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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Buch VI. Innere Streitigkeiten.
in den großen französischen Städten verbündet es sich al-
lenthalben mit den Ansprüchen, den Bestrebungen des ge-
meinen Volkes. Es kommt ihm nur darauf an, wo es
seine Stütze, seinen vornehmsten Rückhalt findet. Sind ihm
die bestehenden Gewalten entgegengesetzt, so ist es weit ent-
fernt sie zu schonen, ja nur anzuerkennen. Die irische Na-
tion befestigt es in ihrer angeborenen Widerspenstigkeit ge-
gen die englische Regierung: in England selbst untergräbt
es, so viel es vermag, den Gehorsam, den die Königin for-
dert, und bricht oft in thätigem Widerstand hervor: in
Frankreich bestätigt es endlich seine Anhänger in der Em-
pörung wider ihren legitimen Fürsten. An und für sich
hat das religiöse Princip überhaupt keine Vorliebe für die
eine oder die andere Regierungsform. Während der kur-
zen Zeit seiner Erneuerung hat der Katholicismus schon die
verschiedensten Hinneigungen offenbart, zuerst zu der mo-
narchischen Gewalt in Italien und Spanien, zur Befe-
stigung der Territorialherrschaft in Deutschland: sodann
in den Niederlanden zur Erhaltung der Gerechtsame aristo-
kratischer Stände: am Ende des Jahrhunderts gesellt er
sich entschieden den demokratischen Tendenzen zu. Es ist
dieß um so wichtiger, da er jetzt in der höchsten Fülle sei-
ner Thätigkeit steht, und die Bewegungen, an denen er
Theil nimmt, die wichtigsten Weltangelegenheiten ausma-
chen. Gelingt es den Päpsten in diesem Augenblicke, so
werden sie auf immer einen überwiegenden Einfluß über
den Staat erobert haben. Sie treten mit Ansprüchen,
ihre Anhänger und Vorfechter mit Meinungen und Grund-
sätzen hervor, welche Reiche und Staaten zugleich mit

Buch VI. Innere Streitigkeiten.
in den großen franzoͤſiſchen Staͤdten verbuͤndet es ſich al-
lenthalben mit den Anſpruͤchen, den Beſtrebungen des ge-
meinen Volkes. Es kommt ihm nur darauf an, wo es
ſeine Stuͤtze, ſeinen vornehmſten Ruͤckhalt findet. Sind ihm
die beſtehenden Gewalten entgegengeſetzt, ſo iſt es weit ent-
fernt ſie zu ſchonen, ja nur anzuerkennen. Die iriſche Na-
tion befeſtigt es in ihrer angeborenen Widerſpenſtigkeit ge-
gen die engliſche Regierung: in England ſelbſt untergraͤbt
es, ſo viel es vermag, den Gehorſam, den die Koͤnigin for-
dert, und bricht oft in thaͤtigem Widerſtand hervor: in
Frankreich beſtaͤtigt es endlich ſeine Anhaͤnger in der Em-
poͤrung wider ihren legitimen Fuͤrſten. An und fuͤr ſich
hat das religioͤſe Princip uͤberhaupt keine Vorliebe fuͤr die
eine oder die andere Regierungsform. Waͤhrend der kur-
zen Zeit ſeiner Erneuerung hat der Katholicismus ſchon die
verſchiedenſten Hinneigungen offenbart, zuerſt zu der mo-
narchiſchen Gewalt in Italien und Spanien, zur Befe-
ſtigung der Territorialherrſchaft in Deutſchland: ſodann
in den Niederlanden zur Erhaltung der Gerechtſame ariſto-
kratiſcher Staͤnde: am Ende des Jahrhunderts geſellt er
ſich entſchieden den demokratiſchen Tendenzen zu. Es iſt
dieß um ſo wichtiger, da er jetzt in der hoͤchſten Fuͤlle ſei-
ner Thaͤtigkeit ſteht, und die Bewegungen, an denen er
Theil nimmt, die wichtigſten Weltangelegenheiten ausma-
chen. Gelingt es den Paͤpſten in dieſem Augenblicke, ſo
werden ſie auf immer einen uͤberwiegenden Einfluß uͤber
den Staat erobert haben. Sie treten mit Anſpruͤchen,
ihre Anhaͤnger und Vorfechter mit Meinungen und Grund-
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[180/0192] Buch VI. Innere Streitigkeiten. in den großen franzoͤſiſchen Staͤdten verbuͤndet es ſich al- lenthalben mit den Anſpruͤchen, den Beſtrebungen des ge- meinen Volkes. Es kommt ihm nur darauf an, wo es ſeine Stuͤtze, ſeinen vornehmſten Ruͤckhalt findet. Sind ihm die beſtehenden Gewalten entgegengeſetzt, ſo iſt es weit ent- fernt ſie zu ſchonen, ja nur anzuerkennen. Die iriſche Na- tion befeſtigt es in ihrer angeborenen Widerſpenſtigkeit ge- gen die engliſche Regierung: in England ſelbſt untergraͤbt es, ſo viel es vermag, den Gehorſam, den die Koͤnigin for- dert, und bricht oft in thaͤtigem Widerſtand hervor: in Frankreich beſtaͤtigt es endlich ſeine Anhaͤnger in der Em- poͤrung wider ihren legitimen Fuͤrſten. An und fuͤr ſich hat das religioͤſe Princip uͤberhaupt keine Vorliebe fuͤr die eine oder die andere Regierungsform. Waͤhrend der kur- zen Zeit ſeiner Erneuerung hat der Katholicismus ſchon die verſchiedenſten Hinneigungen offenbart, zuerſt zu der mo- narchiſchen Gewalt in Italien und Spanien, zur Befe- ſtigung der Territorialherrſchaft in Deutſchland: ſodann in den Niederlanden zur Erhaltung der Gerechtſame ariſto- kratiſcher Staͤnde: am Ende des Jahrhunderts geſellt er ſich entſchieden den demokratiſchen Tendenzen zu. Es iſt dieß um ſo wichtiger, da er jetzt in der hoͤchſten Fuͤlle ſei- ner Thaͤtigkeit ſteht, und die Bewegungen, an denen er Theil nimmt, die wichtigſten Weltangelegenheiten ausma- chen. Gelingt es den Paͤpſten in dieſem Augenblicke, ſo werden ſie auf immer einen uͤberwiegenden Einfluß uͤber den Staat erobert haben. Sie treten mit Anſpruͤchen, ihre Anhaͤnger und Vorfechter mit Meinungen und Grund- ſaͤtzen hervor, welche Reiche und Staaten zugleich mit

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/192>, abgerufen am 29.03.2024.