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Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

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Umgange übertrieben, unzweckmäßig und unangemessen erscheint.

Alle Nachrichten kommen dahin überein: daß es Ton unter dem Frauenzimmer wurde, einer gewissen geselligen Liebenswürdigkeit nachzustreben, die in früheren Zeiten wenig bekannt gewesen war, und auch bald darauf wieder selten geworden ist. Frankreich hatte Damen aufzuweisen gehabt, die sich durch höhere Geistesbildung ausgezeichnet hatten. Aber diese war entweder nicht zum Vortheil der geselligen Unterhaltung angewandt worden, oder bloß auf einen eitlen Glanz, der nie ohne Kostbarkeit, Gernwitz und Demüthigung anderer erlangt zu werden pflegt, berechnet. Die Geißel des Lächerlichen vertrieb diese Anmaßung. Man fing an, sich ihrer zu schämen, und konnte doch der Kenntnisse und der Kultur des Verstandes zur Unterhaltung nicht mehr entbehren. Das zärtere Geschlecht suchte daher diese Kultur mit seinem schönsten Vorzuge, mit dem Herzen, in ein näheres Verhältniß zu setzen: es fühlte, daß diejenige Eigenthümlichkeit, welche es seiner Gabe im Beobachten und Darstellen des Gegenwärtigen, Einzelnen, und Zunächstliegenden verdankt, ihm zum wahren Vorzuge angerechnet werden müßte: es sah ein, daß das mühsam Erworbene und Gesuchte in der Bildung und den Aeußerungen seines Geistes ihm weniger kleide, daß hingegen eine Aufklärung, die so natürlich geworden ist, daß ihre Spuren sich gleichsam von ungefähr und unwillkührlich ankündigen, sich für jedes Geschlecht schicke: daß die Bestimmung höherer Talente bey dem Weibe vorzüglich auf die Behandlung desjenigen Stoffs gerichtet werden müsse, der zur Unterhaltung der örtlichen

Umgange übertrieben, unzweckmäßig und unangemessen erscheint.

Alle Nachrichten kommen dahin überein: daß es Ton unter dem Frauenzimmer wurde, einer gewissen geselligen Liebenswürdigkeit nachzustreben, die in früheren Zeiten wenig bekannt gewesen war, und auch bald darauf wieder selten geworden ist. Frankreich hatte Damen aufzuweisen gehabt, die sich durch höhere Geistesbildung ausgezeichnet hatten. Aber diese war entweder nicht zum Vortheil der geselligen Unterhaltung angewandt worden, oder bloß auf einen eitlen Glanz, der nie ohne Kostbarkeit, Gernwitz und Demüthigung anderer erlangt zu werden pflegt, berechnet. Die Geißel des Lächerlichen vertrieb diese Anmaßung. Man fing an, sich ihrer zu schämen, und konnte doch der Kenntnisse und der Kultur des Verstandes zur Unterhaltung nicht mehr entbehren. Das zärtere Geschlecht suchte daher diese Kultur mit seinem schönsten Vorzuge, mit dem Herzen, in ein näheres Verhältniß zu setzen: es fühlte, daß diejenige Eigenthümlichkeit, welche es seiner Gabe im Beobachten und Darstellen des Gegenwärtigen, Einzelnen, und Zunächstliegenden verdankt, ihm zum wahren Vorzuge angerechnet werden müßte: es sah ein, daß das mühsam Erworbene und Gesuchte in der Bildung und den Aeußerungen seines Geistes ihm weniger kleide, daß hingegen eine Aufklärung, die so natürlich geworden ist, daß ihre Spuren sich gleichsam von ungefähr und unwillkührlich ankündigen, sich für jedes Geschlecht schicke: daß die Bestimmung höherer Talente bey dem Weibe vorzüglich auf die Behandlung desjenigen Stoffs gerichtet werden müsse, der zur Unterhaltung der örtlichen

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[274/0274] Umgange übertrieben, unzweckmäßig und unangemessen erscheint. Alle Nachrichten kommen dahin überein: daß es Ton unter dem Frauenzimmer wurde, einer gewissen geselligen Liebenswürdigkeit nachzustreben, die in früheren Zeiten wenig bekannt gewesen war, und auch bald darauf wieder selten geworden ist. Frankreich hatte Damen aufzuweisen gehabt, die sich durch höhere Geistesbildung ausgezeichnet hatten. Aber diese war entweder nicht zum Vortheil der geselligen Unterhaltung angewandt worden, oder bloß auf einen eitlen Glanz, der nie ohne Kostbarkeit, Gernwitz und Demüthigung anderer erlangt zu werden pflegt, berechnet. Die Geißel des Lächerlichen vertrieb diese Anmaßung. Man fing an, sich ihrer zu schämen, und konnte doch der Kenntnisse und der Kultur des Verstandes zur Unterhaltung nicht mehr entbehren. Das zärtere Geschlecht suchte daher diese Kultur mit seinem schönsten Vorzuge, mit dem Herzen, in ein näheres Verhältniß zu setzen: es fühlte, daß diejenige Eigenthümlichkeit, welche es seiner Gabe im Beobachten und Darstellen des Gegenwärtigen, Einzelnen, und Zunächstliegenden verdankt, ihm zum wahren Vorzuge angerechnet werden müßte: es sah ein, daß das mühsam Erworbene und Gesuchte in der Bildung und den Aeußerungen seines Geistes ihm weniger kleide, daß hingegen eine Aufklärung, die so natürlich geworden ist, daß ihre Spuren sich gleichsam von ungefähr und unwillkührlich ankündigen, sich für jedes Geschlecht schicke: daß die Bestimmung höherer Talente bey dem Weibe vorzüglich auf die Behandlung desjenigen Stoffs gerichtet werden müsse, der zur Unterhaltung der örtlichen

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Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/274>, abgerufen am 18.04.2024.