Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Wesen streben, das sich durch diese Form auszeichnet. Man ist im gemeinen Leben sehr geneigt, diese lebhafte Bewegung, welche die physische Form auf uns macht, sogleich und ausschließend auf Rechnung der erregten körperlichen Geschlechtssympathie, der Lüsternheit und sogar des unnennbaren Triebes zu setzen. Aber dieß scheint sehr übereilt geschlossen zu seyn. Es brauchen gar nicht lebende Menschen, ja, es brauchen gar nicht einmahl Menschen oder Figuren lebendiger Wesen zu seyn, welche diese Begeisterung einflößen. Gebäude wie das Pantheon, die Peterskirche, Gegenden wie der Golfo von Neapel u. s. w. können sie erwecken. Inzwischen wenn es menschliche Figuren sind, so läßt es sich nicht läugnen, daß die körperliche Geschlechtssympathie sehr leicht bey der Begeisterung, welche sie uns einflößen, mit einwirken könne. Nur ist die Art, wie dieß geschieht, nicht immer dieselbe, und die Folge nicht unbedingt. In manchen Fällen erwacht zuerst die Lüsternheit des Körpers, wirkt hervorstechend, zieht die Besessenheit des Geistes nach sich: in andern erwacht diese zuerst, und steckt den Körper zufällig an, so daß dieser zuweilen mittelbar lüstern werden mag.

Wenn es eine ernste Schönheit ist, die uns begeistert, so ist höchst wahrscheinlich der Gang folgender: es entsteht ein lebhaftes Bild einer vollkommenen Form in unserer Seele. Mit dieser verbindet sich das Bild eines vollkommenen Geistes in jener Form, in Vergleichung mit dem wir den unsrigen niedrig, aber doch in einem solchen Verhältnisse fühlen, daß wir die Möglichkeit einer Annäherung oder Vereinigung ahnden. Ist es ein lebender Mensch, so rechnen wir auf seine auszeichnende Zuneigung; ist es ein Kunstprodukt so denken

Wesen streben, das sich durch diese Form auszeichnet. Man ist im gemeinen Leben sehr geneigt, diese lebhafte Bewegung, welche die physische Form auf uns macht, sogleich und ausschließend auf Rechnung der erregten körperlichen Geschlechtssympathie, der Lüsternheit und sogar des unnennbaren Triebes zu setzen. Aber dieß scheint sehr übereilt geschlossen zu seyn. Es brauchen gar nicht lebende Menschen, ja, es brauchen gar nicht einmahl Menschen oder Figuren lebendiger Wesen zu seyn, welche diese Begeisterung einflößen. Gebäude wie das Pantheon, die Peterskirche, Gegenden wie der Golfo von Neapel u. s. w. können sie erwecken. Inzwischen wenn es menschliche Figuren sind, so läßt es sich nicht läugnen, daß die körperliche Geschlechtssympathie sehr leicht bey der Begeisterung, welche sie uns einflößen, mit einwirken könne. Nur ist die Art, wie dieß geschieht, nicht immer dieselbe, und die Folge nicht unbedingt. In manchen Fällen erwacht zuerst die Lüsternheit des Körpers, wirkt hervorstechend, zieht die Besessenheit des Geistes nach sich: in andern erwacht diese zuerst, und steckt den Körper zufällig an, so daß dieser zuweilen mittelbar lüstern werden mag.

Wenn es eine ernste Schönheit ist, die uns begeistert, so ist höchst wahrscheinlich der Gang folgender: es entsteht ein lebhaftes Bild einer vollkommenen Form in unserer Seele. Mit dieser verbindet sich das Bild eines vollkommenen Geistes in jener Form, in Vergleichung mit dem wir den unsrigen niedrig, aber doch in einem solchen Verhältnisse fühlen, daß wir die Möglichkeit einer Annäherung oder Vereinigung ahnden. Ist es ein lebender Mensch, so rechnen wir auf seine auszeichnende Zuneigung; ist es ein Kunstprodukt so denken

