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Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886.

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III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
sie vor dem ersten Kriegszug nach Korea im dritten Jahrhundert n. Ch.
nicht bestand. Von Japanern ist zwar behauptet worden, Urushi-no-ki,
der Lackbaum, sei früher in den Wäldern ihres Landes vorgekommen
und die auf seinen Saft basierte Industrie habe sich spontan entwickelt;
doch fehlen hierfür alle Beweise, während mancherlei Thatsachen auf
China als Ausgang hinweisen. Einmal ist bislang Rhus vernicifera
nirgends in Japan wild wachsend getroffen, wohl aber zuweilen mit
Rhus sylvestris verwechselt worden. Zum andern stimmen die im
Lande gebrauchten Mittel und Werkzeuge mit denen völlig überein,
welche man seit Jahrhunderten in der Lackindustrie Chinas anwendet.
Auch ist verschiedenen Stellen der freilich sehr unzuverlässigen Ge-
schichte Japans wenigstens so viel mit Sicherheit zu entnehmen, dass
der Industriezweig während der ersten sechs Jahrhunderte noch wenig
verbreitet war. Da man nun in Japan alle sonstigen kunstgewerb-
lichen Zweige den Chinesen und Koreanern verdankt, so gehen wir
wohl nicht fehl mit der Behauptung: Auch die Lackierkunst -- und
den Lackbaum wahrscheinlich mit ihr -- lernten die Japaner erst nach
dem Anfang des dritten Jahrhunderts, d. h. nach ihrem ersten Kriegs-
zug gegen Korea von ihren westlichen Nachbarn kennen.

Unzweifelhaft aber erlangte der Lack als schützender und schmücken-
der Ueberzug von vielerlei Stoffen und Gegenständen erst von der
Mitte des 7. Jahrhunderts grössere Bedeutung. Kotoku-Tenno, der
36. Mikado (645--654 n. Ch.), liess zuerst das papierne Kamuri,
diese eigenthümliche ceremonielle Kopfbedeckung früherer Zeit, mit
schwarzem Lack überziehen. Auch die Verordnung aus etwas
späterer Zeit, wonach diejenigen Provinzen, in welchen die Lackier-
kunst betrieben wurde, ihre Abgaben an den Staat in Form von
Lackwaaren entrichten durften, muss als wesentliches Förderungs-
mittel zur Fortentwickelung und Verbreitung der Industrie angesehen
werden. Die Gegenstände wurden damals wohl alle einfach schwarz
lackiert, wie dies auch bei den beiden ältesten bekannten Lackartikeln
der Fall ist, die man im Tempel Todaiji zu Nara aufbewahrt. Der
eine derselben, ein Kesa-bako, d. h. Schärpen-Kasten, weil er zum
Aufbewahren der Schärpen diente, welche die Bonzen über den Schul-
tern tragen, gehörte ehemals dem Priester Shotoku Taishi, welcher
zur Zeit des Kinmei Tenno (540--572 n. Chr.) lebte; der andere ist
eine Saya oder Schwertscheide, welche dem Kaiser Shomu gehört
haben soll und danach aus der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts
stammt. Das Verzieren der Lackanstriche mit Goldstaub, sowie mit
Perlmutter-Einlage wird ebenfalls bis zum achten Jahrhundert zurück-
geführt.

III. Kunstgewerbe und Verwandtes.
sie vor dem ersten Kriegszug nach Korea im dritten Jahrhundert n. Ch.
nicht bestand. Von Japanern ist zwar behauptet worden, Urushi-no-ki,
der Lackbaum, sei früher in den Wäldern ihres Landes vorgekommen
und die auf seinen Saft basierte Industrie habe sich spontan entwickelt;
doch fehlen hierfür alle Beweise, während mancherlei Thatsachen auf
China als Ausgang hinweisen. Einmal ist bislang Rhus vernicifera
nirgends in Japan wild wachsend getroffen, wohl aber zuweilen mit
Rhus sylvestris verwechselt worden. Zum andern stimmen die im
Lande gebrauchten Mittel und Werkzeuge mit denen völlig überein,
welche man seit Jahrhunderten in der Lackindustrie Chinas anwendet.
Auch ist verschiedenen Stellen der freilich sehr unzuverlässigen Ge-
schichte Japans wenigstens so viel mit Sicherheit zu entnehmen, dass
der Industriezweig während der ersten sechs Jahrhunderte noch wenig
verbreitet war. Da man nun in Japan alle sonstigen kunstgewerb-
lichen Zweige den Chinesen und Koreanern verdankt, so gehen wir
wohl nicht fehl mit der Behauptung: Auch die Lackierkunst — und
den Lackbaum wahrscheinlich mit ihr — lernten die Japaner erst nach
dem Anfang des dritten Jahrhunderts, d. h. nach ihrem ersten Kriegs-
zug gegen Korea von ihren westlichen Nachbarn kennen.

