Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

anwenden, um das Bewußtseyn unsers Selbstes zu erhalten.

Die Selbstverwandlungskraft äußert sich, wenn wir die Verhältnisse, worin die sinnlichen Eindrücke der Körper, und die Bilder der Seele zu unserm Selbst stehen, dergestalt vergessen, daß wir die Trennung zwischen diesem unserm Selbst und jenen Eindrücken und Bildern nicht weiter anerkennen. Wir erhalten das Bewußtseyn unserer Existenz und unsers Wohls mit derjenigen Modification, welche ihm die Eigenheiten der Gegenstände geben, die auf uns eingewirkt haben, und glauben dasjenige zu seyn, was von außen auf unsern Körper wirkt, oder als ein Bild, zwar in unserm Kopfe, aber doch noch getrennt von unserm Selbst, erscheinen sollte.

Die Beyspiele von Menschen, welche sich in Glas, Steine, Strohhalme, kurz, in solche Körper, welche am wenigsten mit dem unsrigen verwechselt werden können, verwandelt glaubten, sind eben so häufig, als die solcher Menschen, welche sich in Könige, Götter, kurz, in Bilder von Personen verwandelt haben, deren Verhältnisse in der auffallendsten Verschiedenheit von den ihrigen standen.

Dieser Zustand ist unstreitig Wahnsinn, wenn er in seiner größten Vollständigkeit anhaltend empfunden wird; inzwischen dürften wenig Menschen seyn, die nicht auf Augenblicke diesen Zustand in ihrem Leben vollkommener oder unvollkommener erfahren haben sollten. Gewisse Aeußerungen des Genies lassen sich ohne diese Selbstverwandlungskraft nicht denken, und vielleicht dürften wenig Meisterstücke der schönen Künste ohne ihre Mitwirkung verfertigt seyn.

anwenden, um das Bewußtseyn unsers Selbstes zu erhalten.

Die Selbstverwandlungskraft äußert sich, wenn wir die Verhältnisse, worin die sinnlichen Eindrücke der Körper, und die Bilder der Seele zu unserm Selbst stehen, dergestalt vergessen, daß wir die Trennung zwischen diesem unserm Selbst und jenen Eindrücken und Bildern nicht weiter anerkennen. Wir erhalten das Bewußtseyn unserer Existenz und unsers Wohls mit derjenigen Modification, welche ihm die Eigenheiten der Gegenstände geben, die auf uns eingewirkt haben, und glauben dasjenige zu seyn, was von außen auf unsern Körper wirkt, oder als ein Bild, zwar in unserm Kopfe, aber doch noch getrennt von unserm Selbst, erscheinen sollte.

Die Beyspiele von Menschen, welche sich in Glas, Steine, Strohhalme, kurz, in solche Körper, welche am wenigsten mit dem unsrigen verwechselt werden können, verwandelt glaubten, sind eben so häufig, als die solcher Menschen, welche sich in Könige, Götter, kurz, in Bilder von Personen verwandelt haben, deren Verhältnisse in der auffallendsten Verschiedenheit von den ihrigen standen.

Dieser Zustand ist unstreitig Wahnsinn, wenn er in seiner größten Vollständigkeit anhaltend empfunden wird; inzwischen dürften wenig Menschen seyn, die nicht auf Augenblicke diesen Zustand in ihrem Leben vollkommener oder unvollkommener erfahren haben sollten. Gewisse Aeußerungen des Genies lassen sich ohne diese Selbstverwandlungskraft nicht denken, und vielleicht dürften wenig Meisterstücke der schönen Künste ohne ihre Mitwirkung verfertigt seyn.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0258" n="258"/>
anwenden, um das Bewußtseyn unsers Selbstes zu erhalten.</p>
            <p>Die Selbstverwandlungskraft äußert sich, wenn wir die Verhältnisse, worin die sinnlichen Eindrücke der Körper, und die Bilder der Seele zu unserm Selbst stehen, dergestalt vergessen, daß wir die Trennung zwischen diesem unserm Selbst und jenen Eindrücken und Bildern nicht weiter anerkennen. Wir erhalten das Bewußtseyn unserer Existenz und unsers Wohls mit derjenigen Modification, welche ihm die Eigenheiten der Gegenstände geben, die auf uns eingewirkt haben, und glauben dasjenige zu seyn, was von außen auf unsern Körper wirkt, oder als ein Bild, zwar in unserm Kopfe, aber doch noch getrennt von unserm Selbst, erscheinen sollte.</p>
            <p>Die Beyspiele von Menschen, welche sich in Glas, Steine, Strohhalme, kurz, in solche Körper, welche am wenigsten mit dem unsrigen verwechselt werden können, verwandelt glaubten, sind eben so häufig, als die solcher Menschen, welche sich in Könige, Götter, kurz, in Bilder von Personen verwandelt haben, deren Verhältnisse in der auffallendsten Verschiedenheit von den ihrigen standen.</p>
            <p>Dieser Zustand ist unstreitig Wahnsinn, wenn er in seiner größten Vollständigkeit anhaltend empfunden wird; inzwischen dürften wenig Menschen seyn, die nicht auf Augenblicke diesen Zustand in ihrem Leben vollkommener oder unvollkommener erfahren haben sollten. Gewisse Aeußerungen des Genies lassen sich ohne diese Selbstverwandlungskraft nicht denken, und vielleicht dürften wenig Meisterstücke der schönen Künste ohne ihre Mitwirkung verfertigt seyn.</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0258] anwenden, um das Bewußtseyn unsers Selbstes zu erhalten. Die Selbstverwandlungskraft äußert sich, wenn wir die Verhältnisse, worin die sinnlichen Eindrücke der Körper, und die Bilder der Seele zu unserm Selbst stehen, dergestalt vergessen, daß wir die Trennung zwischen diesem unserm Selbst und jenen Eindrücken und Bildern nicht weiter anerkennen. Wir erhalten das Bewußtseyn unserer Existenz und unsers Wohls mit derjenigen Modification, welche ihm die Eigenheiten der Gegenstände geben, die auf uns eingewirkt haben, und glauben dasjenige zu seyn, was von außen auf unsern Körper wirkt, oder als ein Bild, zwar in unserm Kopfe, aber doch noch getrennt von unserm Selbst, erscheinen sollte. Die Beyspiele von Menschen, welche sich in Glas, Steine, Strohhalme, kurz, in solche Körper, welche am wenigsten mit dem unsrigen verwechselt werden können, verwandelt glaubten, sind eben so häufig, als die solcher Menschen, welche sich in Könige, Götter, kurz, in Bilder von Personen verwandelt haben, deren Verhältnisse in der auffallendsten Verschiedenheit von den ihrigen standen. Dieser Zustand ist unstreitig Wahnsinn, wenn er in seiner größten Vollständigkeit anhaltend empfunden wird; inzwischen dürften wenig Menschen seyn, die nicht auf Augenblicke diesen Zustand in ihrem Leben vollkommener oder unvollkommener erfahren haben sollten. Gewisse Aeußerungen des Genies lassen sich ohne diese Selbstverwandlungskraft nicht denken, und vielleicht dürften wenig Meisterstücke der schönen Künste ohne ihre Mitwirkung verfertigt seyn.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/258
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/258>, abgerufen am 25.04.2024.