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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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Nach dieser Ausführung wird sich nun mit einigem Grade von Zuverlässigkeit bestimmen lassen, welchen Antheil die Sinne, außer dem Auge; und noch mehr die körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit an dem Gefühle der physischen Schönheit nehmen.

An der ernsten, darf ich glauben, wenig oder gar keinen. Das Auge ist hier allein Genießer. An der unterhaltenden mehr. An der zarten aber nehmen wahrscheinlich alle Sinne, und auch die unterste Stufe der Geschlechtssympathie, die Ueppigkeit, Antheil. Entsteht Lüsternheit, oder gar der unnennbare Trieb nach Körperverbindung, so ist das Gefühl der Schönheit bis dahin, daß der Körper wieder beruhigt wird, verloren, und es wird ein Gefühl daraus, welches der Selbstheit oder der Sympathie anzugehören anfängt.

Die Seele wendet auf jede Schönheit gewisse Gesetze des Verstandes und der Vernunft an, und beurtheilt die Form nach Begriffen von Wahrheit und Tüchtigkeit, welche über gewisse Gattungen, Geschlechter, Alter und Stände festgesetzt sind, und sich ihr bey der Anschauung instinktartig darstellen. Aber nie sucht die Seele bey dem Gefühle der Schönheit absichtlich den Abdruck einer schönen Seele. Denn abgerechnet, daß sie in unzähligen Fällen sich um den Genuß der Schönheit bringen, den ernsten Pluto, den trotzigen Ajax, die liebäugelnde Venus, den scurrilischen Faun, geradezu aus der Classe der Schönheiten heraus werfen müßte; abgerechnet, daß diese Wahrnehmung einer schönen Seele an den äußern Formen die unbestimmteste und unzuverlässigste Sache von der Welt ist; so besteht auch diese deutlich gedachte Beziehung der sinnlichen Form auf etwas Unsinnliches gar nicht mit der Wonne der Beschauung. Der

Nach dieser Ausführung wird sich nun mit einigem Grade von Zuverlässigkeit bestimmen lassen, welchen Antheil die Sinne, außer dem Auge; und noch mehr die körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit an dem Gefühle der physischen Schönheit nehmen.

An der ernsten, darf ich glauben, wenig oder gar keinen. Das Auge ist hier allein Genießer. An der unterhaltenden mehr. An der zarten aber nehmen wahrscheinlich alle Sinne, und auch die unterste Stufe der Geschlechtssympathie, die Ueppigkeit, Antheil. Entsteht Lüsternheit, oder gar der unnennbare Trieb nach Körperverbindung, so ist das Gefühl der Schönheit bis dahin, daß der Körper wieder beruhigt wird, verloren, und es wird ein Gefühl daraus, welches der Selbstheit oder der Sympathie anzugehören anfängt.

Die Seele wendet auf jede Schönheit gewisse Gesetze des Verstandes und der Vernunft an, und beurtheilt die Form nach Begriffen von Wahrheit und Tüchtigkeit, welche über gewisse Gattungen, Geschlechter, Alter und Stände festgesetzt sind, und sich ihr bey der Anschauung instinktartig darstellen. Aber nie sucht die Seele bey dem Gefühle der Schönheit absichtlich den Abdruck einer schönen Seele. Denn abgerechnet, daß sie in unzähligen Fällen sich um den Genuß der Schönheit bringen, den ernsten Pluto, den trotzigen Ajax, die liebäugelnde Venus, den scurrilischen Faun, geradezu aus der Classe der Schönheiten heraus werfen müßte; abgerechnet, daß diese Wahrnehmung einer schönen Seele an den äußern Formen die unbestimmteste und unzuverlässigste Sache von der Welt ist; so besteht auch diese deutlich gedachte Beziehung der sinnlichen Form auf etwas Unsinnliches gar nicht mit der Wonne der Beschauung. Der

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[128/0128] Nach dieser Ausführung wird sich nun mit einigem Grade von Zuverlässigkeit bestimmen lassen, welchen Antheil die Sinne, außer dem Auge; und noch mehr die körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit an dem Gefühle der physischen Schönheit nehmen. An der ernsten, darf ich glauben, wenig oder gar keinen. Das Auge ist hier allein Genießer. An der unterhaltenden mehr. An der zarten aber nehmen wahrscheinlich alle Sinne, und auch die unterste Stufe der Geschlechtssympathie, die Ueppigkeit, Antheil. Entsteht Lüsternheit, oder gar der unnennbare Trieb nach Körperverbindung, so ist das Gefühl der Schönheit bis dahin, daß der Körper wieder beruhigt wird, verloren, und es wird ein Gefühl daraus, welches der Selbstheit oder der Sympathie anzugehören anfängt. Die Seele wendet auf jede Schönheit gewisse Gesetze des Verstandes und der Vernunft an, und beurtheilt die Form nach Begriffen von Wahrheit und Tüchtigkeit, welche über gewisse Gattungen, Geschlechter, Alter und Stände festgesetzt sind, und sich ihr bey der Anschauung instinktartig darstellen. Aber nie sucht die Seele bey dem Gefühle der Schönheit absichtlich den Abdruck einer schönen Seele. Denn abgerechnet, daß sie in unzähligen Fällen sich um den Genuß der Schönheit bringen, den ernsten Pluto, den trotzigen Ajax, die liebäugelnde Venus, den scurrilischen Faun, geradezu aus der Classe der Schönheiten heraus werfen müßte; abgerechnet, daß diese Wahrnehmung einer schönen Seele an den äußern Formen die unbestimmteste und unzuverlässigste Sache von der Welt ist; so besteht auch diese deutlich gedachte Beziehung der sinnlichen Form auf etwas Unsinnliches gar nicht mit der Wonne der Beschauung. Der

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/128>, abgerufen am 25.04.2024.