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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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aber eben so sehr den genaueren Umgang mit schönen Jünglingen vermeiden. Flucht vor dem Anblick und der Berührung einer schönen Gestalt, wie vor dem Biß der Tarantel, ist für diese schwächeren Menschen das einzige Rettungsmittel.

Xenophon hat diesen Charakter eines starken, gegen alle Versuchung festen Mannes, der aber seine eigene Stärke von andern nicht verlangt, sondern diesen Behutsamkeit anräth, in seinem Gastmahle in Handlung dargestellt. Höchst wahrscheinlich ist ein solches Gastmahl wirklich gehalten worden, wobey Sokrates seine Ideen über die Liebe und über die Schönheit entwickelt hat.

Bey diesem Gastmahle, nach der Schilderung des Xenophon, spielt besonders ein Paar von Liebenden eine wichtige Rolle. Kallias, der Herr des Hauses, hat seinen Geliebten, den Knaben Autolycus, mit dessen Vater zum Essen eingeladen. Autolycus wird mit allen Vorzügen eines ausgezeichneten Jünglings, und mit allen Reitzen eines sittsamen und schönen Mädchens dargestellt. Er hat in den gymnastischen Uebungen bereits den Preis davon getragen. Schamhaftigkeit, Bescheidenheit, Liebe zu seinem Vater, zeigen sich in seinem Betragen, und erhöhen die Schönheit seiner Gestalt. Diese zieht die Augen aller Anwesenden auf sich, die ihre Macht mit starker Rührung empfinden. Einige schweigen, andere verrathen ihre Unruhe durch ihre Geberden. Vor Allen aber zeichnet sich Kallias durch den Eindruck aus, den der Anblick seines Geliebten auf ihn macht. Sein ganzes Wesen trägt Spuren einer schmelzenden Begeisterung an sich.

Xenophon macht hierbey die Bemerkung, daß alle diejenigen, welche von einer Gottheit begeistert werden,

aber eben so sehr den genaueren Umgang mit schönen Jünglingen vermeiden. Flucht vor dem Anblick und der Berührung einer schönen Gestalt, wie vor dem Biß der Tarantel, ist für diese schwächeren Menschen das einzige Rettungsmittel.

Xenophon hat diesen Charakter eines starken, gegen alle Versuchung festen Mannes, der aber seine eigene Stärke von andern nicht verlangt, sondern diesen Behutsamkeit anräth, in seinem Gastmahle in Handlung dargestellt. Höchst wahrscheinlich ist ein solches Gastmahl wirklich gehalten worden, wobey Sokrates seine Ideen über die Liebe und über die Schönheit entwickelt hat.

Bey diesem Gastmahle, nach der Schilderung des Xenophon, spielt besonders ein Paar von Liebenden eine wichtige Rolle. Kallias, der Herr des Hauses, hat seinen Geliebten, den Knaben Autolycus, mit dessen Vater zum Essen eingeladen. Autolycus wird mit allen Vorzügen eines ausgezeichneten Jünglings, und mit allen Reitzen eines sittsamen und schönen Mädchens dargestellt. Er hat in den gymnastischen Uebungen bereits den Preis davon getragen. Schamhaftigkeit, Bescheidenheit, Liebe zu seinem Vater, zeigen sich in seinem Betragen, und erhöhen die Schönheit seiner Gestalt. Diese zieht die Augen aller Anwesenden auf sich, die ihre Macht mit starker Rührung empfinden. Einige schweigen, andere verrathen ihre Unruhe durch ihre Geberden. Vor Allen aber zeichnet sich Kallias durch den Eindruck aus, den der Anblick seines Geliebten auf ihn macht. Sein ganzes Wesen trägt Spuren einer schmelzenden Begeisterung an sich.

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[155/0155] aber eben so sehr den genaueren Umgang mit schönen Jünglingen vermeiden. Flucht vor dem Anblick und der Berührung einer schönen Gestalt, wie vor dem Biß der Tarantel, ist für diese schwächeren Menschen das einzige Rettungsmittel. Xenophon hat diesen Charakter eines starken, gegen alle Versuchung festen Mannes, der aber seine eigene Stärke von andern nicht verlangt, sondern diesen Behutsamkeit anräth, in seinem Gastmahle in Handlung dargestellt. Höchst wahrscheinlich ist ein solches Gastmahl wirklich gehalten worden, wobey Sokrates seine Ideen über die Liebe und über die Schönheit entwickelt hat. Bey diesem Gastmahle, nach der Schilderung des Xenophon, spielt besonders ein Paar von Liebenden eine wichtige Rolle. Kallias, der Herr des Hauses, hat seinen Geliebten, den Knaben Autolycus, mit dessen Vater zum Essen eingeladen. Autolycus wird mit allen Vorzügen eines ausgezeichneten Jünglings, und mit allen Reitzen eines sittsamen und schönen Mädchens dargestellt. Er hat in den gymnastischen Uebungen bereits den Preis davon getragen. Schamhaftigkeit, Bescheidenheit, Liebe zu seinem Vater, zeigen sich in seinem Betragen, und erhöhen die Schönheit seiner Gestalt. Diese zieht die Augen aller Anwesenden auf sich, die ihre Macht mit starker Rührung empfinden. Einige schweigen, andere verrathen ihre Unruhe durch ihre Geberden. Vor Allen aber zeichnet sich Kallias durch den Eindruck aus, den der Anblick seines Geliebten auf ihn macht. Sein ganzes Wesen trägt Spuren einer schmelzenden Begeisterung an sich. Xenophon macht hierbey die Bemerkung, daß alle diejenigen, welche von einer Gottheit begeistert werden,

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/155>, abgerufen am 28.03.2024.