Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

Sinn habe. Hingegen pauscht diejenige, welche diesen Sinn hat, kein Tuch, legt keine Falte, steckt keine Nadel, aus der er nicht hervorleuchten sollte.

In welchem erhöheten Lichte sieht nun noch der Liebende diesen Vorzug an der Hälfte seines Wesens! Nein, das Gewand der Farnesischen Flora kann den Kenner des Schönen nie so rühren, wie den Liebenden die einfache Rose entzückt, von der geschmackvollen Hand der Geliebten in das Gewebe ihrer Haare geflochten. Vor seinen Augen kann sich die Colonnade des Louvres an Wirkung nicht mit dem Blumentopfe messen, den eben jene Hand zur Vase von gefälliger Form umgeschaffen hat!

Zwölftes Kapitel.

Hieroglyphie der Liebe.

Unzählig sind die kleinen Gefälligkeiten und Aufmerksamkeiten, wodurch der Liebende das Gefühl der Wesenvereinigung auszudrücken und zu erwecken, und dadurch die unbedeutendsten Gegenstände, die alltäglichsten Vorfälle interessant zu machen weiß! Ein Genuß, der vielleicht jedem andern an Reitze beykommt, wenn er schon nicht in jedem Augenblicke mit gleicher Stärke empfunden wird. Wie süß ist es, mitten unter einem Haufen kalter Zuschauer aus Zeichen und Handlungen, die diesem ganz gewöhnlich, ganz gleichgültig scheinen, die Gewißheit zu nehmen, daß man unaussprechlich geliebt werde.

Es giebt keinen Gegenstand in der Welt, so unbeträchtlich er auch scheint, der unter den Händen der Liebe

Sinn habe. Hingegen pauscht diejenige, welche diesen Sinn hat, kein Tuch, legt keine Falte, steckt keine Nadel, aus der er nicht hervorleuchten sollte.

In welchem erhöheten Lichte sieht nun noch der Liebende diesen Vorzug an der Hälfte seines Wesens! Nein, das Gewand der Farnesischen Flora kann den Kenner des Schönen nie so rühren, wie den Liebenden die einfache Rose entzückt, von der geschmackvollen Hand der Geliebten in das Gewebe ihrer Haare geflochten. Vor seinen Augen kann sich die Colonnade des Louvres an Wirkung nicht mit dem Blumentopfe messen, den eben jene Hand zur Vase von gefälliger Form umgeschaffen hat!

Zwölftes Kapitel.

Hieroglyphie der Liebe.

Unzählig sind die kleinen Gefälligkeiten und Aufmerksamkeiten, wodurch der Liebende das Gefühl der Wesenvereinigung auszudrücken und zu erwecken, und dadurch die unbedeutendsten Gegenstände, die alltäglichsten Vorfälle interessant zu machen weiß! Ein Genuß, der vielleicht jedem andern an Reitze beykommt, wenn er schon nicht in jedem Augenblicke mit gleicher Stärke empfunden wird. Wie süß ist es, mitten unter einem Haufen kalter Zuschauer aus Zeichen und Handlungen, die diesem ganz gewöhnlich, ganz gleichgültig scheinen, die Gewißheit zu nehmen, daß man unaussprechlich geliebt werde.

Es giebt keinen Gegenstand in der Welt, so unbeträchtlich er auch scheint, der unter den Händen der Liebe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0300" n="300"/>
Sinn habe. Hingegen pauscht diejenige, welche diesen Sinn hat, kein Tuch, legt keine Falte, steckt keine Nadel, aus der er nicht hervorleuchten sollte.</p>
          <p>In welchem erhöheten Lichte sieht nun noch der Liebende diesen Vorzug an der Hälfte seines Wesens! Nein, das Gewand der Farnesischen Flora kann den Kenner des Schönen nie so rühren, wie den Liebenden die einfache Rose entzückt, von der geschmackvollen Hand der Geliebten in das Gewebe ihrer Haare geflochten. Vor seinen Augen kann sich die Colonnade des Louvres an Wirkung nicht mit dem Blumentopfe messen, den eben jene Hand zur Vase von gefälliger Form umgeschaffen hat!</p>
        </div>
        <div n="2">
          <head>Zwölftes Kapitel.<lb/></head>
          <argument>
            <p>Hieroglyphie der Liebe.<lb/></p>
          </argument>
          <p>Unzählig sind die kleinen Gefälligkeiten und Aufmerksamkeiten, wodurch der Liebende das Gefühl der Wesenvereinigung auszudrücken und zu erwecken, und dadurch die unbedeutendsten Gegenstände, die alltäglichsten Vorfälle interessant zu machen weiß! Ein Genuß, der vielleicht jedem andern an Reitze beykommt, wenn er schon nicht in jedem Augenblicke mit gleicher Stärke empfunden wird. Wie süß ist es, mitten unter einem Haufen kalter Zuschauer aus Zeichen und Handlungen, die diesem ganz gewöhnlich, ganz gleichgültig scheinen, die Gewißheit zu nehmen, daß man unaussprechlich geliebt werde.</p>
          <p>Es giebt keinen Gegenstand in der Welt, so unbeträchtlich er auch scheint, der unter den Händen der Liebe
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0300] Sinn habe. Hingegen pauscht diejenige, welche diesen Sinn hat, kein Tuch, legt keine Falte, steckt keine Nadel, aus der er nicht hervorleuchten sollte. In welchem erhöheten Lichte sieht nun noch der Liebende diesen Vorzug an der Hälfte seines Wesens! Nein, das Gewand der Farnesischen Flora kann den Kenner des Schönen nie so rühren, wie den Liebenden die einfache Rose entzückt, von der geschmackvollen Hand der Geliebten in das Gewebe ihrer Haare geflochten. Vor seinen Augen kann sich die Colonnade des Louvres an Wirkung nicht mit dem Blumentopfe messen, den eben jene Hand zur Vase von gefälliger Form umgeschaffen hat! Zwölftes Kapitel. Hieroglyphie der Liebe. Unzählig sind die kleinen Gefälligkeiten und Aufmerksamkeiten, wodurch der Liebende das Gefühl der Wesenvereinigung auszudrücken und zu erwecken, und dadurch die unbedeutendsten Gegenstände, die alltäglichsten Vorfälle interessant zu machen weiß! Ein Genuß, der vielleicht jedem andern an Reitze beykommt, wenn er schon nicht in jedem Augenblicke mit gleicher Stärke empfunden wird. Wie süß ist es, mitten unter einem Haufen kalter Zuschauer aus Zeichen und Handlungen, die diesem ganz gewöhnlich, ganz gleichgültig scheinen, die Gewißheit zu nehmen, daß man unaussprechlich geliebt werde. Es giebt keinen Gegenstand in der Welt, so unbeträchtlich er auch scheint, der unter den Händen der Liebe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/300
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/300>, abgerufen am 29.03.2024.