Unzweifelhaft aber erlangte der Lack als schützender und schmücken-
der Ueberzug von vielerlei Stoffen und Gegenständen erst von der
Mitte des 7. Jahrhunderts grössere Bedeutung. Kôtoku-Tennô, der
36. Mikado (645—654 n. Ch.), liess zuerst das papierne Kamuri,
diese eigenthümliche ceremonielle Kopfbedeckung früherer Zeit, mit
schwarzem Lack überziehen. Auch die Verordnung aus etwas
späterer Zeit, wonach diejenigen Provinzen, in welchen die Lackier-
kunst betrieben wurde, ihre Abgaben an den Staat in Form von
Lackwaaren entrichten durften, muss als wesentliches Förderungs-
mittel zur Fortentwickelung und Verbreitung der Industrie angesehen
werden. Die Gegenstände wurden damals wohl alle einfach schwarz
lackiert, wie dies auch bei den beiden ältesten bekannten Lackartikeln
der Fall ist, die man im Tempel Tôdaiji zu Nara aufbewahrt. Der
eine derselben, ein Kesa-bako, d. h. Schärpen-Kasten, weil er zum
Aufbewahren der Schärpen diente, welche die Bonzen über den Schul-
tern tragen, gehörte ehemals dem Priester Shôtoku Taishi, welcher
zur Zeit des Kinmei Tennô (540—572 n. Chr.) lebte; der andere ist
eine Saya oder Schwertscheide, welche dem Kaiser Shômu gehört
haben soll und danach aus der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts
stammt. Das Verzieren der Lackanstriche mit Goldstaub, sowie mit
Perlmutter-Einlage wird ebenfalls bis zum achten Jahrhundert zurück-
geführt.

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[444/0474] III. Kunstgewerbe und Verwandtes. sie vor dem ersten Kriegszug nach Korea im dritten Jahrhundert n. Ch. nicht bestand. Von Japanern ist zwar behauptet worden, Urushi-no-ki, der Lackbaum, sei früher in den Wäldern ihres Landes vorgekommen und die auf seinen Saft basierte Industrie habe sich spontan entwickelt; doch fehlen hierfür alle Beweise, während mancherlei Thatsachen auf China als Ausgang hinweisen. Einmal ist bislang Rhus vernicifera nirgends in Japan wild wachsend getroffen, wohl aber zuweilen mit Rhus sylvestris verwechselt worden. Zum andern stimmen die im Lande gebrauchten Mittel und Werkzeuge mit denen völlig überein, welche man seit Jahrhunderten in der Lackindustrie Chinas anwendet. Auch ist verschiedenen Stellen der freilich sehr unzuverlässigen Ge- schichte Japans wenigstens so viel mit Sicherheit zu entnehmen, dass der Industriezweig während der ersten sechs Jahrhunderte noch wenig verbreitet war. Da man nun in Japan alle sonstigen kunstgewerb- lichen Zweige den Chinesen und Koreanern verdankt, so gehen wir wohl nicht fehl mit der Behauptung: Auch die Lackierkunst — und den Lackbaum wahrscheinlich mit ihr — lernten die Japaner erst nach dem Anfang des dritten Jahrhunderts, d. h. nach ihrem ersten Kriegs- zug gegen Korea von ihren westlichen Nachbarn kennen. Unzweifelhaft aber erlangte der Lack als schützender und schmücken- der Ueberzug von vielerlei Stoffen und Gegenständen erst von der Mitte des 7. Jahrhunderts grössere Bedeutung. Kôtoku-Tennô, der 36. Mikado (645—654 n. Ch.), liess zuerst das papierne Kamuri, diese eigenthümliche ceremonielle Kopfbedeckung früherer Zeit, mit schwarzem Lack überziehen. Auch die Verordnung aus etwas späterer Zeit, wonach diejenigen Provinzen, in welchen die Lackier- kunst betrieben wurde, ihre Abgaben an den Staat in Form von Lackwaaren entrichten durften, muss als wesentliches Förderungs- mittel zur Fortentwickelung und Verbreitung der Industrie angesehen werden. Die Gegenstände wurden damals wohl alle einfach schwarz lackiert, wie dies auch bei den beiden ältesten bekannten Lackartikeln der Fall ist, die man im Tempel Tôdaiji zu Nara aufbewahrt. Der eine derselben, ein Kesa-bako, d. h. Schärpen-Kasten, weil er zum Aufbewahren der Schärpen diente, welche die Bonzen über den Schul- tern tragen, gehörte ehemals dem Priester Shôtoku Taishi, welcher zur Zeit des Kinmei Tennô (540—572 n. Chr.) lebte; der andere ist eine Saya oder Schwertscheide, welche dem Kaiser Shômu gehört haben soll und danach aus der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts stammt. Das Verzieren der Lackanstriche mit Goldstaub, sowie mit Perlmutter-Einlage wird ebenfalls bis zum achten Jahrhundert zurück- geführt.

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Zitationshilfe: Rein, Johann Justus: Japan nach Reisen und Studien. Bd. 2. Leipzig, 1886, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rein_japan02_1886/474>, abgerufen am 19.04.2024.