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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Protestantische Kirchenverfassung.
und auch da durch, wo man bisher die bischöflichen For-
men beibehalten hatte. 1 Sie beruht auf einer Vereinigung
des neuen geistlichen Prinzipes und der Landeshoheit, die
dem Ereigniß wie es sich nun einmal vollzogen hatte, voll-
kommen entspricht. Die Geistlichkeit hätte sich ohne das
Fürstenthum nimmermehr behaupten können; dieses dagegen
erlangte durch eine ergebene Geistlichkeit eine Ausdehnung sei-
ner Befugnisse, welche auch in katholischen Ländern gesucht,
aber doch nicht in so vollem Maaße erreicht werden konnte.

Freilich waren damit auch wieder bei weitem größere
Schwierigkeiten verknüpft. Es war nur erst ein Grund ge-
legt, ein Anfang gemacht, und schon sollte man die bedeu-
tendsten, weitaussehendsten Irrungen erledigen.

Von der Lehre war die Absonderung von der alten Kirche
und die Einrichtung eines neuen Gemeinwesens ausgegan-
gen: nichts konnte widriger und bedenklicher seyn, als daß
man sich über die Lehre wieder entzweite.

Theologische Streitigkeiten.

Vor dem schmalkaldischen Kriege herrschte in der pro-
testantisch-theologischen Welt ein ziemlich allgemeiner Friede.
Wohl war kurz vorher der alte Ingrimm Luthers gegen die
schweizerische Meinung noch einmal aufgeflammt, 2 eine Be-

1 Melanchthon findet folgenden Vortheil. "Wo Consistoria
sind, sagt er, da ist nicht einer allein gewaltig, sondern die Sachen
müssen durch etliche erfahrne Personen bedacht werden und alsdann
an die Herrschaft gebracht, die solches auch weiter bedenken kann."
Bedenken vom Synodo 1558.
2 Calvin, Expositio consensionis capitum: ex sopitis car-
bonibus subinde micabant scintillae.

Proteſtantiſche Kirchenverfaſſung.
und auch da durch, wo man bisher die biſchöflichen For-
men beibehalten hatte. 1 Sie beruht auf einer Vereinigung
des neuen geiſtlichen Prinzipes und der Landeshoheit, die
dem Ereigniß wie es ſich nun einmal vollzogen hatte, voll-
kommen entſpricht. Die Geiſtlichkeit hätte ſich ohne das
Fürſtenthum nimmermehr behaupten können; dieſes dagegen
erlangte durch eine ergebene Geiſtlichkeit eine Ausdehnung ſei-
ner Befugniſſe, welche auch in katholiſchen Ländern geſucht,
aber doch nicht in ſo vollem Maaße erreicht werden konnte.

Freilich waren damit auch wieder bei weitem größere
Schwierigkeiten verknüpft. Es war nur erſt ein Grund ge-
legt, ein Anfang gemacht, und ſchon ſollte man die bedeu-
tendſten, weitausſehendſten Irrungen erledigen.

Von der Lehre war die Abſonderung von der alten Kirche
und die Einrichtung eines neuen Gemeinweſens ausgegan-
gen: nichts konnte widriger und bedenklicher ſeyn, als daß
man ſich über die Lehre wieder entzweite.

Theologiſche Streitigkeiten.

Vor dem ſchmalkaldiſchen Kriege herrſchte in der pro-
teſtantiſch-theologiſchen Welt ein ziemlich allgemeiner Friede.
Wohl war kurz vorher der alte Ingrimm Luthers gegen die
ſchweizeriſche Meinung noch einmal aufgeflammt, 2 eine Be-

1 Melanchthon findet folgenden Vortheil. „Wo Conſiſtoria
ſind, ſagt er, da iſt nicht einer allein gewaltig, ſondern die Sachen
muͤſſen durch etliche erfahrne Perſonen bedacht werden und alsdann
an die Herrſchaft gebracht, die ſolches auch weiter bedenken kann.“
Bedenken vom Synodo 1558.
2 Calvin, Expositio consensionis capitum: ex sopitis car-
bonibus subinde micabant scintillae.
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[443/0455] Proteſtantiſche Kirchenverfaſſung. und auch da durch, wo man bisher die biſchöflichen For- men beibehalten hatte. 1 Sie beruht auf einer Vereinigung des neuen geiſtlichen Prinzipes und der Landeshoheit, die dem Ereigniß wie es ſich nun einmal vollzogen hatte, voll- kommen entſpricht. Die Geiſtlichkeit hätte ſich ohne das Fürſtenthum nimmermehr behaupten können; dieſes dagegen erlangte durch eine ergebene Geiſtlichkeit eine Ausdehnung ſei- ner Befugniſſe, welche auch in katholiſchen Ländern geſucht, aber doch nicht in ſo vollem Maaße erreicht werden konnte. Freilich waren damit auch wieder bei weitem größere Schwierigkeiten verknüpft. Es war nur erſt ein Grund ge- legt, ein Anfang gemacht, und ſchon ſollte man die bedeu- tendſten, weitausſehendſten Irrungen erledigen. Von der Lehre war die Abſonderung von der alten Kirche und die Einrichtung eines neuen Gemeinweſens ausgegan- gen: nichts konnte widriger und bedenklicher ſeyn, als daß man ſich über die Lehre wieder entzweite. Theologiſche Streitigkeiten. Vor dem ſchmalkaldiſchen Kriege herrſchte in der pro- teſtantiſch-theologiſchen Welt ein ziemlich allgemeiner Friede. Wohl war kurz vorher der alte Ingrimm Luthers gegen die ſchweizeriſche Meinung noch einmal aufgeflammt, 2 eine Be- 1 Melanchthon findet folgenden Vortheil. „Wo Conſiſtoria ſind, ſagt er, da iſt nicht einer allein gewaltig, ſondern die Sachen muͤſſen durch etliche erfahrne Perſonen bedacht werden und alsdann an die Herrſchaft gebracht, die ſolches auch weiter bedenken kann.“ Bedenken vom Synodo 1558. 2 Calvin, Expositio consensionis capitum: ex sopitis car- bonibus subinde micabant scintillae.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/455>, abgerufen am 29.03.2024.