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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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der Förmlichkeit ihres Ausdrucks in den Verhältnissen des geselligen Lebens Grazie beyzulegen. Sowohl in dieser Periode als in der vorigen entfernten sich die Menschen von dem Natürlichen und Geschlanken. Aber die früheren aus Ueberspannung und Unbehülflichkeit: die letztern aus Anmaßung und Ziererey. Die Sitten behielten in ihren Grundzügen die nehmliche Gestalt, welche ihnen die vorigen Jahrhunderte gegeben hatten, aber die nachfolgenden arbeiteten sie aus dem Rohen aus. Dieß hat den Irrthum befördert, diejenige Denkungsart, welche im vierzehnten, funfzehnten, sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderte herrschend war, bereits dem zwölften und dreyzehnten, ja! dem ganzen Mittelalter beyzulegen.

Bis zur Majorennität Ludewigs des Vierzehnten in Frankreich scheinen die Sitten, ihrem Hauptcharakter nach, ziemlich die nehmlichen geblieben zu seyn, und bis dahin lasse ich auch die jetzt angefangene Periode fortdauern. Besonders hat die Galanterie in diesem Zeitraume ihren Nahmen, eine bestimmtere Form, und ihren höchsten Wachsthum erhalten. Man darf jedoch auch hier keinen ununterbrochenen Zusammenhang, keine Allgemeinheit der Grundsätze, und noch weniger Stätigkeit in ihrer Befolgung bey der Menge annehmen. Die Galanterie hat oft in einem und dem nehmlichen Jahrhunderte verschiedene Wechsel des Flors und des Verfalls erfahren. Sie ist nach Verschiedenheit der Länder und Nationen sehr verschieden modificiert worden. Dieser letzte Umstand unterscheidet die gegenwärtige Periode besonders von der vorigen, worin eine verfeinerte Art, über Geschlechtsverbindung und Liebe zu denken, nur auf wenig kultivierte

der Förmlichkeit ihres Ausdrucks in den Verhältnissen des geselligen Lebens Grazie beyzulegen. Sowohl in dieser Periode als in der vorigen entfernten sich die Menschen von dem Natürlichen und Geschlanken. Aber die früheren aus Ueberspannung und Unbehülflichkeit: die letztern aus Anmaßung und Ziererey. Die Sitten behielten in ihren Grundzügen die nehmliche Gestalt, welche ihnen die vorigen Jahrhunderte gegeben hatten, aber die nachfolgenden arbeiteten sie aus dem Rohen aus. Dieß hat den Irrthum befördert, diejenige Denkungsart, welche im vierzehnten, funfzehnten, sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderte herrschend war, bereits dem zwölften und dreyzehnten, ja! dem ganzen Mittelalter beyzulegen.

Bis zur Majorennität Ludewigs des Vierzehnten in Frankreich scheinen die Sitten, ihrem Hauptcharakter nach, ziemlich die nehmlichen geblieben zu seyn, und bis dahin lasse ich auch die jetzt angefangene Periode fortdauern. Besonders hat die Galanterie in diesem Zeitraume ihren Nahmen, eine bestimmtere Form, und ihren höchsten Wachsthum erhalten. Man darf jedoch auch hier keinen ununterbrochenen Zusammenhang, keine Allgemeinheit der Grundsätze, und noch weniger Stätigkeit in ihrer Befolgung bey der Menge annehmen. Die Galanterie hat oft in einem und dem nehmlichen Jahrhunderte verschiedene Wechsel des Flors und des Verfalls erfahren. Sie ist nach Verschiedenheit der Länder und Nationen sehr verschieden modificiert worden. Dieser letzte Umstand unterscheidet die gegenwärtige Periode besonders von der vorigen, worin eine verfeinerte Art, über Geschlechtsverbindung und Liebe zu denken, nur auf wenig kultivierte

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[148/0148] der Förmlichkeit ihres Ausdrucks in den Verhältnissen des geselligen Lebens Grazie beyzulegen. Sowohl in dieser Periode als in der vorigen entfernten sich die Menschen von dem Natürlichen und Geschlanken. Aber die früheren aus Ueberspannung und Unbehülflichkeit: die letztern aus Anmaßung und Ziererey. Die Sitten behielten in ihren Grundzügen die nehmliche Gestalt, welche ihnen die vorigen Jahrhunderte gegeben hatten, aber die nachfolgenden arbeiteten sie aus dem Rohen aus. Dieß hat den Irrthum befördert, diejenige Denkungsart, welche im vierzehnten, funfzehnten, sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderte herrschend war, bereits dem zwölften und dreyzehnten, ja! dem ganzen Mittelalter beyzulegen. Bis zur Majorennität Ludewigs des Vierzehnten in Frankreich scheinen die Sitten, ihrem Hauptcharakter nach, ziemlich die nehmlichen geblieben zu seyn, und bis dahin lasse ich auch die jetzt angefangene Periode fortdauern. Besonders hat die Galanterie in diesem Zeitraume ihren Nahmen, eine bestimmtere Form, und ihren höchsten Wachsthum erhalten. Man darf jedoch auch hier keinen ununterbrochenen Zusammenhang, keine Allgemeinheit der Grundsätze, und noch weniger Stätigkeit in ihrer Befolgung bey der Menge annehmen. Die Galanterie hat oft in einem und dem nehmlichen Jahrhunderte verschiedene Wechsel des Flors und des Verfalls erfahren. Sie ist nach Verschiedenheit der Länder und Nationen sehr verschieden modificiert worden. Dieser letzte Umstand unterscheidet die gegenwärtige Periode besonders von der vorigen, worin eine verfeinerte Art, über Geschlechtsverbindung und Liebe zu denken, nur auf wenig kultivierte

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/148>, abgerufen am 23.04.2024.