Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

andere Hälfte ihres Wesens nicht theilen kann, bleiben selbst in dieser Trennung auf mannigfaltige Art durch Liebe vereint. Sie haben an ihr einen gemeinschaftlichen Wegweiser, Schutzgott und Belohner, ob sie gleich auf verschiedenen Wegen wandeln, und sich einer anscheinend verschiedenen Bestimmung widmen. Sie treffen doch in ihrem Bestreben, die zusammengesetzte Person achtungswürdig zu machen, so wie in dem Bewußtseyn, daß sie durch ihre Vereinigung vollständiger und vortrefflicher geworden sind, als sie es einsam waren, wieder zusammen. Sie fühlen unaufhörlich, daß ihre Thätigkeit einen erhöheten Schwung erhalten hat, und daß sie auf eine Muße rechnen dürfen, die dem isolierten Menschen nicht zu Theil wird.

Die meisten Liebenden fehlen, indem sie diese Wahrheit aus den Augen setzen. Für die Liebe leben, heißt ihnen diese unaufhörlich bezeugen. Sie werden sich dadurch einander lästig. Es kommt ein Mißverhältniß in ihre Lage zu der ganzen übrigen Welt. Sie fühlen, daß sie nicht dasjenige sind, was sie als selbständige Menschen seyn sollen, und daß sie nicht dasjenige seyn können, was das Ideal einer ganz zusammengesetzten Person voraussetzt. Man fängt an sich peinigende Vorwürfe über den Verlust der Zeit, über seine vernachlässigte Bestimmung zu machen; dann schleicht sich Langeweile hinzu, und man hört damit auf, sich entweder gezwängt bey einander zu fühlen, oder sich ganz von einander zu trennen.

Diese Gefahr ist da nicht zu besorgen, wo Liebende sich bestimmten, von der Zärtlichkeit noch unabhängigen Geschäften widmen; und eine der Hauptregeln, um die Liebe dauerhaft zu erhalten, ist diese: arbeite!

andere Hälfte ihres Wesens nicht theilen kann, bleiben selbst in dieser Trennung auf mannigfaltige Art durch Liebe vereint. Sie haben an ihr einen gemeinschaftlichen Wegweiser, Schutzgott und Belohner, ob sie gleich auf verschiedenen Wegen wandeln, und sich einer anscheinend verschiedenen Bestimmung widmen. Sie treffen doch in ihrem Bestreben, die zusammengesetzte Person achtungswürdig zu machen, so wie in dem Bewußtseyn, daß sie durch ihre Vereinigung vollständiger und vortrefflicher geworden sind, als sie es einsam waren, wieder zusammen. Sie fühlen unaufhörlich, daß ihre Thätigkeit einen erhöheten Schwung erhalten hat, und daß sie auf eine Muße rechnen dürfen, die dem isolierten Menschen nicht zu Theil wird.

Die meisten Liebenden fehlen, indem sie diese Wahrheit aus den Augen setzen. Für die Liebe leben, heißt ihnen diese unaufhörlich bezeugen. Sie werden sich dadurch einander lästig. Es kommt ein Mißverhältniß in ihre Lage zu der ganzen übrigen Welt. Sie fühlen, daß sie nicht dasjenige sind, was sie als selbständige Menschen seyn sollen, und daß sie nicht dasjenige seyn können, was das Ideal einer ganz zusammengesetzten Person voraussetzt. Man fängt an sich peinigende Vorwürfe über den Verlust der Zeit, über seine vernachlässigte Bestimmung zu machen; dann schleicht sich Langeweile hinzu, und man hört damit auf, sich entweder gezwängt bey einander zu fühlen, oder sich ganz von einander zu trennen.

