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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843.

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Zweites Capitel.
Befestigung des deutschen Protestantismus.


Ich zweifle nicht: so war die Lage der Dinge; diese
Kräfte standen einander gegenüber; diese Tendenzen walteten
ob, und ihr Gegensatz gab auch dem deutschen Protestantis-
mus seine Stellung. Wenn es darauf ankam, die Einheit
der Christenheit in der Form wie sie bestand, die aber keinen
Nutzen mehr schaffte und sich nur drückend erwies, aufzu-
lösen, so hatte er den wesentlichsten Theil dieses Unterneh-
mens auszuführen, den Kampf mit den geistlichen Meinun-
gen und Vorurtheilen, welche die Gemüther so lange mit un-
widerstehlicher Gewalt beherrscht und noch jedem Angriff Wi-
derstand geleistet. Allein es wäre ein Irrthum, wenn wir
glauben wollten daß die Protestanten in Anschauung dieser
allgemeinen Verhältnisse gelebt hätten, sich derselben bewußt
geworden wären. Von der Ferne der Jahrhunderte her kön-
nen wir die großen Combinationen die in den Dingen liegen
wahrnehmen: die eigentliche Thätigkeit in der jedesmaligen
Gegenwart aber kann davon nicht abhangen: da kommt es
allein auf die richtige Behandlung des unmittelbar Vorliegen-
den an, auf die gute Sache die man hat, die moralische

Ranke D. Gesch. IV. 5
Zweites Capitel.
Befeſtigung des deutſchen Proteſtantismus.


Ich zweifle nicht: ſo war die Lage der Dinge; dieſe
Kräfte ſtanden einander gegenüber; dieſe Tendenzen walteten
ob, und ihr Gegenſatz gab auch dem deutſchen Proteſtantis-
mus ſeine Stellung. Wenn es darauf ankam, die Einheit
der Chriſtenheit in der Form wie ſie beſtand, die aber keinen
Nutzen mehr ſchaffte und ſich nur drückend erwies, aufzu-
löſen, ſo hatte er den weſentlichſten Theil dieſes Unterneh-
mens auszuführen, den Kampf mit den geiſtlichen Meinun-
gen und Vorurtheilen, welche die Gemüther ſo lange mit un-
widerſtehlicher Gewalt beherrſcht und noch jedem Angriff Wi-
derſtand geleiſtet. Allein es wäre ein Irrthum, wenn wir
glauben wollten daß die Proteſtanten in Anſchauung dieſer
allgemeinen Verhältniſſe gelebt hätten, ſich derſelben bewußt
geworden wären. Von der Ferne der Jahrhunderte her kön-
nen wir die großen Combinationen die in den Dingen liegen
wahrnehmen: die eigentliche Thätigkeit in der jedesmaligen
Gegenwart aber kann davon nicht abhangen: da kommt es
allein auf die richtige Behandlung des unmittelbar Vorliegen-
den an, auf die gute Sache die man hat, die moraliſche

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[[65]/0077] Zweites Capitel. Befeſtigung des deutſchen Proteſtantismus. Ich zweifle nicht: ſo war die Lage der Dinge; dieſe Kräfte ſtanden einander gegenüber; dieſe Tendenzen walteten ob, und ihr Gegenſatz gab auch dem deutſchen Proteſtantis- mus ſeine Stellung. Wenn es darauf ankam, die Einheit der Chriſtenheit in der Form wie ſie beſtand, die aber keinen Nutzen mehr ſchaffte und ſich nur drückend erwies, aufzu- löſen, ſo hatte er den weſentlichſten Theil dieſes Unterneh- mens auszuführen, den Kampf mit den geiſtlichen Meinun- gen und Vorurtheilen, welche die Gemüther ſo lange mit un- widerſtehlicher Gewalt beherrſcht und noch jedem Angriff Wi- derſtand geleiſtet. Allein es wäre ein Irrthum, wenn wir glauben wollten daß die Proteſtanten in Anſchauung dieſer allgemeinen Verhältniſſe gelebt hätten, ſich derſelben bewußt geworden wären. Von der Ferne der Jahrhunderte her kön- nen wir die großen Combinationen die in den Dingen liegen wahrnehmen: die eigentliche Thätigkeit in der jedesmaligen Gegenwart aber kann davon nicht abhangen: da kommt es allein auf die richtige Behandlung des unmittelbar Vorliegen- den an, auf die gute Sache die man hat, die moraliſche Ranke D. Geſch. IV. 5

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 4. Berlin, 1843, S. [65]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation04_1843/77>, abgerufen am 19.03.2024.