Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

zum Herzen dringt! Warum hat die neuere Zeit getrennt was die Natur verband, und die Alten mit Recht vereinigten? Laßt beydes im Bande gehen, und ihr werdet die Gewalt erfahren, die der Ausdruck wahrer Gefühle, durch die Reitze der Phantasie und wohlklingender Rede erhöht, über die Herzen ausübt. Sie ist so groß, daß sie selbst den Mangel körperlicher Reitze in dem Künstler ersetzen kann.

Das Talent der schönen Declamation, besonders der dramatischen, ruht unter den höheren Ständen, besonders in Deutschland, noch in seinen Windeln! Ach! wie vielfachen Genuß gewährt es der Liebe! Wie erhöht es das Gefühl jeder Art von Schönheit! Welch ein Genuß, die reitzendste Geberde, die wohlklingendste Modulation der Stimme bey dem richtigsten Verständniß des Gelesenen, und bey der wärmsten Empfindung anzutreffen! Laut aufzuschreyen bey vortrefflichen Stellen, die durch einen angemessenen Vortrag noch gehoben werden, aufzustürzen, in seine Arme fassen, - und nicht weiter lesen!

Die Ausübung der Talente, welche zur Führung einer schönen Nadel gehören, kommt dem zärteren Geschlechte zu. Aber der Mann mag mannigfaltigen Antheil daran nehmen. Der Stückrahmen ist ein Altar, auf dem der Zärtlichkeit schon manches interessante Opfer dargebracht ist. Bey jedem Faden, den das holde Weib einfädelt, erspart es sich einen Seufzer nach dem Geliebten hin. Jeder Nadelstich ist eine Pendel, welche die Zahl der Augenblicke anschlägt, die noch bis zu seiner Ankunft verfließen müssen. Er kommt! O der reitzenden Stellung und Bewegung der Arme und der Hände! O der traulichen Unterredung, wodurch die Arbeit versüßt

zum Herzen dringt! Warum hat die neuere Zeit getrennt was die Natur verband, und die Alten mit Recht vereinigten? Laßt beydes im Bande gehen, und ihr werdet die Gewalt erfahren, die der Ausdruck wahrer Gefühle, durch die Reitze der Phantasie und wohlklingender Rede erhöht, über die Herzen ausübt. Sie ist so groß, daß sie selbst den Mangel körperlicher Reitze in dem Künstler ersetzen kann.

Das Talent der schönen Declamation, besonders der dramatischen, ruht unter den höheren Ständen, besonders in Deutschland, noch in seinen Windeln! Ach! wie vielfachen Genuß gewährt es der Liebe! Wie erhöht es das Gefühl jeder Art von Schönheit! Welch ein Genuß, die reitzendste Geberde, die wohlklingendste Modulation der Stimme bey dem richtigsten Verständniß des Gelesenen, und bey der wärmsten Empfindung anzutreffen! Laut aufzuschreyen bey vortrefflichen Stellen, die durch einen angemessenen Vortrag noch gehoben werden, aufzustürzen, in seine Arme fassen, – und nicht weiter lesen!

