Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Einführung des Interims.
liche Gewalt aufrecht zu erhalten: er konnte auf dem poli-
tischen Standpunct auf dem er sich befand, allenfalls nach-
geben. Für die Protestanten aber wurde nun jede Herstel-
lung des von ihnen Abgeänderten, jede Annäherung an das
entgegengesetzte Prinzip, von dem sie sich erst losgerissen, zu
einem Verluste ohne allen Ersatz.

Bisher hatte sich der protestantische Geist nach den eig-
nen innern Trieben in freier Autonomie entwickelt; er hatte
die Lehre durchaus umgestaltet, und von den Cerimonien nur
das behalten was ihm gemäß war. Jetzt sollte er zwar
nicht das gerade Gegentheil seines Wesens anerkennen: er
ward in seinen Grundmeinungen, in einigen der vornehm-
sten seiner Abweichungen geschont, geduldet; allein dabei wollte
man ihm Äußerlichkeiten und Gebräuche, auch wohl Mei-
nungsbestimmungen aufdringen, die er mit vollem Bedacht,
als eigenthümliche Ausflüsse des von ihm verworfenen Prin-
zipes, hatte fallen lassen.

Die Anordnung, die von dem Gedanken der Versöh-
nung ausgegangen, erhielt den Character der Unterdrückung.
Die Protestanten bekamen zu empfinden, was es heiße daß
sie sich hatten entzweien lassen und ihre Oberhäupter, welche
ihr System darstellten, besiegt worden waren.

Allein es gab nun keinen Ausweg mehr: der Reichstag
hatte den Beschluß gefaßt, die vornehmsten Fürsten, auch der
protestantischen Seite, hatten eingewilligt, und der Kaiser war
entschlossen die Sache mit aller Kraft ins Werk zu setzen.
Wie heftig bedeutete er zwei mindermächtige Fürsten die
sich widersetzten. Dem einen, dem Markgrafen Johann,
ließ der Kaiser, wie die officielle Relation sagt, mit runden

Einfuͤhrung des Interims.
liche Gewalt aufrecht zu erhalten: er konnte auf dem poli-
tiſchen Standpunct auf dem er ſich befand, allenfalls nach-
geben. Für die Proteſtanten aber wurde nun jede Herſtel-
lung des von ihnen Abgeänderten, jede Annäherung an das
entgegengeſetzte Prinzip, von dem ſie ſich erſt losgeriſſen, zu
einem Verluſte ohne allen Erſatz.

Bisher hatte ſich der proteſtantiſche Geiſt nach den eig-
nen innern Trieben in freier Autonomie entwickelt; er hatte
die Lehre durchaus umgeſtaltet, und von den Cerimonien nur
das behalten was ihm gemäß war. Jetzt ſollte er zwar
nicht das gerade Gegentheil ſeines Weſens anerkennen: er
ward in ſeinen Grundmeinungen, in einigen der vornehm-
ſten ſeiner Abweichungen geſchont, geduldet; allein dabei wollte
man ihm Äußerlichkeiten und Gebräuche, auch wohl Mei-
nungsbeſtimmungen aufdringen, die er mit vollem Bedacht,
als eigenthümliche Ausflüſſe des von ihm verworfenen Prin-
zipes, hatte fallen laſſen.

Die Anordnung, die von dem Gedanken der Verſöh-
nung ausgegangen, erhielt den Character der Unterdrückung.
Die Proteſtanten bekamen zu empfinden, was es heiße daß
ſie ſich hatten entzweien laſſen und ihre Oberhäupter, welche
ihr Syſtem darſtellten, beſiegt worden waren.

