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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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zum deutschen Wörterbuche.
Schande und Laster in sich, als bey den alten Ju-
den ein Samariter, oder bey den Savoyarden
ein Barbet! Jch habe angemerkt, daß die deut-
sche Sprache unter ihren Kindern besonders zwo
Arten von Feinden hat. Einige verfolgen sie aus
Hochmuth und Eigennutz, andre aber verachten sie
aus Leichtsinn. Jene geben sich eine ernsthafte, ge-
bieterische und monarchische Miene. Sie sind
gewohnt, ihre Wahrheiten mit aufgehabnem
Arme zu behaupten, und den Pflichten der väter-
lichen Liebe mit der Ruthe Gnüge zu leisten. Man
nennt sie auch römischgesinnte Männer, oder latei-
nische Görgen,
zur schuldigen Vergeltung der
deutschen Michel. Es liegt ihnen viel daran, die
deutsche Sprache zu unterdrücken, welche sie selbst
so wenig verstehen. Jhr Ansehen dürfte freylich sehr
fallen, wenn die Welt anfienge, zu glauben, ein
Mann verdiene den Namen eines wahren Gelehr-
ten noch nicht, wenn er schon ein lateinischer Sprach-
meister sey. Jn Lehmanns speyerischer Chronike
finden wir die Geschichte eines treufleißig verordne-
ten Lehrers, welcher ein so abgöttischer Verehrer
des Cicero gewesen, daß er seinen Sohn bloß des-
wegen der lateinischen Sprache von Mutterlei-
be an geweihet, weil er eine Warze auf der Nase
gehabt. Und ungeachtet sich bey zunehmenden
Jahren geäußert, daß ihn die Natur nicht zu ei-
nem Cicero, sondern höchstens zu einem deutschen
Holzhacker geschaffen: So hielt sich doch dieser ge-
lehrte Vater in seinem Gewissen für verbunden,

einem
O 2

zum deutſchen Woͤrterbuche.
Schande und Laſter in ſich, als bey den alten Ju-
den ein Samariter, oder bey den Savoyarden
ein Barbet! Jch habe angemerkt, daß die deut-
ſche Sprache unter ihren Kindern beſonders zwo
Arten von Feinden hat. Einige verfolgen ſie aus
Hochmuth und Eigennutz, andre aber verachten ſie
aus Leichtſinn. Jene geben ſich eine ernſthafte, ge-
bieteriſche und monarchiſche Miene. Sie ſind
gewohnt, ihre Wahrheiten mit aufgehabnem
Arme zu behaupten, und den Pflichten der vaͤter-
lichen Liebe mit der Ruthe Gnuͤge zu leiſten. Man
nennt ſie auch roͤmiſchgeſinnte Maͤnner, oder latei-
niſche Goͤrgen,
zur ſchuldigen Vergeltung der
deutſchen Michel. Es liegt ihnen viel daran, die
deutſche Sprache zu unterdruͤcken, welche ſie ſelbſt
ſo wenig verſtehen. Jhr Anſehen duͤrfte freylich ſehr
fallen, wenn die Welt anfienge, zu glauben, ein
Mann verdiene den Namen eines wahren Gelehr-
ten noch nicht, wenn er ſchon ein lateiniſcher Sprach-
meiſter ſey. Jn Lehmanns ſpeyeriſcher Chronike
finden wir die Geſchichte eines treufleißig verordne-
ten Lehrers, welcher ein ſo abgoͤttiſcher Verehrer
des Cicero geweſen, daß er ſeinen Sohn bloß des-
wegen der lateiniſchen Sprache von Mutterlei-
be an geweihet, weil er eine Warze auf der Naſe
gehabt. Und ungeachtet ſich bey zunehmenden
Jahren geaͤußert, daß ihn die Natur nicht zu ei-
nem Cicero, ſondern hoͤchſtens zu einem deutſchen
Holzhacker geſchaffen: So hielt ſich doch dieſer ge-
lehrte Vater in ſeinem Gewiſſen fuͤr verbunden,

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O 2
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[211/0211] zum deutſchen Woͤrterbuche. Schande und Laſter in ſich, als bey den alten Ju- den ein Samariter, oder bey den Savoyarden ein Barbet! Jch habe angemerkt, daß die deut- ſche Sprache unter ihren Kindern beſonders zwo Arten von Feinden hat. Einige verfolgen ſie aus Hochmuth und Eigennutz, andre aber verachten ſie aus Leichtſinn. Jene geben ſich eine ernſthafte, ge- bieteriſche und monarchiſche Miene. Sie ſind gewohnt, ihre Wahrheiten mit aufgehabnem Arme zu behaupten, und den Pflichten der vaͤter- lichen Liebe mit der Ruthe Gnuͤge zu leiſten. Man nennt ſie auch roͤmiſchgeſinnte Maͤnner, oder latei- niſche Goͤrgen, zur ſchuldigen Vergeltung der deutſchen Michel. Es liegt ihnen viel daran, die deutſche Sprache zu unterdruͤcken, welche ſie ſelbſt ſo wenig verſtehen. Jhr Anſehen duͤrfte freylich ſehr fallen, wenn die Welt anfienge, zu glauben, ein Mann verdiene den Namen eines wahren Gelehr- ten noch nicht, wenn er ſchon ein lateiniſcher Sprach- meiſter ſey. Jn Lehmanns ſpeyeriſcher Chronike finden wir die Geſchichte eines treufleißig verordne- ten Lehrers, welcher ein ſo abgoͤttiſcher Verehrer des Cicero geweſen, daß er ſeinen Sohn bloß des- wegen der lateiniſchen Sprache von Mutterlei- be an geweihet, weil er eine Warze auf der Naſe gehabt. Und ungeachtet ſich bey zunehmenden Jahren geaͤußert, daß ihn die Natur nicht zu ei- nem Cicero, ſondern hoͤchſtens zu einem deutſchen Holzhacker geſchaffen: So hielt ſich doch dieſer ge- lehrte Vater in ſeinem Gewiſſen fuͤr verbunden, einem O 2

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/211>, abgerufen am 29.03.2024.