Diese Gefahr ist da nicht zu besorgen, wo Liebende sich bestimmten, von der Zärtlichkeit noch unabhängigen Geschäften widmen; und eine der Hauptregeln, um die Liebe dauerhaft zu erhalten, ist diese: arbeite!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0352" n="352"/>
andere Hälfte ihres Wesens nicht theilen kann, bleiben selbst in dieser Trennung auf mannigfaltige Art durch Liebe vereint. Sie haben an ihr einen gemeinschaftlichen Wegweiser, Schutzgott und Belohner, ob sie gleich auf verschiedenen Wegen wandeln, und sich einer anscheinend verschiedenen Bestimmung widmen. Sie treffen doch in ihrem Bestreben, die zusammengesetzte Person achtungswürdig zu machen, so wie in dem Bewußtseyn, daß sie durch ihre Vereinigung vollständiger und vortrefflicher geworden sind, als sie es einsam waren, wieder zusammen. Sie fühlen unaufhörlich, daß ihre Thätigkeit einen erhöheten Schwung erhalten hat, und daß sie auf eine Muße rechnen dürfen, die dem isolierten Menschen nicht zu Theil wird.</p>
          <p>Die meisten Liebenden fehlen, indem sie diese Wahrheit aus den Augen setzen. Für die Liebe leben, heißt ihnen diese unaufhörlich bezeugen. Sie werden sich dadurch einander lästig. Es kommt ein Mißverhältniß in ihre Lage zu der ganzen übrigen Welt. Sie fühlen, daß sie nicht dasjenige sind, was sie als selbständige Menschen seyn sollen, und daß sie nicht dasjenige seyn können, was das Ideal einer ganz zusammengesetzten Person voraussetzt. Man fängt an sich peinigende Vorwürfe über den Verlust der Zeit, über seine vernachlässigte Bestimmung zu machen; dann schleicht sich Langeweile hinzu, und man hört damit auf, sich entweder gezwängt bey einander zu fühlen, oder sich ganz von einander zu trennen.</p>
          <p>Diese Gefahr ist da nicht zu besorgen, wo Liebende sich bestimmten, von der Zärtlichkeit noch unabhängigen Geschäften widmen; und eine der Hauptregeln, um die Liebe dauerhaft zu erhalten, ist diese: <hi rendition="#g">arbeite</hi>!
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0352] andere Hälfte ihres Wesens nicht theilen kann, bleiben selbst in dieser Trennung auf mannigfaltige Art durch Liebe vereint. Sie haben an ihr einen gemeinschaftlichen Wegweiser, Schutzgott und Belohner, ob sie gleich auf verschiedenen Wegen wandeln, und sich einer anscheinend verschiedenen Bestimmung widmen. Sie treffen doch in ihrem Bestreben, die zusammengesetzte Person achtungswürdig zu machen, so wie in dem Bewußtseyn, daß sie durch ihre Vereinigung vollständiger und vortrefflicher geworden sind, als sie es einsam waren, wieder zusammen. Sie fühlen unaufhörlich, daß ihre Thätigkeit einen erhöheten Schwung erhalten hat, und daß sie auf eine Muße rechnen dürfen, die dem isolierten Menschen nicht zu Theil wird. Die meisten Liebenden fehlen, indem sie diese Wahrheit aus den Augen setzen. Für die Liebe leben, heißt ihnen diese unaufhörlich bezeugen. Sie werden sich dadurch einander lästig. Es kommt ein Mißverhältniß in ihre Lage zu der ganzen übrigen Welt. Sie fühlen, daß sie nicht dasjenige sind, was sie als selbständige Menschen seyn sollen, und daß sie nicht dasjenige seyn können, was das Ideal einer ganz zusammengesetzten Person voraussetzt. Man fängt an sich peinigende Vorwürfe über den Verlust der Zeit, über seine vernachlässigte Bestimmung zu machen; dann schleicht sich Langeweile hinzu, und man hört damit auf, sich entweder gezwängt bey einander zu fühlen, oder sich ganz von einander zu trennen. Diese Gefahr ist da nicht zu besorgen, wo Liebende sich bestimmten, von der Zärtlichkeit noch unabhängigen Geschäften widmen; und eine der Hauptregeln, um die Liebe dauerhaft zu erhalten, ist diese: arbeite!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/352
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Zweyter Theil: Aesthetik der Liebe. Leipzig, 1798, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus02_1798/352>, abgerufen am 20.04.2024.