Allein es gab nun keinen Ausweg mehr: der Reichstag
hatte den Beſchluß gefaßt, die vornehmſten Fürſten, auch der
proteſtantiſchen Seite, hatten eingewilligt, und der Kaiſer war
entſchloſſen die Sache mit aller Kraft ins Werk zu ſetzen.
Wie heftig bedeutete er zwei mindermächtige Fürſten die
ſich widerſetzten. Dem einen, dem Markgrafen Johann,
ließ der Kaiſer, wie die officielle Relation ſagt, mit runden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0069" n="57"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Einfu&#x0364;hrung des Interims</hi>.</fw><lb/>
liche Gewalt aufrecht zu erhalten: er konnte auf dem poli-<lb/>
ti&#x017F;chen Standpunct auf dem er &#x017F;ich befand, allenfalls nach-<lb/>
geben. Für die Prote&#x017F;tanten aber wurde nun jede Her&#x017F;tel-<lb/>
lung des von ihnen Abgeänderten, jede Annäherung an das<lb/>
entgegenge&#x017F;etzte Prinzip, von dem &#x017F;ie &#x017F;ich er&#x017F;t losgeri&#x017F;&#x017F;en, zu<lb/>
einem Verlu&#x017F;te ohne allen Er&#x017F;atz.</p><lb/>
          <p>Bisher hatte &#x017F;ich der prote&#x017F;tanti&#x017F;che Gei&#x017F;t nach den eig-<lb/>
nen innern Trieben in freier Autonomie entwickelt; er hatte<lb/>
die Lehre durchaus umge&#x017F;taltet, und von den Cerimonien nur<lb/>
das behalten was ihm gemäß war. Jetzt &#x017F;ollte er zwar<lb/>
nicht das gerade Gegentheil &#x017F;eines We&#x017F;ens anerkennen: er<lb/>
ward in &#x017F;einen Grundmeinungen, in einigen der vornehm-<lb/>
&#x017F;ten &#x017F;einer Abweichungen ge&#x017F;chont, geduldet; allein dabei wollte<lb/>
man ihm Äußerlichkeiten und Gebräuche, auch wohl Mei-<lb/>
nungsbe&#x017F;timmungen aufdringen, die er mit vollem Bedacht,<lb/>
als eigenthümliche Ausflü&#x017F;&#x017F;e des von ihm verworfenen Prin-<lb/>
zipes, hatte fallen la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Die Anordnung, die von dem Gedanken der Ver&#x017F;öh-<lb/>
nung ausgegangen, erhielt den Character der Unterdrückung.<lb/>
Die Prote&#x017F;tanten bekamen zu empfinden, was es heiße daß<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich hatten entzweien la&#x017F;&#x017F;en und ihre Oberhäupter, welche<lb/>
ihr Sy&#x017F;tem dar&#x017F;tellten, be&#x017F;iegt worden waren.</p><lb/>
          <p>Allein es gab nun keinen Ausweg mehr: der Reichstag<lb/>
hatte den Be&#x017F;chluß gefaßt, die vornehm&#x017F;ten Für&#x017F;ten, auch der<lb/>
prote&#x017F;tanti&#x017F;chen Seite, hatten eingewilligt, und der Kai&#x017F;er war<lb/>
ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en die Sache mit aller Kraft ins Werk zu &#x017F;etzen.<lb/>
Wie heftig bedeutete er zwei mindermächtige Für&#x017F;ten die<lb/>
&#x017F;ich wider&#x017F;etzten. Dem einen, dem Markgrafen Johann,<lb/>
ließ der Kai&#x017F;er, wie die officielle Relation &#x017F;agt, mit runden<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0069] Einfuͤhrung des Interims. liche Gewalt aufrecht zu erhalten: er konnte auf dem poli- tiſchen Standpunct auf dem er ſich befand, allenfalls nach- geben. Für die Proteſtanten aber wurde nun jede Herſtel- lung des von ihnen Abgeänderten, jede Annäherung an das entgegengeſetzte Prinzip, von dem ſie ſich erſt losgeriſſen, zu einem Verluſte ohne allen Erſatz. Bisher hatte ſich der proteſtantiſche Geiſt nach den eig- nen innern Trieben in freier Autonomie entwickelt; er hatte die Lehre durchaus umgeſtaltet, und von den Cerimonien nur das behalten was ihm gemäß war. Jetzt ſollte er zwar nicht das gerade Gegentheil ſeines Weſens anerkennen: er ward in ſeinen Grundmeinungen, in einigen der vornehm- ſten ſeiner Abweichungen geſchont, geduldet; allein dabei wollte man ihm Äußerlichkeiten und Gebräuche, auch wohl Mei- nungsbeſtimmungen aufdringen, die er mit vollem Bedacht, als eigenthümliche Ausflüſſe des von ihm verworfenen Prin- zipes, hatte fallen laſſen. Die Anordnung, die von dem Gedanken der Verſöh- nung ausgegangen, erhielt den Character der Unterdrückung. Die Proteſtanten bekamen zu empfinden, was es heiße daß ſie ſich hatten entzweien laſſen und ihre Oberhäupter, welche ihr Syſtem darſtellten, beſiegt worden waren. Allein es gab nun keinen Ausweg mehr: der Reichstag hatte den Beſchluß gefaßt, die vornehmſten Fürſten, auch der proteſtantiſchen Seite, hatten eingewilligt, und der Kaiſer war entſchloſſen die Sache mit aller Kraft ins Werk zu ſetzen. Wie heftig bedeutete er zwei mindermächtige Fürſten die ſich widerſetzten. Dem einen, dem Markgrafen Johann, ließ der Kaiſer, wie die officielle Relation ſagt, mit runden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/69
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/69>, abgerufen am 19.04.2024.