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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

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Die Geschichte
gen einen so seltsamen Liebhaber aufführen solle.
"Was kan der Mensch für eine Absicht haben?
"(sagte sie zu meiner Base) Mein Vaters
"Bruder hat deutlich gesagt, er brächte ihn als
"einen Freyer in unser Haus." Es kan nicht
blosse Blödigkeit seyn: (nun dachte sie der Sache
weiter nach) "denn er hätte ja mit meines Va-
"ters Bruder reden können, wenn er nicht das
"Hertz gehabt hätte, seine Erklärung gegen mich
"zu thun. Jch frage nach ihm nicht viel. Es
"ist doch aber wahthaftig billig, daß eine Manns-
"Person, daß Frauenzimmer nicht lange rathen
"lasse sondern ihr selbst seine Absicht zu verstehen
"gebe. Allein in der That ich mercke, er suchet
"nicht so wohl meine als meiner Mutter Gunst
"zu erlangen. Es ist wahr, jedermann be-
"wundert meine Mutter wegen ihrer vortrefli-
"chen Aufführung: er wird sich aber irren, wenn
"er dencket, daß er die Tochter durch die Mutter
"kriegen will. Wenigstens solte er um seines
"eigenen Vortheils willen es meiner Wahl über-
"lassen, gegen ihn gefällig zu seyn, wenn
"er sich so aufführet, daß er mir gefallen kan.
"Jch muß es gestehen, daß seine entfernte und
"fremde Art des Umgangs desto wunderbah-
"rer ist, weil er seinen Besuch fortsetzet und ein
"Verlangen bezeuget, mit der gantzen Familie
"Freundschaft zu halten, da er doch wohl mer-
"chen muß, daß ich Verstand habe, falls ich an-
"ders selbst sagen darf was die Welt von mir ur-
"theilet."

Hier-

Die Geſchichte
gen einen ſo ſeltſamen Liebhaber auffuͤhren ſolle.
„Was kan der Menſch fuͤr eine Abſicht haben?
„(ſagte ſie zu meiner Baſe) Mein Vaters
„Bruder hat deutlich geſagt, er braͤchte ihn als
„einen Freyer in unſer Haus.„ Es kan nicht
bloſſe Bloͤdigkeit ſeyn: (nun dachte ſie der Sache
weiter nach) „denn er haͤtte ja mit meines Va-
„ters Bruder reden koͤnnen, wenn er nicht das
„Hertz gehabt haͤtte, ſeine Erklaͤrung gegen mich
„zu thun. Jch frage nach ihm nicht viel. Es
„iſt doch aber wahthaftig billig, daß eine Manns-
„Perſon, daß Frauenzimmer nicht lange rathen
„laſſe ſondern ihr ſelbſt ſeine Abſicht zu verſtehen
„gebe. Allein in der That ich mercke, er ſuchet
„nicht ſo wohl meine als meiner Mutter Gunſt
„zu erlangen. Es iſt wahr, jedermann be-
„wundert meine Mutter wegen ihrer vortrefli-
„chen Auffuͤhrung: er wird ſich aber irren, wenn
„er dencket, daß er die Tochter durch die Mutter
„kriegen will. Wenigſtens ſolte er um ſeines
„eigenen Vortheils willen es meiner Wahl uͤber-
„laſſen, gegen ihn gefaͤllig zu ſeyn, wenn
„er ſich ſo auffuͤhret, daß er mir gefallen kan.
„Jch muß es geſtehen, daß ſeine entfernte und
„fremde Art des Umgangs deſto wunderbah-
„rer iſt, weil er ſeinen Beſuch fortſetzet und ein
„Verlangen bezeuget, mit der gantzen Familie
„Freundſchaft zu halten, da er doch wohl mer-
„chen muß, daß ich Verſtand habe, falls ich an-
„ders ſelbſt ſagen darf was die Welt von mir ur-
„theilet.„

Hier-
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[14/0034] Die Geſchichte gen einen ſo ſeltſamen Liebhaber auffuͤhren ſolle. „Was kan der Menſch fuͤr eine Abſicht haben? „(ſagte ſie zu meiner Baſe) Mein Vaters „Bruder hat deutlich geſagt, er braͤchte ihn als „einen Freyer in unſer Haus.„ Es kan nicht bloſſe Bloͤdigkeit ſeyn: (nun dachte ſie der Sache weiter nach) „denn er haͤtte ja mit meines Va- „ters Bruder reden koͤnnen, wenn er nicht das „Hertz gehabt haͤtte, ſeine Erklaͤrung gegen mich „zu thun. Jch frage nach ihm nicht viel. Es „iſt doch aber wahthaftig billig, daß eine Manns- „Perſon, daß Frauenzimmer nicht lange rathen „laſſe ſondern ihr ſelbſt ſeine Abſicht zu verſtehen „gebe. Allein in der That ich mercke, er ſuchet „nicht ſo wohl meine als meiner Mutter Gunſt „zu erlangen. Es iſt wahr, jedermann be- „wundert meine Mutter wegen ihrer vortrefli- „chen Auffuͤhrung: er wird ſich aber irren, wenn „er dencket, daß er die Tochter durch die Mutter „kriegen will. Wenigſtens ſolte er um ſeines „eigenen Vortheils willen es meiner Wahl uͤber- „laſſen, gegen ihn gefaͤllig zu ſeyn, wenn „er ſich ſo auffuͤhret, daß er mir gefallen kan. „Jch muß es geſtehen, daß ſeine entfernte und „fremde Art des Umgangs deſto wunderbah- „rer iſt, weil er ſeinen Beſuch fortſetzet und ein „Verlangen bezeuget, mit der gantzen Familie „Freundſchaft zu halten, da er doch wohl mer- „chen muß, daß ich Verſtand habe, falls ich an- „ders ſelbſt ſagen darf was die Welt von mir ur- „theilet.„ Hier-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/34>, abgerufen am 25.04.2024.