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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Bewegungen in der gelehrten Literatur.
lands wetteiferten die Schüler Dringenbergs anzustel-
len. In Nürnberg, Ulm, Augsburg, Frankfurt, Hagenau,
Memmingen, Pforzheim, finden wir mehr oder minder
nahmhafte Poetenschulen; 1 Schletstadt selbst stieg einmal
auf 900 Schüler. Man wird nicht glauben, daß diese
Literaten, welche hier eine rohe Jugend, die großentheils
von Almosen leben mußte, keine Bücher besaß, sich in selt-
sam disciplinirten Gesellschaften, Bachanten und Schützen,
von Stadt zu Stadt trieb, 2 in Ordnung zu halten und in
den Anfangsgründen zu unterweisen hatten, gerade große Ge-
lehrte gewesen wären, oder deren gebildet hätten: auch kam
es darauf nicht an; es war schon Verdienst genug, daß
sie eine bedeutende Richtung festhielten, nach Kräften aus-
breiteten, die Bildung eines lebendigen literarischen Pu-
blicums begründeten. Allmählig wichen die bisherigen Lehr-
bücher: aus den deutschen Pressen giengen classische Auto en
hervor; schon am Ende des funfzehnten Jahrhunders macht
ein Geiler von Keisersberg, der sonst dieser literarischen
Richtung nicht angehört, den gelehrten Theologen ihr La-
tein zum Vorwurf, das roh und matt und barbarisch sey,

1 So heißen sie z. B. in der Regensburger Chronik. Ein
Verzeichniß der Schulen, jedoch sehr unvollständig, giebt Erhard
Geschichte der Wiederherstellung der Wissenschaften I, 427. Eberlin
von Günzburg nennt 1521 als fromme Schulmeister "deren trewe
Unterweisung fast genützt" Crato und Sapidus zu Schletstadt:
Mich. Hilspach zu Hagenau: Spinler und Gerbellius zu Pforzheim:
Brassicanus und Henrichmann zu Tübingen: Egid. Krautwasser zu
Stuttgart und Horb: Joh. Schmidlin zu Memmingen, auch Cocleus
zu Nürnberg, Nisenus zu Frankfurt.
2 Die Autobiographie von Plater stellt dieß Treiben sehr an-
schaulich dar.

Bewegungen in der gelehrten Literatur.
lands wetteiferten die Schüler Dringenbergs anzuſtel-
len. In Nürnberg, Ulm, Augsburg, Frankfurt, Hagenau,
Memmingen, Pforzheim, finden wir mehr oder minder
nahmhafte Poetenſchulen; 1 Schletſtadt ſelbſt ſtieg einmal
auf 900 Schüler. Man wird nicht glauben, daß dieſe
Literaten, welche hier eine rohe Jugend, die großentheils
von Almoſen leben mußte, keine Bücher beſaß, ſich in ſelt-
ſam disciplinirten Geſellſchaften, Bachanten und Schützen,
von Stadt zu Stadt trieb, 2 in Ordnung zu halten und in
den Anfangsgründen zu unterweiſen hatten, gerade große Ge-
lehrte geweſen wären, oder deren gebildet hätten: auch kam
es darauf nicht an; es war ſchon Verdienſt genug, daß
ſie eine bedeutende Richtung feſthielten, nach Kräften aus-
breiteten, die Bildung eines lebendigen literariſchen Pu-
blicums begründeten. Allmählig wichen die bisherigen Lehr-
bücher: aus den deutſchen Preſſen giengen claſſiſche Auto en
hervor; ſchon am Ende des funfzehnten Jahrhunders macht
ein Geiler von Keiſersberg, der ſonſt dieſer literariſchen
Richtung nicht angehört, den gelehrten Theologen ihr La-
tein zum Vorwurf, das roh und matt und barbariſch ſey,

1 So heißen ſie z. B. in der Regensburger Chronik. Ein
Verzeichniß der Schulen, jedoch ſehr unvollſtaͤndig, giebt Erhard
Geſchichte der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften I, 427. Eberlin
von Guͤnzburg nennt 1521 als fromme Schulmeiſter „deren trewe
Unterweiſung faſt genuͤtzt“ Crato und Sapidus zu Schletſtadt:
Mich. Hilſpach zu Hagenau: Spinler und Gerbellius zu Pforzheim:
Braſſicanus und Henrichmann zu Tuͤbingen: Egid. Krautwaſſer zu
Stuttgart und Horb: Joh. Schmidlin zu Memmingen, auch Cocleus
zu Nuͤrnberg, Niſenus zu Frankfurt.
2 Die Autobiographie von Plater ſtellt dieß Treiben ſehr an-
ſchaulich dar.
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[263/0281] Bewegungen in der gelehrten Literatur. lands wetteiferten die Schüler Dringenbergs anzuſtel- len. In Nürnberg, Ulm, Augsburg, Frankfurt, Hagenau, Memmingen, Pforzheim, finden wir mehr oder minder nahmhafte Poetenſchulen; 1 Schletſtadt ſelbſt ſtieg einmal auf 900 Schüler. Man wird nicht glauben, daß dieſe Literaten, welche hier eine rohe Jugend, die großentheils von Almoſen leben mußte, keine Bücher beſaß, ſich in ſelt- ſam disciplinirten Geſellſchaften, Bachanten und Schützen, von Stadt zu Stadt trieb, 2 in Ordnung zu halten und in den Anfangsgründen zu unterweiſen hatten, gerade große Ge- lehrte geweſen wären, oder deren gebildet hätten: auch kam es darauf nicht an; es war ſchon Verdienſt genug, daß ſie eine bedeutende Richtung feſthielten, nach Kräften aus- breiteten, die Bildung eines lebendigen literariſchen Pu- blicums begründeten. Allmählig wichen die bisherigen Lehr- bücher: aus den deutſchen Preſſen giengen claſſiſche Auto en hervor; ſchon am Ende des funfzehnten Jahrhunders macht ein Geiler von Keiſersberg, der ſonſt dieſer literariſchen Richtung nicht angehört, den gelehrten Theologen ihr La- tein zum Vorwurf, das roh und matt und barbariſch ſey, 1 So heißen ſie z. B. in der Regensburger Chronik. Ein Verzeichniß der Schulen, jedoch ſehr unvollſtaͤndig, giebt Erhard Geſchichte der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften I, 427. Eberlin von Guͤnzburg nennt 1521 als fromme Schulmeiſter „deren trewe Unterweiſung faſt genuͤtzt“ Crato und Sapidus zu Schletſtadt: Mich. Hilſpach zu Hagenau: Spinler und Gerbellius zu Pforzheim: Braſſicanus und Henrichmann zu Tuͤbingen: Egid. Krautwaſſer zu Stuttgart und Horb: Joh. Schmidlin zu Memmingen, auch Cocleus zu Nuͤrnberg, Niſenus zu Frankfurt. 2 Die Autobiographie von Plater ſtellt dieß Treiben ſehr an- ſchaulich dar.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/281>, abgerufen am 29.03.2024.