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0130" n="130"/>
Wesen streben, das sich durch diese Form auszeichnet. Man ist im gemeinen Leben sehr geneigt, diese lebhafte Bewegung, welche die physische Form auf uns macht, sogleich und ausschließend auf Rechnung der erregten körperlichen Geschlechtssympathie, der Lüsternheit und sogar des unnennbaren Triebes zu setzen. Aber dieß scheint sehr übereilt geschlossen zu seyn. Es brauchen gar nicht lebende Menschen, ja, es brauchen gar nicht einmahl Menschen oder Figuren lebendiger Wesen zu seyn, welche diese Begeisterung einflößen. Gebäude wie das Pantheon, die Peterskirche, Gegenden wie der Golfo von Neapel u. s. w. können sie erwecken. Inzwischen wenn es menschliche Figuren sind, so läßt es sich nicht läugnen, daß die körperliche Geschlechtssympathie sehr leicht bey der Begeisterung, welche sie uns einflößen, mit einwirken könne. Nur ist die Art, wie dieß geschieht, nicht immer dieselbe, und die Folge nicht unbedingt. In manchen Fällen erwacht zuerst die Lüsternheit des Körpers, wirkt hervorstechend, zieht die Besessenheit des Geistes nach sich: in andern erwacht diese zuerst, und steckt den Körper zufällig an, so daß dieser zuweilen mittelbar lüstern werden mag.</p>
            <p>Wenn es eine <hi rendition="#g">ernste</hi> Schönheit ist, die uns begeistert, so ist höchst wahrscheinlich der Gang folgender: es entsteht ein lebhaftes Bild einer vollkommenen Form in unserer Seele. Mit dieser verbindet sich das Bild eines vollkommenen Geistes in jener Form, in Vergleichung mit dem wir den unsrigen niedrig, aber doch in einem solchen Verhältnisse fühlen, daß wir die Möglichkeit einer Annäherung oder Vereinigung ahnden. Ist es ein lebender Mensch, so rechnen wir auf seine auszeichnende Zuneigung; ist es ein Kunstprodukt so denken
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0130] Wesen streben, das sich durch diese Form auszeichnet. Man ist im gemeinen Leben sehr geneigt, diese lebhafte Bewegung, welche die physische Form auf uns macht, sogleich und ausschließend auf Rechnung der erregten körperlichen Geschlechtssympathie, der Lüsternheit und sogar des unnennbaren Triebes zu setzen. Aber dieß scheint sehr übereilt geschlossen zu seyn. Es brauchen gar nicht lebende Menschen, ja, es brauchen gar nicht einmahl Menschen oder Figuren lebendiger Wesen zu seyn, welche diese Begeisterung einflößen. Gebäude wie das Pantheon, die Peterskirche, Gegenden wie der Golfo von Neapel u. s. w. können sie erwecken. Inzwischen wenn es menschliche Figuren sind, so läßt es sich nicht läugnen, daß die körperliche Geschlechtssympathie sehr leicht bey der Begeisterung, welche sie uns einflößen, mit einwirken könne. Nur ist die Art, wie dieß geschieht, nicht immer dieselbe, und die Folge nicht unbedingt. In manchen Fällen erwacht zuerst die Lüsternheit des Körpers, wirkt hervorstechend, zieht die Besessenheit des Geistes nach sich: in andern erwacht diese zuerst, und steckt den Körper zufällig an, so daß dieser zuweilen mittelbar lüstern werden mag. Wenn es eine ernste Schönheit ist, die uns begeistert, so ist höchst wahrscheinlich der Gang folgender: es entsteht ein lebhaftes Bild einer vollkommenen Form in unserer Seele. Mit dieser verbindet sich das Bild eines vollkommenen Geistes in jener Form, in Vergleichung mit dem wir den unsrigen niedrig, aber doch in einem solchen Verhältnisse fühlen, daß wir die Möglichkeit einer Annäherung oder Vereinigung ahnden. Ist es ein lebender Mensch, so rechnen wir auf seine auszeichnende Zuneigung; ist es ein Kunstprodukt so denken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/130
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/130>, abgerufen am 25.04.2024.