Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

der Clarissa.
durfte nicht kommen. Meine Base hatte allein
die Gütigkeit unter Aufsicht meiner Schwester
zurück zu kommen: sie fassete mich bey der Hand,
und befahl mir, mich bey ihr nieder zu setzen.

Sie sagte: sie käme noch einmahl aus einer
vielleicht allzugrossen Dienstfertigkeit, denn sie
thäte es wider den Rath meines Vaters. Allein
sie fürchtete sich allzu sehr vor den Folgen, die
meine Widerspenstigkeit nach sich ziehen könnte.
Hierauf erzählte sie mir, was meine Freunde von
mir erwarteten; wie reich Herr Solmes sey;
daß er in der That dreymahl so viel im Ver-
mögen hätte, als er bisher geschätzt wäre; von
Herrn Lovelaces übler Nachrede, und der Feind-
schaft der gantzen Familie gegen ihn. Alles dieses
stellte sie mir nachdrücklich vor, allein nicht nach-
drücklicher, als es mir meine Mutter schon vor-
hin vorgestellet hatte. Meine Mutter mußte ihr
nicht alles erzählt haben, was zwischen ihr und
mir vorgegangen war: sonst würde meine Base
nicht manche Sachen wiederholt haben, die ihre
Schwester schon vorhin stärcker und dennoch
fruchtlos vorgestellet hatte.

Sie hielt mir vor: mein Vater würde sich dar-
über grämen, daß es schiene, als könnte er seiner
Tochter nicht befehlen, und zwar in einer Sache,
die seiner Einsicht nach zu ihrem Besten gereichte:
einer Tochter, von der er immer so viel gehalten
hätte. Liebste, liebste Fräulein (beschloß sie) ich
bitte sie um meinet willen, um ihrent willen,
um hundert anderer Ursachen willen, überwinden

sie

der Clariſſa.
durfte nicht kommen. Meine Baſe hatte allein
die Guͤtigkeit unter Aufſicht meiner Schweſter
zuruͤck zu kommen: ſie faſſete mich bey der Hand,
und befahl mir, mich bey ihr nieder zu ſetzen.

Sie ſagte: ſie kaͤme noch einmahl aus einer
vielleicht allzugroſſen Dienſtfertigkeit, denn ſie
thaͤte es wider den Rath meines Vaters. Allein
ſie fuͤrchtete ſich allzu ſehr vor den Folgen, die
meine Widerſpenſtigkeit nach ſich ziehen koͤnnte.
Hierauf erzaͤhlte ſie mir, was meine Freunde von
mir erwarteten; wie reich Herr Solmes ſey;
daß er in der That dreymahl ſo viel im Ver-
moͤgen haͤtte, als er bisher geſchaͤtzt waͤre; von
Herrn Lovelaces uͤbler Nachrede, und der Feind-
ſchaft der gantzen Familie gegen ihn. Alles dieſes
ſtellte ſie mir nachdruͤcklich vor, allein nicht nach-
druͤcklicher, als es mir meine Mutter ſchon vor-
hin vorgeſtellet hatte. Meine Mutter mußte ihr
nicht alles erzaͤhlt haben, was zwiſchen ihr und
mir vorgegangen war: ſonſt wuͤrde meine Baſe
nicht manche Sachen wiederholt haben, die ihre
Schweſter ſchon vorhin ſtaͤrcker und dennoch
fruchtlos vorgeſtellet hatte.

Sie hielt mir vor: mein Vater wuͤrde ſich dar-
uͤber graͤmen, daß es ſchiene, als koͤnnte er ſeiner
Tochter nicht befehlen, und zwar in einer Sache,
die ſeiner Einſicht nach zu ihrem Beſten gereichte:
einer Tochter, von der er immer ſo viel gehalten
haͤtte. Liebſte, liebſte Fraͤulein (beſchloß ſie) ich
bitte ſie um meinet willen, um ihrent willen,
um hundert anderer Urſachen willen, uͤberwinden

ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <p><pb facs="#f0529" n="509"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a.</hi></hi></fw><lb/>
durfte nicht kommen. Meine Ba&#x017F;e hatte allein<lb/>
die Gu&#x0364;tigkeit unter Auf&#x017F;icht meiner Schwe&#x017F;ter<lb/>
zuru&#x0364;ck zu kommen: &#x017F;ie fa&#x017F;&#x017F;ete mich bey der Hand,<lb/>
und befahl mir, mich bey ihr nieder zu &#x017F;etzen.</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;agte: &#x017F;ie ka&#x0364;me noch einmahl aus einer<lb/>
vielleicht allzugro&#x017F;&#x017F;en Dien&#x017F;tfertigkeit, denn &#x017F;ie<lb/>
tha&#x0364;te es wider den Rath meines Vaters. Allein<lb/>
&#x017F;ie fu&#x0364;rchtete &#x017F;ich allzu &#x017F;ehr vor den Folgen, die<lb/>
meine Wider&#x017F;pen&#x017F;tigkeit nach &#x017F;ich ziehen ko&#x0364;nnte.<lb/>
Hierauf erza&#x0364;hlte &#x017F;ie mir, was meine Freunde von<lb/>
mir erwarteten; wie reich Herr <hi rendition="#fr">Solmes</hi> &#x017F;ey;<lb/>
daß er in der That dreymahl &#x017F;o viel im Ver-<lb/>
mo&#x0364;gen ha&#x0364;tte, als er bisher ge&#x017F;cha&#x0364;tzt wa&#x0364;re; von<lb/>
Herrn <hi rendition="#fr">Lovelaces</hi> u&#x0364;bler Nachrede, und der Feind-<lb/>
&#x017F;chaft der gantzen Familie gegen ihn. Alles die&#x017F;es<lb/>
&#x017F;tellte &#x017F;ie mir nachdru&#x0364;cklich vor, allein nicht nach-<lb/>
dru&#x0364;cklicher, als es mir meine Mutter &#x017F;chon vor-<lb/>
hin vorge&#x017F;tellet hatte. Meine Mutter mußte ihr<lb/>
nicht alles erza&#x0364;hlt haben, was zwi&#x017F;chen ihr und<lb/>
mir vorgegangen war: &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde meine Ba&#x017F;e<lb/>
nicht manche Sachen wiederholt haben, die ihre<lb/>
Schwe&#x017F;ter &#x017F;chon vorhin &#x017F;ta&#x0364;rcker und dennoch<lb/>
fruchtlos vorge&#x017F;tellet hatte.</p><lb/>
        <p>Sie hielt mir vor: mein Vater wu&#x0364;rde &#x017F;ich dar-<lb/>
u&#x0364;ber gra&#x0364;men, daß es &#x017F;chiene, als ko&#x0364;nnte er &#x017F;einer<lb/>
Tochter nicht befehlen, und zwar in einer Sache,<lb/>
die &#x017F;einer Ein&#x017F;icht nach zu ihrem Be&#x017F;ten gereichte:<lb/>
einer Tochter, von der er immer &#x017F;o viel gehalten<lb/>
ha&#x0364;tte. Lieb&#x017F;te, lieb&#x017F;te Fra&#x0364;ulein (be&#x017F;chloß &#x017F;ie) ich<lb/>
bitte &#x017F;ie um <hi rendition="#fr">meinet willen,</hi> um <hi rendition="#fr">ihrent willen,</hi><lb/>
um hundert anderer Ur&#x017F;achen willen, u&#x0364;berwinden<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[509/0529] der Clariſſa. durfte nicht kommen. Meine Baſe hatte allein die Guͤtigkeit unter Aufſicht meiner Schweſter zuruͤck zu kommen: ſie faſſete mich bey der Hand, und befahl mir, mich bey ihr nieder zu ſetzen. Sie ſagte: ſie kaͤme noch einmahl aus einer vielleicht allzugroſſen Dienſtfertigkeit, denn ſie thaͤte es wider den Rath meines Vaters. Allein ſie fuͤrchtete ſich allzu ſehr vor den Folgen, die meine Widerſpenſtigkeit nach ſich ziehen koͤnnte. Hierauf erzaͤhlte ſie mir, was meine Freunde von mir erwarteten; wie reich Herr Solmes ſey; daß er in der That dreymahl ſo viel im Ver- moͤgen haͤtte, als er bisher geſchaͤtzt waͤre; von Herrn Lovelaces uͤbler Nachrede, und der Feind- ſchaft der gantzen Familie gegen ihn. Alles dieſes ſtellte ſie mir nachdruͤcklich vor, allein nicht nach- druͤcklicher, als es mir meine Mutter ſchon vor- hin vorgeſtellet hatte. Meine Mutter mußte ihr nicht alles erzaͤhlt haben, was zwiſchen ihr und mir vorgegangen war: ſonſt wuͤrde meine Baſe nicht manche Sachen wiederholt haben, die ihre Schweſter ſchon vorhin ſtaͤrcker und dennoch fruchtlos vorgeſtellet hatte. Sie hielt mir vor: mein Vater wuͤrde ſich dar- uͤber graͤmen, daß es ſchiene, als koͤnnte er ſeiner Tochter nicht befehlen, und zwar in einer Sache, die ſeiner Einſicht nach zu ihrem Beſten gereichte: einer Tochter, von der er immer ſo viel gehalten haͤtte. Liebſte, liebſte Fraͤulein (beſchloß ſie) ich bitte ſie um meinet willen, um ihrent willen, um hundert anderer Urſachen willen, uͤberwinden ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/529
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 1. Göttingen, 1748, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa01_1748/529>, abgerufen am 16.04.2024.