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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Kirchliche Ideale.
den Ursprung der geistlichen Gewalt. Nur auf einer rein
demokratischen Grundlage wäre dann der Aufbau einer
neuen Kirche emporgestiegen.

In der That machte man jetzt in einem großen deut-
schen Fürstenthum einen Versuch dazu.

Nichts ist merkwürdiger als der Beschluß der Synode,
welche Landgraf Philipp im October 1526 mit den geist-
lichen und weltlichen Ständen seines Landes zu Homberg
hielt. Die Einwendung des Franciscaner-Guardians von
Marburg, daß auf einer so kleinen Versammlung nicht über
Angelegenheiten entschieden werden könne, welche vor ein
allgemeines Concilium gehören, war leicht beseitigt, da
eben auf dem Reichstag die Unmöglichkeit ein solches ab-
zuwarten, anerkannt worden war. Dagegen drang Franz
Lambert mit dem entgegengesetzten Grundsatz durch, daß
alle Christen des Priesterthums theilhaftig seyen, die wahre
Kirche nur in ihrer Gemeinschaft bestehe, und diese Kirche
nach dem Worte Gottes über die Glaubenssachen zu ent-
scheiden habe. 1 Man faßte die Idee, eine Kirche zu con-
stituiren welche aus lauter Gläubigen bestehe. Man stellte
dazu folgenden Entwurf auf. 2


Mittw. nach Galli 1524. Abgedruckt in Riederers Nachrichten zur
Büchergeschichte etc. II, 334. Nachdem ainer christlichen Gemain ge-
bürt, einhellig in sich in die Gemaind zu greifen nach einem erbarn
unverleumpten Mann, -- -- welchen auch dieselbe Gemaind Macht
hat wieder abzuschaffen. Der Widerchrist, der sie in der babylonischen
Gefangenschaft halte, habe ihnen auch diese Freiheit entzogen etc.
1 Paradoxa Francisci Lamberti bei Scultetus Annales Evang.
p. 68. Tit. VI § 6. Tit. III
§ 1.
2 Reformatio ecclesiarum Hassiae juxta certissimam ser-
monum dei regulam ordinata in venerabili synodo per clemmum
Ranke d. Gesch. II. 28

Kirchliche Ideale.
den Urſprung der geiſtlichen Gewalt. Nur auf einer rein
demokratiſchen Grundlage wäre dann der Aufbau einer
neuen Kirche emporgeſtiegen.

In der That machte man jetzt in einem großen deut-
ſchen Fürſtenthum einen Verſuch dazu.

Nichts iſt merkwürdiger als der Beſchluß der Synode,
welche Landgraf Philipp im October 1526 mit den geiſt-
lichen und weltlichen Ständen ſeines Landes zu Homberg
hielt. Die Einwendung des Franciscaner-Guardians von
Marburg, daß auf einer ſo kleinen Verſammlung nicht über
Angelegenheiten entſchieden werden könne, welche vor ein
allgemeines Concilium gehören, war leicht beſeitigt, da
eben auf dem Reichstag die Unmöglichkeit ein ſolches ab-
zuwarten, anerkannt worden war. Dagegen drang Franz
Lambert mit dem entgegengeſetzten Grundſatz durch, daß
alle Chriſten des Prieſterthums theilhaftig ſeyen, die wahre
Kirche nur in ihrer Gemeinſchaft beſtehe, und dieſe Kirche
nach dem Worte Gottes über die Glaubensſachen zu ent-
ſcheiden habe. 1 Man faßte die Idee, eine Kirche zu con-
ſtituiren welche aus lauter Gläubigen beſtehe. Man ſtellte
dazu folgenden Entwurf auf. 2


Mittw. nach Galli 1524. Abgedruckt in Riederers Nachrichten zur
Buͤchergeſchichte ꝛc. II, 334. Nachdem ainer chriſtlichen Gemain ge-
buͤrt, einhellig in ſich in die Gemaind zu greifen nach einem erbarn
unverleumpten Mann, — — welchen auch dieſelbe Gemaind Macht
hat wieder abzuſchaffen. Der Widerchriſt, der ſie in der babyloniſchen
Gefangenſchaft halte, habe ihnen auch dieſe Freiheit entzogen ꝛc.
1 Paradoxa Francisci Lamberti bei Scultetus Annales Evang.
p. 68. Tit. VI § 6. Tit. III
§ 1.
2 Reformatio ecclesiarum Hassiae juxta certissimam ser-
monum dei regulam ordinata in venerabili synodo per clemmum
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[433/0443] Kirchliche Ideale. den Urſprung der geiſtlichen Gewalt. Nur auf einer rein demokratiſchen Grundlage wäre dann der Aufbau einer neuen Kirche emporgeſtiegen. In der That machte man jetzt in einem großen deut- ſchen Fürſtenthum einen Verſuch dazu. Nichts iſt merkwürdiger als der Beſchluß der Synode, welche Landgraf Philipp im October 1526 mit den geiſt- lichen und weltlichen Ständen ſeines Landes zu Homberg hielt. Die Einwendung des Franciscaner-Guardians von Marburg, daß auf einer ſo kleinen Verſammlung nicht über Angelegenheiten entſchieden werden könne, welche vor ein allgemeines Concilium gehören, war leicht beſeitigt, da eben auf dem Reichstag die Unmöglichkeit ein ſolches ab- zuwarten, anerkannt worden war. Dagegen drang Franz Lambert mit dem entgegengeſetzten Grundſatz durch, daß alle Chriſten des Prieſterthums theilhaftig ſeyen, die wahre Kirche nur in ihrer Gemeinſchaft beſtehe, und dieſe Kirche nach dem Worte Gottes über die Glaubensſachen zu ent- ſcheiden habe. 1 Man faßte die Idee, eine Kirche zu con- ſtituiren welche aus lauter Gläubigen beſtehe. Man ſtellte dazu folgenden Entwurf auf. 2 2 1 Paradoxa Francisci Lamberti bei Scultetus Annales Evang. p. 68. Tit. VI § 6. Tit. III § 1. 2 Reformatio ecclesiarum Hassiae juxta certissimam ser- monum dei regulam ordinata in venerabili synodo per clemmum 2 Mittw. nach Galli 1524. Abgedruckt in Riederers Nachrichten zur Buͤchergeſchichte ꝛc. II, 334. Nachdem ainer chriſtlichen Gemain ge- buͤrt, einhellig in ſich in die Gemaind zu greifen nach einem erbarn unverleumpten Mann, — — welchen auch dieſelbe Gemaind Macht hat wieder abzuſchaffen. Der Widerchriſt, der ſie in der babyloniſchen Gefangenſchaft halte, habe ihnen auch dieſe Freiheit entzogen ꝛc. Ranke d. Geſch. II. 28

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/443>, abgerufen am 27.04.2024.