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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Wechsel politischer Tendenzen.

Die Entscheidung zwischen beiden konnte dem Kaiser,
in der Lage in der man war, nicht schwer fallen.

Die Protestanten anzugreifen, zu einer Zeit wo sie Eng-
land
auf ihrer Seite hatten, Cleve an sich ziehn, und die
religiösen Sympathien die in den Niederlanden verbreitet
waren erwecken konnten, wo ferner ein Angriff der Osma-
nen drohte und sich nicht absehen ließ welche Politik Frank-
reich
nunmehr ergreifen würde, war ein Ding der Unmög-
lichkeit. Granvella soll dem Kaiser gesagt haben, der Krieg
mit ihnen setze seine Krone in Gefahr. 1

Und hatten sie nicht überdieß durch den Vertrag zu
Frankfurt neue gegründete Ansprüche gewonnen?

Zunächst ersuchte sie der Kaiser durch die Grafen Nue-
nar
und Manderscheid, ihre Sache ihm zu überlassen: er
werde einige Gelehrte unter dem Vorsitz Granvellas ver-
sammeln um von den streitigen Artikeln gründlich zu reden
und eine Concordia zu machen. Aber die Protestanten wa-
ren nicht gewohnt, von einem ihnen einmal zu Theil gewor-
denen Zugeständniß wieder zurückzutreten: sie blieben dabei,
eine öffentliche Verhandlung vor den Ständen des Reiches
zu fordern.

Da sie sich standhaft zeigten, so mußte der Kaiser ihnen
am Ende nachgeben. Er entschloß sich, eine Versammlung
nach Speier auszuschreiben, "um die Dinge dahin zu rich-
ten," wie es in dem Ausschreiben heißt, "daß der langwie-
rige Zwiespalt der Religion einmal zu christlicher Vergleichung
gebracht werde."

Das war nun aber doch nichts anders als was einst
in Frankfurt beschlossen worden. Vergebens ergoß sich der

1 Aus dem Munde von Naves: Schreiben bei Neudecker p. 601.
Wechſel politiſcher Tendenzen.

Die Entſcheidung zwiſchen beiden konnte dem Kaiſer,
in der Lage in der man war, nicht ſchwer fallen.

Die Proteſtanten anzugreifen, zu einer Zeit wo ſie Eng-
land
auf ihrer Seite hatten, Cleve an ſich ziehn, und die
religiöſen Sympathien die in den Niederlanden verbreitet
waren erwecken konnten, wo ferner ein Angriff der Osma-
nen drohte und ſich nicht abſehen ließ welche Politik Frank-
reich
nunmehr ergreifen würde, war ein Ding der Unmög-
lichkeit. Granvella ſoll dem Kaiſer geſagt haben, der Krieg
mit ihnen ſetze ſeine Krone in Gefahr. 1

Und hatten ſie nicht überdieß durch den Vertrag zu
Frankfurt neue gegründete Anſprüche gewonnen?

Zunächſt erſuchte ſie der Kaiſer durch die Grafen Nue-
nar
und Manderſcheid, ihre Sache ihm zu überlaſſen: er
werde einige Gelehrte unter dem Vorſitz Granvellas ver-
ſammeln um von den ſtreitigen Artikeln gründlich zu reden
und eine Concordia zu machen. Aber die Proteſtanten wa-
ren nicht gewohnt, von einem ihnen einmal zu Theil gewor-
denen Zugeſtändniß wieder zurückzutreten: ſie blieben dabei,
eine öffentliche Verhandlung vor den Ständen des Reiches
zu fordern.

Da ſie ſich ſtandhaft zeigten, ſo mußte der Kaiſer ihnen
am Ende nachgeben. Er entſchloß ſich, eine Verſammlung
nach Speier auszuſchreiben, „um die Dinge dahin zu rich-
ten,“ wie es in dem Ausſchreiben heißt, „daß der langwie-
rige Zwieſpalt der Religion einmal zu chriſtlicher Vergleichung
gebracht werde.“

Das war nun aber doch nichts anders als was einſt
in Frankfurt beſchloſſen worden. Vergebens ergoß ſich der

1 Aus dem Munde von Naves: Schreiben bei Neudecker p. 601.
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[189/0201] Wechſel politiſcher Tendenzen. Die Entſcheidung zwiſchen beiden konnte dem Kaiſer, in der Lage in der man war, nicht ſchwer fallen. Die Proteſtanten anzugreifen, zu einer Zeit wo ſie Eng- land auf ihrer Seite hatten, Cleve an ſich ziehn, und die religiöſen Sympathien die in den Niederlanden verbreitet waren erwecken konnten, wo ferner ein Angriff der Osma- nen drohte und ſich nicht abſehen ließ welche Politik Frank- reich nunmehr ergreifen würde, war ein Ding der Unmög- lichkeit. Granvella ſoll dem Kaiſer geſagt haben, der Krieg mit ihnen ſetze ſeine Krone in Gefahr. 1 Und hatten ſie nicht überdieß durch den Vertrag zu Frankfurt neue gegründete Anſprüche gewonnen? Zunächſt erſuchte ſie der Kaiſer durch die Grafen Nue- nar und Manderſcheid, ihre Sache ihm zu überlaſſen: er werde einige Gelehrte unter dem Vorſitz Granvellas ver- ſammeln um von den ſtreitigen Artikeln gründlich zu reden und eine Concordia zu machen. Aber die Proteſtanten wa- ren nicht gewohnt, von einem ihnen einmal zu Theil gewor- denen Zugeſtändniß wieder zurückzutreten: ſie blieben dabei, eine öffentliche Verhandlung vor den Ständen des Reiches zu fordern. Da ſie ſich ſtandhaft zeigten, ſo mußte der Kaiſer ihnen am Ende nachgeben. Er entſchloß ſich, eine Verſammlung nach Speier auszuſchreiben, „um die Dinge dahin zu rich- ten,“ wie es in dem Ausſchreiben heißt, „daß der langwie- rige Zwieſpalt der Religion einmal zu chriſtlicher Vergleichung gebracht werde.“ Das war nun aber doch nichts anders als was einſt in Frankfurt beſchloſſen worden. Vergebens ergoß ſich der 1 Aus dem Munde von Naves: Schreiben bei Neudecker p. 601.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/201>, abgerufen am 25.04.2024.