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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
wegung aber war daraus nicht mehr entstanden. Der Zwing-
lianismus, wie ihn Bullinger bekannte, war wie berührt da-
mals in sehr enge Grenzen eingeschlossen; die deutschen Kir-
chen hielten an der Wittenberger Concordie fest. Eine kleine
Veränderung, 1 die Melanchthon in dem Wortlaut der augs-
burgischen Confession vorgenommen, ward ihm wenigstens
auf der evangelischen Seite noch nicht zum Vorwurf ge-
macht. 2 Abweichende Meinungen regten sich dann und
wann, wie des Eisleber Agricola oder Osianders in Nürn-
berg: sie wurden aber leicht beschwichtigt. Die hohe Schule
zu Wittenberg, die jedoch bei schwierigen Fragen niemals
versäumte auch andre angesehene besonders practische Theo-
logen herbeizuziehen, bildete eine Autorität, vor der sich alles
beugte. In ihr selber ließen sich zwar verschiedene Richtun-
gen unterscheiden, die sich an die Sinnesweise der beiden
großen Lehrer, Luther und Melanchthon, knüpften, allein sie
traten vor einem höheren Einverständniß zurück. Ein un-
vergängliches Denkmal dieser Gemeinschaft der spätern Jahre
ist die neue Ausgabe der Bibelübersetzung, bei der Melanch-
thon, Cruciger, Bugenhagen und mehrere Jüngere den Doctor
Luther, jeder mit seiner besondern Kunde unterstützten, und die
nun nicht wie in den ersten Zeiten in Form einer Flugschrift,
sondern als ein Codex göttlicher Wissenschaft der deutschen Na-

1 Ursprünglich hieß es: docent, - - quod corpus et sanguis
Christi vere adsint et distribuantur vescentibus in coena domini
et improbant secus docentes;
-- später: docent, quod cum pane
et vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus
in coena domini.
2 Luther billgte beim Wiederabdruck älterer Streitschriften in
der Sacramentssache die Weglassung anzüglicher und beleidigender
Stellen. Salig Gesch. der Augsb. Conf. III,

Zehntes Buch. Siebentes Capitel.
wegung aber war daraus nicht mehr entſtanden. Der Zwing-
lianismus, wie ihn Bullinger bekannte, war wie berührt da-
mals in ſehr enge Grenzen eingeſchloſſen; die deutſchen Kir-
chen hielten an der Wittenberger Concordie feſt. Eine kleine
Veränderung, 1 die Melanchthon in dem Wortlaut der augs-
burgiſchen Confeſſion vorgenommen, ward ihm wenigſtens
auf der evangeliſchen Seite noch nicht zum Vorwurf ge-
macht. 2 Abweichende Meinungen regten ſich dann und
wann, wie des Eisleber Agricola oder Oſianders in Nürn-
berg: ſie wurden aber leicht beſchwichtigt. Die hohe Schule
zu Wittenberg, die jedoch bei ſchwierigen Fragen niemals
verſäumte auch andre angeſehene beſonders practiſche Theo-
logen herbeizuziehen, bildete eine Autorität, vor der ſich alles
beugte. In ihr ſelber ließen ſich zwar verſchiedene Richtun-
gen unterſcheiden, die ſich an die Sinnesweiſe der beiden
großen Lehrer, Luther und Melanchthon, knüpften, allein ſie
traten vor einem höheren Einverſtändniß zurück. Ein un-
vergängliches Denkmal dieſer Gemeinſchaft der ſpätern Jahre
iſt die neue Ausgabe der Bibelüberſetzung, bei der Melanch-
thon, Cruciger, Bugenhagen und mehrere Jüngere den Doctor
Luther, jeder mit ſeiner beſondern Kunde unterſtützten, und die
nun nicht wie in den erſten Zeiten in Form einer Flugſchrift,
ſondern als ein Codex göttlicher Wiſſenſchaft der deutſchen Na-

1 Urſpruͤnglich hieß es: docent, ‒ ‒ quod corpus et sanguis
Christi vere adsint et distribuantur vescentibus in coena domini
et improbant secus docentes;
— ſpaͤter: docent, quod cum pane
et vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus
in coena domini.
2 Luther billgte beim Wiederabdruck aͤlterer Streitſchriften in
der Sacramentsſache die Weglaſſung anzuͤglicher und beleidigender
Stellen. Salig Geſch. der Augsb. Conf. III,
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[444/0456] Zehntes Buch. Siebentes Capitel. wegung aber war daraus nicht mehr entſtanden. Der Zwing- lianismus, wie ihn Bullinger bekannte, war wie berührt da- mals in ſehr enge Grenzen eingeſchloſſen; die deutſchen Kir- chen hielten an der Wittenberger Concordie feſt. Eine kleine Veränderung, 1 die Melanchthon in dem Wortlaut der augs- burgiſchen Confeſſion vorgenommen, ward ihm wenigſtens auf der evangeliſchen Seite noch nicht zum Vorwurf ge- macht. 2 Abweichende Meinungen regten ſich dann und wann, wie des Eisleber Agricola oder Oſianders in Nürn- berg: ſie wurden aber leicht beſchwichtigt. Die hohe Schule zu Wittenberg, die jedoch bei ſchwierigen Fragen niemals verſäumte auch andre angeſehene beſonders practiſche Theo- logen herbeizuziehen, bildete eine Autorität, vor der ſich alles beugte. In ihr ſelber ließen ſich zwar verſchiedene Richtun- gen unterſcheiden, die ſich an die Sinnesweiſe der beiden großen Lehrer, Luther und Melanchthon, knüpften, allein ſie traten vor einem höheren Einverſtändniß zurück. Ein un- vergängliches Denkmal dieſer Gemeinſchaft der ſpätern Jahre iſt die neue Ausgabe der Bibelüberſetzung, bei der Melanch- thon, Cruciger, Bugenhagen und mehrere Jüngere den Doctor Luther, jeder mit ſeiner beſondern Kunde unterſtützten, und die nun nicht wie in den erſten Zeiten in Form einer Flugſchrift, ſondern als ein Codex göttlicher Wiſſenſchaft der deutſchen Na- 1 Urſpruͤnglich hieß es: docent, ‒ ‒ quod corpus et sanguis Christi vere adsint et distribuantur vescentibus in coena domini et improbant secus docentes; — ſpaͤter: docent, quod cum pane et vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus in coena domini. 2 Luther billgte beim Wiederabdruck aͤlterer Streitſchriften in der Sacramentsſache die Weglaſſung anzuͤglicher und beleidigender Stellen. Salig Geſch. der Augsb. Conf. III,

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/456>, abgerufen am 28.03.2024.