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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755.

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Das Märchen vom ersten April.
er sammelt immer noch mehr in sein Münzcabinet.
Er borgt Geld mit sechs pro Cent auf, um schöne
Münzen zu kaufen. Endlich drängen ihn seine
Schuldner, und da er nicht bezahlen kann, so
bemächtigen sie sich seines Cabinets. Der unbe-
dachtsame Argyr! Seine Kinder sind halb ver-
hungert, er selbst hat kein Brodt, und sein schön
aufgeputztes Cabinet haben die Goldschmiede.

31.

Das ist heute zum fünftenmale, daß sich Men-
tor
(40) in ein Joch spannen läßt, aus dem er
schon viermal, zu seinem großen Vergnügen, erlöst
worden ist. Aber das mal ist es eine ganz andre
Sache; denn der Vater des jungen Menschen, von
dem er heute Hofmeister werden müssen, ist einer
der Vornehmsten bey Hofe, und hat ihm eine ge-
wisse und anständige Versorgung versprochen. Ar-
mer Mentor! Desto schlimmer ist es für dich, wenn
der Vater deines Telemachs so vornehm und mäch-
tig ist. Führt sich dieser auf, wie es die Wünsche
der Aeltern, und deine unermüdete Sorgfalt ver-
langen; so ist es nur sein guter natürlicher Cha-
rakter, dem man es zu danken hat. Schweift er
aus; so ist kein Mensch Schuld daran, als der Hof-
meister. Jch habe Mitleiden mit dem rechtschaf-
fenen Manne. Sein Amt ist in vielerley Absicht
eines der wichtigsten, und doch ist ein alter Hof-
meister immer derjenige, welcher am meisten geta-
delt, und am wenigsten belohnt wird. Er macht

viel-
(40) Und dieser ist mein Freund N - - h.

Das Maͤrchen vom erſten April.
er ſammelt immer noch mehr in ſein Muͤnzcabinet.
Er borgt Geld mit ſechs pro Cent auf, um ſchoͤne
Muͤnzen zu kaufen. Endlich draͤngen ihn ſeine
Schuldner, und da er nicht bezahlen kann, ſo
bemaͤchtigen ſie ſich ſeines Cabinets. Der unbe-
dachtſame Argyr! Seine Kinder ſind halb ver-
hungert, er ſelbſt hat kein Brodt, und ſein ſchoͤn
aufgeputztes Cabinet haben die Goldſchmiede.

31.

Das iſt heute zum fuͤnftenmale, daß ſich Men-
tor
(40) in ein Joch ſpannen laͤßt, aus dem er
ſchon viermal, zu ſeinem großen Vergnuͤgen, erloͤſt
worden iſt. Aber das mal iſt es eine ganz andre
Sache; denn der Vater des jungen Menſchen, von
dem er heute Hofmeiſter werden muͤſſen, iſt einer
der Vornehmſten bey Hofe, und hat ihm eine ge-
wiſſe und anſtaͤndige Verſorgung verſprochen. Ar-
mer Mentor! Deſto ſchlimmer iſt es fuͤr dich, wenn
der Vater deines Telemachs ſo vornehm und maͤch-
tig iſt. Fuͤhrt ſich dieſer auf, wie es die Wuͤnſche
der Aeltern, und deine unermuͤdete Sorgfalt ver-
langen; ſo iſt es nur ſein guter natuͤrlicher Cha-
rakter, dem man es zu danken hat. Schweift er
aus; ſo iſt kein Menſch Schuld daran, als der Hof-
meiſter. Jch habe Mitleiden mit dem rechtſchaf-
fenen Manne. Sein Amt iſt in vielerley Abſicht
eines der wichtigſten, und doch iſt ein alter Hof-
meiſter immer derjenige, welcher am meiſten geta-
delt, und am wenigſten belohnt wird. Er macht

viel-
(40) Und dieſer iſt mein Freund N ‒ ‒ h.
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[532[530]/0554] Das Maͤrchen vom erſten April. er ſammelt immer noch mehr in ſein Muͤnzcabinet. Er borgt Geld mit ſechs pro Cent auf, um ſchoͤne Muͤnzen zu kaufen. Endlich draͤngen ihn ſeine Schuldner, und da er nicht bezahlen kann, ſo bemaͤchtigen ſie ſich ſeines Cabinets. Der unbe- dachtſame Argyr! Seine Kinder ſind halb ver- hungert, er ſelbſt hat kein Brodt, und ſein ſchoͤn aufgeputztes Cabinet haben die Goldſchmiede. 31. Das iſt heute zum fuͤnftenmale, daß ſich Men- tor (40) in ein Joch ſpannen laͤßt, aus dem er ſchon viermal, zu ſeinem großen Vergnuͤgen, erloͤſt worden iſt. Aber das mal iſt es eine ganz andre Sache; denn der Vater des jungen Menſchen, von dem er heute Hofmeiſter werden muͤſſen, iſt einer der Vornehmſten bey Hofe, und hat ihm eine ge- wiſſe und anſtaͤndige Verſorgung verſprochen. Ar- mer Mentor! Deſto ſchlimmer iſt es fuͤr dich, wenn der Vater deines Telemachs ſo vornehm und maͤch- tig iſt. Fuͤhrt ſich dieſer auf, wie es die Wuͤnſche der Aeltern, und deine unermuͤdete Sorgfalt ver- langen; ſo iſt es nur ſein guter natuͤrlicher Cha- rakter, dem man es zu danken hat. Schweift er aus; ſo iſt kein Menſch Schuld daran, als der Hof- meiſter. Jch habe Mitleiden mit dem rechtſchaf- fenen Manne. Sein Amt iſt in vielerley Abſicht eines der wichtigſten, und doch iſt ein alter Hof- meiſter immer derjenige, welcher am meiſten geta- delt, und am wenigſten belohnt wird. Er macht viel- (40) Und dieſer iſt mein Freund N ‒ ‒ h.

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 532[530]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/554>, abgerufen am 28.03.2024.