Die Ausübung der Talente, welche zur Führung einer schönen Nadel gehören, kommt dem zärteren Geschlechte zu. Aber der Mann mag mannigfaltigen Antheil daran nehmen. Der Stückrahmen ist ein Altar, auf dem der Zärtlichkeit schon manches interessante Opfer dargebracht ist. Bey jedem Faden, den das holde Weib einfädelt, erspart es sich einen Seufzer nach dem Geliebten hin. Jeder Nadelstich ist eine Pendel, welche die Zahl der Augenblicke anschlägt, die noch bis zu seiner Ankunft verfließen müssen. Er kommt! O der reitzenden Stellung und Bewegung der Arme und der Hände! O der traulichen Unterredung, wodurch die Arbeit versüßt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0305" n="305"/>
zum Herzen dringt! Warum hat die neuere Zeit getrennt was die Natur verband, und die Alten mit Recht vereinigten? Laßt beydes im Bande gehen, und ihr werdet die Gewalt erfahren, die der Ausdruck wahrer Gefühle, durch die Reitze der Phantasie und wohlklingender Rede erhöht, über die Herzen ausübt. Sie ist so groß, daß sie selbst den Mangel körperlicher Reitze in dem Künstler ersetzen kann.</p>
          <p>Das Talent der schönen Declamation, besonders der dramatischen, ruht unter den höheren Ständen, besonders in Deutschland, noch in seinen Windeln! Ach! wie vielfachen Genuß gewährt es der Liebe! Wie erhöht es das Gefühl jeder Art von Schönheit! Welch ein Genuß, die reitzendste Geberde, die wohlklingendste Modulation der Stimme bey dem richtigsten Verständniß des Gelesenen, und bey der wärmsten Empfindung anzutreffen! Laut aufzuschreyen bey vortrefflichen Stellen, die durch einen angemessenen Vortrag noch gehoben werden, aufzustürzen, in seine Arme fassen, &#x2013; und nicht weiter <hi rendition="#g">lesen</hi>!</p>
          <p>Die Ausübung der Talente, welche zur Führung einer schönen Nadel gehören, kommt dem zärteren Geschlechte zu. Aber der Mann mag mannigfaltigen Antheil daran nehmen. Der Stückrahmen ist ein Altar, auf dem der Zärtlichkeit schon manches interessante Opfer dargebracht ist. Bey jedem Faden, den das holde Weib einfädelt, erspart es sich einen Seufzer nach dem Geliebten hin. Jeder Nadelstich ist eine Pendel, welche die Zahl der Augenblicke anschlägt, die noch bis zu seiner Ankunft verfließen müssen. Er kommt! O der reitzenden Stellung und Bewegung der Arme und der Hände! O der traulichen Unterredung, wodurch die Arbeit versüßt
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0305] zum Herzen dringt! Warum hat die neuere Zeit getrennt was die Natur verband, und die Alten mit Recht vereinigten? Laßt beydes im Bande gehen, und ihr werdet die Gewalt erfahren, die der Ausdruck wahrer Gefühle, durch die Reitze der Phantasie und wohlklingender Rede erhöht, über die Herzen ausübt. Sie ist so groß, daß sie selbst den Mangel körperlicher Reitze in dem Künstler ersetzen kann. Das Talent der schönen Declamation, besonders der dramatischen, ruht unter den höheren Ständen, besonders in Deutschland, noch in seinen Windeln! Ach! wie vielfachen Genuß gewährt es der Liebe! Wie erhöht es das Gefühl jeder Art von Schönheit! Welch ein Genuß, die reitzendste Geberde, die wohlklingendste Modulation der Stimme bey dem richtigsten Verständniß des Gelesenen, und bey der wärmsten Empfindung anzutreffen! Laut aufzuschreyen bey vortrefflichen Stellen, die durch einen angemessenen Vortrag noch gehoben werden, aufzustürzen, in seine Arme fassen, – und nicht weiter lesen! Die Ausübung der Talente, welche zur Führung einer schönen Nadel gehören, kommt dem zärteren Geschlechte zu. Aber der Mann mag mannigfaltigen Antheil daran nehmen. Der Stückrahmen ist ein Altar, auf dem der Zärtlichkeit schon manches interessante Opfer dargebracht ist. Bey jedem Faden, den das holde Weib einfädelt, erspart es sich einen Seufzer nach dem Geliebten hin. Jeder Nadelstich ist eine Pendel, welche die Zahl der Augenblicke anschlägt, die noch bis zu seiner Ankunft verfließen müssen. Er kommt! O der reitzenden Stellung und Bewegung der Arme und der Hände! O der traulichen Unterredung, wodurch die Arbeit versüßt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/305
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/305>, abgerufen am 16.04.2024.