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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

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Zweytes Kapitel.

Was heißt Edel?

Beyde Worte: Edel und Schön, bezeichnen Eindrücke und Bilder, die wollüstig und wonnevoll auf unsern Beschauungshang wirken, d. h. auf diejenige Seite unserer Reitzbarkeit, die bey völliger Ruhe unsers Bestrebungsvermögens, bey abgezogener Aufmerksamkeit von unserm selbsteigenen Zustande, bloß durch die Bemerkung des Auffallenden der Eigenthümlichkeiten eines Gegenstandes, dem wir uns von ferne nähern, zur Lust oder Unlust gereitzt werden kann.

Hieraus ergiebt sich sogleich, warum beydes oft mit einander verwechselt wird. Denn beydes setzt etwas Abstechendes, Auffallendes und Hervorragendes zum Voraus, das unmittelbar bey der Wahrnehmung und Erkenntniß, ohne vorgängige Beziehung auf unsre Person, und unsre selbstischen oder sympathetischen Verhältnisse, Wonne erweckt. Die Aufopferung für andere wird daher so wohl edel als schön genannt, in so fern wir sie mit der Klugheit des Eigennutzes, oder mit der sympathetischen Mitfreude vergleichen.

Allein wir unterscheiden das Edle von dem Schönen, wenn wir verschiedene Wonnegefühle, die dem Beschauungshange gehören, unter sich vergleichen. Edel, nicht schön, ist dann das Riesenmonument, das dem Zahne der Zeit seit Jahrtausenden trotzt; schön, nicht edel, ist die niedliche Bauernhütte, deren mahlerische Form die Landschaft belebt. Edel, nicht schön, ist der mürrische

Zweytes Kapitel.

Was heißt Edel?

Beyde Worte: Edel und Schön, bezeichnen Eindrücke und Bilder, die wollüstig und wonnevoll auf unsern Beschauungshang wirken, d. h. auf diejenige Seite unserer Reitzbarkeit, die bey völliger Ruhe unsers Bestrebungsvermögens, bey abgezogener Aufmerksamkeit von unserm selbsteigenen Zustande, bloß durch die Bemerkung des Auffallenden der Eigenthümlichkeiten eines Gegenstandes, dem wir uns von ferne nähern, zur Lust oder Unlust gereitzt werden kann.

Hieraus ergiebt sich sogleich, warum beydes oft mit einander verwechselt wird. Denn beydes setzt etwas Abstechendes, Auffallendes und Hervorragendes zum Voraus, das unmittelbar bey der Wahrnehmung und Erkenntniß, ohne vorgängige Beziehung auf unsre Person, und unsre selbstischen oder sympathetischen Verhältnisse, Wonne erweckt. Die Aufopferung für andere wird daher so wohl edel als schön genannt, in so fern wir sie mit der Klugheit des Eigennutzes, oder mit der sympathetischen Mitfreude vergleichen.

Allein wir unterscheiden das Edle von dem Schönen, wenn wir verschiedene Wonnegefühle, die dem Beschauungshange gehören, unter sich vergleichen. Edel, nicht schön, ist dann das Riesenmonument, das dem Zahne der Zeit seit Jahrtausenden trotzt; schön, nicht edel, ist die niedliche Bauernhütte, deren mahlerische Form die Landschaft belebt. Edel, nicht schön, ist der mürrische

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[15/0015] Zweytes Kapitel. Was heißt Edel? Beyde Worte: Edel und Schön, bezeichnen Eindrücke und Bilder, die wollüstig und wonnevoll auf unsern Beschauungshang wirken, d. h. auf diejenige Seite unserer Reitzbarkeit, die bey völliger Ruhe unsers Bestrebungsvermögens, bey abgezogener Aufmerksamkeit von unserm selbsteigenen Zustande, bloß durch die Bemerkung des Auffallenden der Eigenthümlichkeiten eines Gegenstandes, dem wir uns von ferne nähern, zur Lust oder Unlust gereitzt werden kann. Hieraus ergiebt sich sogleich, warum beydes oft mit einander verwechselt wird. Denn beydes setzt etwas Abstechendes, Auffallendes und Hervorragendes zum Voraus, das unmittelbar bey der Wahrnehmung und Erkenntniß, ohne vorgängige Beziehung auf unsre Person, und unsre selbstischen oder sympathetischen Verhältnisse, Wonne erweckt. Die Aufopferung für andere wird daher so wohl edel als schön genannt, in so fern wir sie mit der Klugheit des Eigennutzes, oder mit der sympathetischen Mitfreude vergleichen. Allein wir unterscheiden das Edle von dem Schönen, wenn wir verschiedene Wonnegefühle, die dem Beschauungshange gehören, unter sich vergleichen. Edel, nicht schön, ist dann das Riesenmonument, das dem Zahne der Zeit seit Jahrtausenden trotzt; schön, nicht edel, ist die niedliche Bauernhütte, deren mahlerische Form die Landschaft belebt. Edel, nicht schön, ist der mürrische

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/15>, abgerufen am 18.04.2024.