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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798.

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Bestreben nach Vereinigung sogleich endigen wird. Die Geselligkeit genießt während des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Vereinigung mit dem Gegenstande, und nach Ausbildung des Genusses. Aber dieser Charakter wird noch viel bestimmter bezeichnet, wenn wir zugleich auf die Wirkung Rücksicht nehmen, die dieser Genuß auf den Gegenstand hat, der ihn uns gewährt.

Ich theile meine Aufmerksamkeit zwischen meinem Zustande und dem meiner Genossen. Ich will mit ihnen gemeinschaftlich da, gemeinschaftlich wohl seyn. Ich begnüge mich daher nicht, wie bey der Beschauungswonne, ihr Wesen, gleichsam wie eine Gestalt, ohne auf ihr Wohl zu achten, aus der Ferne zu erkennen, und mich selbst dabey zu vergessen. Nein! ich nähere mich ihnen, ich achte auf ihren Zustand, ich urtheile über ihr Wohl, und eigne mir dieses zu. Aber, was ich mir nun von ihnen zueigne, das nimmt ihnen nichts: was ich von ihnen brauche, das verbraucht sie nicht; der Vortheil, den ich von ihnen ziehe, macht sie nicht ärmer. Nein! gerade was sie mir geben, das ist dasjenige, was ich ihnen zu geben wünsche: ihr Wohl! Ich suche mich ihnen gleich zu stellen, aber nicht sie zu besitzen, noch weniger sie zu verderben oder sie zu zerstören.

Und so hat denn die Wonne der Geselligkeit die größte Aehnlichkeit mit der Wollust, die wir durch die Berührung der Oberfläche eines Körpers einnehmen. So wie bey dieser die Tastungsorgane sich an den äußern Körper anschmiegen, sich allmählig dehnen, nach engerer Verbindung und nach Ausbildung des gegenwärtigen Genusses streben; so neigt sich auch die Seele an die Gegenstände an, die sie als ihre Genossen betrachtet, und ruht gleichsam streichelnd an ihrer Seite. So wie durch

Bestreben nach Vereinigung sogleich endigen wird. Die Geselligkeit genießt während des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Vereinigung mit dem Gegenstande, und nach Ausbildung des Genusses. Aber dieser Charakter wird noch viel bestimmter bezeichnet, wenn wir zugleich auf die Wirkung Rücksicht nehmen, die dieser Genuß auf den Gegenstand hat, der ihn uns gewährt.

Ich theile meine Aufmerksamkeit zwischen meinem Zustande und dem meiner Genossen. Ich will mit ihnen gemeinschaftlich da, gemeinschaftlich wohl seyn. Ich begnüge mich daher nicht, wie bey der Beschauungswonne, ihr Wesen, gleichsam wie eine Gestalt, ohne auf ihr Wohl zu achten, aus der Ferne zu erkennen, und mich selbst dabey zu vergessen. Nein! ich nähere mich ihnen, ich achte auf ihren Zustand, ich urtheile über ihr Wohl, und eigne mir dieses zu. Aber, was ich mir nun von ihnen zueigne, das nimmt ihnen nichts: was ich von ihnen brauche, das verbraucht sie nicht; der Vortheil, den ich von ihnen ziehe, macht sie nicht ärmer. Nein! gerade was sie mir geben, das ist dasjenige, was ich ihnen zu geben wünsche: ihr Wohl! Ich suche mich ihnen gleich zu stellen, aber nicht sie zu besitzen, noch weniger sie zu verderben oder sie zu zerstören.

Und so hat denn die Wonne der Geselligkeit die größte Aehnlichkeit mit der Wollust, die wir durch die Berührung der Oberfläche eines Körpers einnehmen. So wie bey dieser die Tastungsorgane sich an den äußern Körper anschmiegen, sich allmählig dehnen, nach engerer Verbindung und nach Ausbildung des gegenwärtigen Genusses streben; so neigt sich auch die Seele an die Gegenstände an, die sie als ihre Genossen betrachtet, und ruht gleichsam streichelnd an ihrer Seite. So wie durch

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Bestreben nach Vereinigung sogleich endigen wird. Die Geselligkeit genießt während des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Vereinigung mit dem Gegenstande, und nach Ausbildung des Genusses. Aber dieser Charakter wird noch viel bestimmter bezeichnet, wenn wir zugleich auf die Wirkung Rücksicht nehmen, die dieser Genuß auf den Gegenstand hat, der ihn uns gewährt.</p>
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[44/0044] Bestreben nach Vereinigung sogleich endigen wird. Die Geselligkeit genießt während des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Vereinigung mit dem Gegenstande, und nach Ausbildung des Genusses. Aber dieser Charakter wird noch viel bestimmter bezeichnet, wenn wir zugleich auf die Wirkung Rücksicht nehmen, die dieser Genuß auf den Gegenstand hat, der ihn uns gewährt. Ich theile meine Aufmerksamkeit zwischen meinem Zustande und dem meiner Genossen. Ich will mit ihnen gemeinschaftlich da, gemeinschaftlich wohl seyn. Ich begnüge mich daher nicht, wie bey der Beschauungswonne, ihr Wesen, gleichsam wie eine Gestalt, ohne auf ihr Wohl zu achten, aus der Ferne zu erkennen, und mich selbst dabey zu vergessen. Nein! ich nähere mich ihnen, ich achte auf ihren Zustand, ich urtheile über ihr Wohl, und eigne mir dieses zu. Aber, was ich mir nun von ihnen zueigne, das nimmt ihnen nichts: was ich von ihnen brauche, das verbraucht sie nicht; der Vortheil, den ich von ihnen ziehe, macht sie nicht ärmer. Nein! gerade was sie mir geben, das ist dasjenige, was ich ihnen zu geben wünsche: ihr Wohl! Ich suche mich ihnen gleich zu stellen, aber nicht sie zu besitzen, noch weniger sie zu verderben oder sie zu zerstören. Und so hat denn die Wonne der Geselligkeit die größte Aehnlichkeit mit der Wollust, die wir durch die Berührung der Oberfläche eines Körpers einnehmen. So wie bey dieser die Tastungsorgane sich an den äußern Körper anschmiegen, sich allmählig dehnen, nach engerer Verbindung und nach Ausbildung des gegenwärtigen Genusses streben; so neigt sich auch die Seele an die Gegenstände an, die sie als ihre Genossen betrachtet, und ruht gleichsam streichelnd an ihrer Seite. So wie durch

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Erster Theil: Naturkunde der Liebe. Leipzig, 1798, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus01_1798/44>, abgerufen am 28.03.2024.