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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Dieß ist der höchst simple Stoff, den Boccaz behandelt hat. Eine wahre Darstellung der Empfindungen und ein schöner Styl würden dieß Werk äußerst schätzbar machen, wenn es nicht durch eine zu große Weitschweifigkeit und einen unnützen Aufwand von Gelehrsamkeit langweilig würde.

Die Bekanntschaft des Verfassers mit den griechischen Romanen ist übrigens nicht darin zu verkennen, und überhaupt ruht der Geist des Alterthums auf der ganzen Behandlung. Mir ist das Werk besonders darum wichtig, weil es das erste Beyspiel eines bürgerlichen Romans ist, den ich aus der neueren Zeit kenne, und weil es die Eingezogenheit des italiänischen Frauenzimmers im vierzehnten Jahrhunderte, und die Art der damahls herrschenden Intriguen, die gewiß nichts weniger, als rein von Sinnlichkeit waren, so auffallend darstellt.

Ganz im Geschmack dieses Romans ist ein anderer, der vom Aeneas Sylvius im Jahre 1444 unter dem Nahmen: Historia de Euryalo et Lucretia, geschrieben ist. 32) Lukretia, eine verheyrathete Dame aus Siena, verliebt sich in den Favoriten des Kaysers Siegismund, während der Anwesenheit dieses Fürsten in dieser Stadt. Die beyden Liebenden haben außerordentliche Schwierigkeiten zu überwinden, um sich nur zu sprechen. Denn die Italiäner, sagt der Verfasser, haben den Fehler, ihre Weiber wie Schätze zu verbergen, und zu verschließen. Inzwischen gelingen doch einige Zusammenkünfte unter unendlichen

32) Man findet ihn in des Hilarii Drudonis Practica artis amandi. Amstelodami 1652.

Dieß ist der höchst simple Stoff, den Boccaz behandelt hat. Eine wahre Darstellung der Empfindungen und ein schöner Styl würden dieß Werk äußerst schätzbar machen, wenn es nicht durch eine zu große Weitschweifigkeit und einen unnützen Aufwand von Gelehrsamkeit langweilig würde.

Die Bekanntschaft des Verfassers mit den griechischen Romanen ist übrigens nicht darin zu verkennen, und überhaupt ruht der Geist des Alterthums auf der ganzen Behandlung. Mir ist das Werk besonders darum wichtig, weil es das erste Beyspiel eines bürgerlichen Romans ist, den ich aus der neueren Zeit kenne, und weil es die Eingezogenheit des italiänischen Frauenzimmers im vierzehnten Jahrhunderte, und die Art der damahls herrschenden Intriguen, die gewiß nichts weniger, als rein von Sinnlichkeit waren, so auffallend darstellt.

Ganz im Geschmack dieses Romans ist ein anderer, der vom Aeneas Sylvius im Jahre 1444 unter dem Nahmen: Historia de Euryalo et Lucretia, geschrieben ist. 32) Lukretia, eine verheyrathete Dame aus Siena, verliebt sich in den Favoriten des Kaysers Siegismund, während der Anwesenheit dieses Fürsten in dieser Stadt. Die beyden Liebenden haben außerordentliche Schwierigkeiten zu überwinden, um sich nur zu sprechen. Denn die Italiäner, sagt der Verfasser, haben den Fehler, ihre Weiber wie Schätze zu verbergen, und zu verschließen. Inzwischen gelingen doch einige Zusammenkünfte unter unendlichen

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[203/0203] Dieß ist der höchst simple Stoff, den Boccaz behandelt hat. Eine wahre Darstellung der Empfindungen und ein schöner Styl würden dieß Werk äußerst schätzbar machen, wenn es nicht durch eine zu große Weitschweifigkeit und einen unnützen Aufwand von Gelehrsamkeit langweilig würde. Die Bekanntschaft des Verfassers mit den griechischen Romanen ist übrigens nicht darin zu verkennen, und überhaupt ruht der Geist des Alterthums auf der ganzen Behandlung. Mir ist das Werk besonders darum wichtig, weil es das erste Beyspiel eines bürgerlichen Romans ist, den ich aus der neueren Zeit kenne, und weil es die Eingezogenheit des italiänischen Frauenzimmers im vierzehnten Jahrhunderte, und die Art der damahls herrschenden Intriguen, die gewiß nichts weniger, als rein von Sinnlichkeit waren, so auffallend darstellt. Ganz im Geschmack dieses Romans ist ein anderer, der vom Aeneas Sylvius im Jahre 1444 unter dem Nahmen: Historia de Euryalo et Lucretia, geschrieben ist. 32) Lukretia, eine verheyrathete Dame aus Siena, verliebt sich in den Favoriten des Kaysers Siegismund, während der Anwesenheit dieses Fürsten in dieser Stadt. Die beyden Liebenden haben außerordentliche Schwierigkeiten zu überwinden, um sich nur zu sprechen. Denn die Italiäner, sagt der Verfasser, haben den Fehler, ihre Weiber wie Schätze zu verbergen, und zu verschließen. Inzwischen gelingen doch einige Zusammenkünfte unter unendlichen 32) Man findet ihn in des Hilarii Drudonis Practica artis amandi. Amstelodami 1652.

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/203>, abgerufen am 28.03.2024.