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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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ohne Bestrebung, die Sitten des verlornen Vaterlandes und der Vorzeit ins Außerordentliche zu heben, geschrieben haben.

Auch darin liegt ein Hinderniß zur Kenntniß der Gebräuche in dieser Periode, daß die Dichter, die darin geblühet haben, besonders solche Gegenstände zur Bearbeitung wählten, welche ihre Kenntniß des Alterthums an den Tag bringen konnten. Sie entlehnten oft ihren Stoff aus dem heroischen Zeitalter Griechenlands, worin dieses Land kaum die erste Stufe der Kultur erreicht hatte, und suchten in ihren Darstellungen die Rohheit der früheren Sitten, so weit es der ästhetische Zweck erlaubte, beyzubehalten.

Endlich, (und dieß ist unstreitig eines der Haupthindernisse, die sich der Beurtheilung der wahren Denkungsart dieses Zeitalters in Rücksicht auf den Gegenstand meiner Untersuchungen entgegensetzen:) durch ein größeres Verkehr unter den Völkern entstand ein allgemeinerer Geschmack, und dieser ward durch den Einfluß der ältern Meisterstücke, durch die Politur der Höfe, und durch die zunehmende Oberherrschaft der Vernunft über Herz und Phantasie bestimmt. Von nun an dienen die schönen Künste weit mehr zur Unterhaltung, als zum Einwirken auf das handelnde Leben. Man fängt immer mehr an, das Kostume der Kunst, die Sitten und Situationen im Reiche der Fiktion, von den wahren Gebräuchen, Lagen und Gesinnungen der wirklichen Welt abzusondern. Und wer mag nunmehro entscheiden, ob der Rhodische, Syracusanische, Pergamische, oder Alexandrinische Dichter seinen Stoff aus den individuellen

ohne Bestrebung, die Sitten des verlornen Vaterlandes und der Vorzeit ins Außerordentliche zu heben, geschrieben haben.

Auch darin liegt ein Hinderniß zur Kenntniß der Gebräuche in dieser Periode, daß die Dichter, die darin geblühet haben, besonders solche Gegenstände zur Bearbeitung wählten, welche ihre Kenntniß des Alterthums an den Tag bringen konnten. Sie entlehnten oft ihren Stoff aus dem heroischen Zeitalter Griechenlands, worin dieses Land kaum die erste Stufe der Kultur erreicht hatte, und suchten in ihren Darstellungen die Rohheit der früheren Sitten, so weit es der ästhetische Zweck erlaubte, beyzubehalten.

Endlich, (und dieß ist unstreitig eines der Haupthindernisse, die sich der Beurtheilung der wahren Denkungsart dieses Zeitalters in Rücksicht auf den Gegenstand meiner Untersuchungen entgegensetzen:) durch ein größeres Verkehr unter den Völkern entstand ein allgemeinerer Geschmack, und dieser ward durch den Einfluß der ältern Meisterstücke, durch die Politur der Höfe, und durch die zunehmende Oberherrschaft der Vernunft über Herz und Phantasie bestimmt. Von nun an dienen die schönen Künste weit mehr zur Unterhaltung, als zum Einwirken auf das handelnde Leben. Man fängt immer mehr an, das Kostume der Kunst, die Sitten und Situationen im Reiche der Fiktion, von den wahren Gebräuchen, Lagen und Gesinnungen der wirklichen Welt abzusondern. Und wer mag nunmehro entscheiden, ob der Rhodische, Syracusanische, Pergamische, oder Alexandrinische Dichter seinen Stoff aus den individuellen

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[232/0232] ohne Bestrebung, die Sitten des verlornen Vaterlandes und der Vorzeit ins Außerordentliche zu heben, geschrieben haben. Auch darin liegt ein Hinderniß zur Kenntniß der Gebräuche in dieser Periode, daß die Dichter, die darin geblühet haben, besonders solche Gegenstände zur Bearbeitung wählten, welche ihre Kenntniß des Alterthums an den Tag bringen konnten. Sie entlehnten oft ihren Stoff aus dem heroischen Zeitalter Griechenlands, worin dieses Land kaum die erste Stufe der Kultur erreicht hatte, und suchten in ihren Darstellungen die Rohheit der früheren Sitten, so weit es der ästhetische Zweck erlaubte, beyzubehalten. Endlich, (und dieß ist unstreitig eines der Haupthindernisse, die sich der Beurtheilung der wahren Denkungsart dieses Zeitalters in Rücksicht auf den Gegenstand meiner Untersuchungen entgegensetzen:) durch ein größeres Verkehr unter den Völkern entstand ein allgemeinerer Geschmack, und dieser ward durch den Einfluß der ältern Meisterstücke, durch die Politur der Höfe, und durch die zunehmende Oberherrschaft der Vernunft über Herz und Phantasie bestimmt. Von nun an dienen die schönen Künste weit mehr zur Unterhaltung, als zum Einwirken auf das handelnde Leben. Man fängt immer mehr an, das Kostume der Kunst, die Sitten und Situationen im Reiche der Fiktion, von den wahren Gebräuchen, Lagen und Gesinnungen der wirklichen Welt abzusondern. Und wer mag nunmehro entscheiden, ob der Rhodische, Syracusanische, Pergamische, oder Alexandrinische Dichter seinen Stoff aus den individuellen

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils erste Abtheilung: Aeltere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0301_1798/232>, abgerufen am 16.04.2024.