kindheits-, Feld-, Wald- und Wieſen-Freund Stopfkuchen, den ich nur dann ſeinen Schritt etwas beſchleunigen ſah, wenn ihn der alte Konrektor mit der Haſelnußgerte im Kreiſe nicht um die Welt, ſondern um die ſchwarze Schultafel und die un- gelöſte mathematiſche Aufgabe jagte. Ja, zu unſerer Zeit kriegte man noch die Prügel, die Einem gebührten . . . Gott ſei Dank! — „Stopf- kuchen“ nannten wir ihn auf der Schule. Eigentlich hieß er Heinrich Schaumann, und war das einzige Kind ſo dürrer, eingeſchrumpfelter, zaunkönighaft- nervös-lebendiger Eltern, daß Die in der Stadt nicht Unrecht zu haben ſchienen, die da behaupteten, er habe in einem Kuckucksei gelegen, und ſei ſchändlich doloſer Weiſe dem Herrn Regiſtrator und der Frau Regiſtratorin Schaumann ins Neſt geſchoben worden. Wie dem auch ſein mochte: ſie hatten ihn heran- gefüttert und ihm zu und in den Schnabel getragen, was ſie vermochten; und es war ihm gediehen. Und wie ein Zaunkönigspaar ſeine Freude und ſeinen Stolz an ſeinem dicken Neſtling hat, ſo hatten auch Vater und Mutter Schaumann ihren Stolz und ihre Freude an ihrem „Dicken“, und wollten ſelbſt- verſtändlich auch noch nach einer andern Dimenſion hin etwas aus ihm machen, nämlich etwas Großes. Natürlich einen Paſtor, Regierungsrath, Sanitätsrath oder dergleichen. „Die Sache könnte mir ſchon paſſen, Eduard,“ ſagte Heinrich damals häufig zu mir. „Wenn nur nicht die verdammten Vorſtrapazen wären; das

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/38>, abgerufen am 24.04.2024.