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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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nur die herrschenden sind! Schon in die einzelne liebende Aufwallung mischt sich so leicht die Geschlechtssympathie; schon in die Gefühle des Schönen und Vollkommnen mischt sie sich so leicht ein; ihr Wesen besteht aus einer gezärtelten Spannung, die allemahl erfolgt, wo hebende Zartheit mit geschmeidiger Stärke zusammentrifft; und diese Personen, die in häuslicher Vertraulichkeit, (an sich schon eine üppige Vorstellung!) zusammen leben; durch Formen, mimischen Ausdruck und Beywerke den Sinnen üppige Eindrücke geben; durch Gedanken, Gefühle, Ausdrücke, Wendungen, Charaktere und Verhältnisse der Seele üppige Vorstellungen zuführen; diese sollten dem allgemeinen Gesetze der Natur nicht huldigen? - Unmöglich!

Ein jeder prüfe sich genau! Er wird an der Wahrheit meiner Behauptungen nicht mehr zweifeln. Der Vater umarme den zärtlich geliebten Sohn, und dann die zärtlich geliebte Tochter; - er wird den Unterschied fühlen! Der Bruder umarme den zärtlich geliebten Bruder, und dann die zärtlich geliebte Schwester, er wird den Unterschied fühlen! An grobe Symptome der Lüsternheit und des unnennbaren Triebes ist freylich nicht zu denken. Und dennoch bedarf es oft der ganzen Macht der Erziehung und der Pflicht, um dem Andringen der Begierden, selbst unter Eltern und Kindern und Geschwistern, Einhalt zu thun.

Wird nun aus der Zärtlichkeit zu einer Person von verschiedenem Geschlechte gar Leidenschaft, so ist es ganz unmöglich, daß die körperliche Geschlechtssympathie nicht mit in Wirksamkeit komme. Denn da der Charakter dieser Leidenschaft darin besteht, daß unser ganzes aus Körper und Seele bestehendes Wesen nach Vereinigung mit

nur die herrschenden sind! Schon in die einzelne liebende Aufwallung mischt sich so leicht die Geschlechtssympathie; schon in die Gefühle des Schönen und Vollkommnen mischt sie sich so leicht ein; ihr Wesen besteht aus einer gezärtelten Spannung, die allemahl erfolgt, wo hebende Zartheit mit geschmeidiger Stärke zusammentrifft; und diese Personen, die in häuslicher Vertraulichkeit, (an sich schon eine üppige Vorstellung!) zusammen leben; durch Formen, mimischen Ausdruck und Beywerke den Sinnen üppige Eindrücke geben; durch Gedanken, Gefühle, Ausdrücke, Wendungen, Charaktere und Verhältnisse der Seele üppige Vorstellungen zuführen; diese sollten dem allgemeinen Gesetze der Natur nicht huldigen? – Unmöglich!

Ein jeder prüfe sich genau! Er wird an der Wahrheit meiner Behauptungen nicht mehr zweifeln. Der Vater umarme den zärtlich geliebten Sohn, und dann die zärtlich geliebte Tochter; – er wird den Unterschied fühlen! Der Bruder umarme den zärtlich geliebten Bruder, und dann die zärtlich geliebte Schwester, er wird den Unterschied fühlen! An grobe Symptome der Lüsternheit und des unnennbaren Triebes ist freylich nicht zu denken. Und dennoch bedarf es oft der ganzen Macht der Erziehung und der Pflicht, um dem Andringen der Begierden, selbst unter Eltern und Kindern und Geschwistern, Einhalt zu thun.

Wird nun aus der Zärtlichkeit zu einer Person von verschiedenem Geschlechte gar Leidenschaft, so ist es ganz unmöglich, daß die körperliche Geschlechtssympathie nicht mit in Wirksamkeit komme. Denn da der Charakter dieser Leidenschaft darin besteht, daß unser ganzes aus Körper und Seele bestehendes Wesen nach Vereinigung mit

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[102/0102] nur die herrschenden sind! Schon in die einzelne liebende Aufwallung mischt sich so leicht die Geschlechtssympathie; schon in die Gefühle des Schönen und Vollkommnen mischt sie sich so leicht ein; ihr Wesen besteht aus einer gezärtelten Spannung, die allemahl erfolgt, wo hebende Zartheit mit geschmeidiger Stärke zusammentrifft; und diese Personen, die in häuslicher Vertraulichkeit, (an sich schon eine üppige Vorstellung!) zusammen leben; durch Formen, mimischen Ausdruck und Beywerke den Sinnen üppige Eindrücke geben; durch Gedanken, Gefühle, Ausdrücke, Wendungen, Charaktere und Verhältnisse der Seele üppige Vorstellungen zuführen; diese sollten dem allgemeinen Gesetze der Natur nicht huldigen? – Unmöglich! Ein jeder prüfe sich genau! Er wird an der Wahrheit meiner Behauptungen nicht mehr zweifeln. Der Vater umarme den zärtlich geliebten Sohn, und dann die zärtlich geliebte Tochter; – er wird den Unterschied fühlen! Der Bruder umarme den zärtlich geliebten Bruder, und dann die zärtlich geliebte Schwester, er wird den Unterschied fühlen! An grobe Symptome der Lüsternheit und des unnennbaren Triebes ist freylich nicht zu denken. Und dennoch bedarf es oft der ganzen Macht der Erziehung und der Pflicht, um dem Andringen der Begierden, selbst unter Eltern und Kindern und Geschwistern, Einhalt zu thun. Wird nun aus der Zärtlichkeit zu einer Person von verschiedenem Geschlechte gar Leidenschaft, so ist es ganz unmöglich, daß die körperliche Geschlechtssympathie nicht mit in Wirksamkeit komme. Denn da der Charakter dieser Leidenschaft darin besteht, daß unser ganzes aus Körper und Seele bestehendes Wesen nach Vereinigung mit

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/102>, abgerufen am 23.04.2024.