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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Fünftes Buch. Drittes Capitel.
hörte gegenüber, eine gewisse hauptsächlich auf dem Colle-
giatstift am Münster ruhende Selbständigkeit, deren Gefühl
und Ausübung aber in den letzten Jahren durch besondere
Umstände außerordentlich gewachsen war.

Der Ablaßhandel war dem Bischof in seiner Diöcese
so verhaßt, wie er der Stadt nur immer seyn konnte. Er
war ganz damit einverstanden, daß der Rath von Zürich
den Ablaßverkäufer Samson, der schon bis an die Sil,
an ein zürcherisches Wirthhaus herangekommen, zurückwies.
Zwingli bewahrte sorgfältig die Briefe auf, in denen er von
Seiten der geistlichen Behörde selbst aufgefordert worden, je-
nem Emissar der Curie Widerstand zu leisten. Es liegt am
Tage wie sehr hiedurch der Bischof die Autonomie der Stadt
in kirchlicher Hinsicht beförderte. 1

Indessen bewirkten die politischen Verhältnisse, daß Zü-
rich auch von der Curie mit großer Schonung behandelt ward.

Im Jahr 1520 ging Zwingli bereits sehr weit und
erfreute sich einer nicht geringen Anzahl entschiedener An-
hänger. Wirklich hat der Rath schon damals den Leutprie-
stern und Prädicanten in der Stadt und auf dem Lande
die Erlaubniß gegeben, 2 nach der göttlichen Schrift des

1 Antwurt Zwingli's an Val. Compar Werke, II, i, p. 7;
ferner die Antwort an Faber 30. April 1526.
2 "Daß sie alle insgemein frey, wie dieses auch die päpstlichen
Rechte zugeben, die heiligen Evangelia und Epistel der Apostel gleich-
förmig nach dem Geiste Gottes und der rechten göttlichen Schrift al-
ten und neuen Testamentes predigen und was sie mit gemeldeter Schrift
erhalten und bewähren mögen, verkündigen und von anderen zufälli-
gen Neuerungen und Satzungen schweigen sollen." Antworten, die
ein Bürgermeister, Rath und der große Rath der Stadt Zürich ih-
ren Eidgenossen gegeben hat. Füßli Beiträge II, p. 237. Vergl.
Bullinger I, p. 20.

Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.
hörte gegenüber, eine gewiſſe hauptſächlich auf dem Colle-
giatſtift am Münſter ruhende Selbſtändigkeit, deren Gefühl
und Ausübung aber in den letzten Jahren durch beſondere
Umſtände außerordentlich gewachſen war.

Der Ablaßhandel war dem Biſchof in ſeiner Diöceſe
ſo verhaßt, wie er der Stadt nur immer ſeyn konnte. Er
war ganz damit einverſtanden, daß der Rath von Zürich
den Ablaßverkäufer Samſon, der ſchon bis an die Sil,
an ein zürcheriſches Wirthhaus herangekommen, zurückwies.
Zwingli bewahrte ſorgfältig die Briefe auf, in denen er von
Seiten der geiſtlichen Behörde ſelbſt aufgefordert worden, je-
nem Emiſſar der Curie Widerſtand zu leiſten. Es liegt am
Tage wie ſehr hiedurch der Biſchof die Autonomie der Stadt
in kirchlicher Hinſicht beförderte. 1

Indeſſen bewirkten die politiſchen Verhältniſſe, daß Zü-
rich auch von der Curie mit großer Schonung behandelt ward.

Im Jahr 1520 ging Zwingli bereits ſehr weit und
erfreute ſich einer nicht geringen Anzahl entſchiedener An-
hänger. Wirklich hat der Rath ſchon damals den Leutprie-
ſtern und Prädicanten in der Stadt und auf dem Lande
die Erlaubniß gegeben, 2 nach der göttlichen Schrift des

1 Antwurt Zwingli’s an Val. Compar Werke, II, i, p. 7;
ferner die Antwort an Faber 30. April 1526.
2 „Daß ſie alle insgemein frey, wie dieſes auch die paͤpſtlichen
Rechte zugeben, die heiligen Evangelia und Epiſtel der Apoſtel gleich-
foͤrmig nach dem Geiſte Gottes und der rechten goͤttlichen Schrift al-
ten und neuen Teſtamentes predigen und was ſie mit gemeldeter Schrift
erhalten und bewaͤhren moͤgen, verkuͤndigen und von anderen zufaͤlli-
gen Neuerungen und Satzungen ſchweigen ſollen.“ Antworten, die
ein Buͤrgermeiſter, Rath und der große Rath der Stadt Zuͤrich ih-
ren Eidgenoſſen gegeben hat. Fuͤßli Beitraͤge II, p. 237. Vergl.
Bullinger I, p. 20.
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[66/0082] Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel. hörte gegenüber, eine gewiſſe hauptſächlich auf dem Colle- giatſtift am Münſter ruhende Selbſtändigkeit, deren Gefühl und Ausübung aber in den letzten Jahren durch beſondere Umſtände außerordentlich gewachſen war. Der Ablaßhandel war dem Biſchof in ſeiner Diöceſe ſo verhaßt, wie er der Stadt nur immer ſeyn konnte. Er war ganz damit einverſtanden, daß der Rath von Zürich den Ablaßverkäufer Samſon, der ſchon bis an die Sil, an ein zürcheriſches Wirthhaus herangekommen, zurückwies. Zwingli bewahrte ſorgfältig die Briefe auf, in denen er von Seiten der geiſtlichen Behörde ſelbſt aufgefordert worden, je- nem Emiſſar der Curie Widerſtand zu leiſten. Es liegt am Tage wie ſehr hiedurch der Biſchof die Autonomie der Stadt in kirchlicher Hinſicht beförderte. 1 Indeſſen bewirkten die politiſchen Verhältniſſe, daß Zü- rich auch von der Curie mit großer Schonung behandelt ward. Im Jahr 1520 ging Zwingli bereits ſehr weit und erfreute ſich einer nicht geringen Anzahl entſchiedener An- hänger. Wirklich hat der Rath ſchon damals den Leutprie- ſtern und Prädicanten in der Stadt und auf dem Lande die Erlaubniß gegeben, 2 nach der göttlichen Schrift des 1 Antwurt Zwingli’s an Val. Compar Werke, II, i, p. 7; ferner die Antwort an Faber 30. April 1526. 2 „Daß ſie alle insgemein frey, wie dieſes auch die paͤpſtlichen Rechte zugeben, die heiligen Evangelia und Epiſtel der Apoſtel gleich- foͤrmig nach dem Geiſte Gottes und der rechten goͤttlichen Schrift al- ten und neuen Teſtamentes predigen und was ſie mit gemeldeter Schrift erhalten und bewaͤhren moͤgen, verkuͤndigen und von anderen zufaͤlli- gen Neuerungen und Satzungen ſchweigen ſollen.“ Antworten, die ein Buͤrgermeiſter, Rath und der große Rath der Stadt Zuͤrich ih- ren Eidgenoſſen gegeben hat. Fuͤßli Beitraͤge II, p. 237. Vergl. Bullinger I, p. 20.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/82>, abgerufen am 25.04.2024.