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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

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zwischen Eltern und Kind: da jeder Theil sucht,
daß der andere ohne Entschuldigung seyn möge,
wenn unglückliche Folgen daraus kommen sol-
ten!

Was kan ich anfangen? Geben Sie mir ei-
nen guten Rath. Es ist ein recht sonderbah-
res Unglück, das mich betroffen hat. Die
allergütigsten Eltern scheinen in den Augen des
Kindes grausam; und eine Tochter, die man
noch vor wenig Wochen für vollkommen gehor-
sam hielt, ist in den Augen ihrer Eltern ein wi-
derspenstiges Kind geworden. Omein eigennü-
tziger und unbändiger Bruder! Wie kan er die-
ses doppelte Unrecht entschuldigen!

Belieben Sie sich zu erinnern, daß Jhr letz-
ter Brief am Sonnabend geschrieben war. Heu-
te ist es Mittewochen: und seit der Zeit sind
meine Briefe nicht weggenommen. Entziehen
Sie mir Jhren Rath nicht: denn ich bin in sehr
mißlichen Umständen. Jch bin aber gewiß, Sie
lieben mich nech: und Sie lieben mich um mei-
nes Unglücks willen nicht weniger. A Dieu,
meine beste Freundin

Cl. Harlowe.


Der

der Clariſſa.
zwiſchen Eltern und Kind: da jeder Theil ſucht,
daß der andere ohne Entſchuldigung ſeyn moͤge,
wenn ungluͤckliche Folgen daraus kommen ſol-
ten!

Was kan ich anfangen? Geben Sie mir ei-
nen guten Rath. Es iſt ein recht ſonderbah-
res Ungluͤck, das mich betroffen hat. Die
allerguͤtigſten Eltern ſcheinen in den Augen des
Kindes grauſam; und eine Tochter, die man
noch vor wenig Wochen fuͤr vollkommen gehor-
ſam hielt, iſt in den Augen ihrer Eltern ein wi-
derſpenſtiges Kind geworden. Omein eigennuͤ-
tziger und unbaͤndiger Bruder! Wie kan er die-
ſes doppelte Unrecht entſchuldigen!

Belieben Sie ſich zu erinnern, daß Jhr letz-
ter Brief am Sonnabend geſchrieben war. Heu-
te iſt es Mittewochen: und ſeit der Zeit ſind
meine Briefe nicht weggenommen. Entziehen
Sie mir Jhren Rath nicht: denn ich bin in ſehr
mißlichen Umſtaͤnden. Jch bin aber gewiß, Sie
lieben mich nech: und Sie lieben mich um mei-
nes Ungluͤcks willen nicht weniger. A Dieu,
meine beſte Freundin

Cl. Harlowe.


Der
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[207/0213] der Clariſſa. zwiſchen Eltern und Kind: da jeder Theil ſucht, daß der andere ohne Entſchuldigung ſeyn moͤge, wenn ungluͤckliche Folgen daraus kommen ſol- ten! Was kan ich anfangen? Geben Sie mir ei- nen guten Rath. Es iſt ein recht ſonderbah- res Ungluͤck, das mich betroffen hat. Die allerguͤtigſten Eltern ſcheinen in den Augen des Kindes grauſam; und eine Tochter, die man noch vor wenig Wochen fuͤr vollkommen gehor- ſam hielt, iſt in den Augen ihrer Eltern ein wi- derſpenſtiges Kind geworden. Omein eigennuͤ- tziger und unbaͤndiger Bruder! Wie kan er die- ſes doppelte Unrecht entſchuldigen! Belieben Sie ſich zu erinnern, daß Jhr letz- ter Brief am Sonnabend geſchrieben war. Heu- te iſt es Mittewochen: und ſeit der Zeit ſind meine Briefe nicht weggenommen. Entziehen Sie mir Jhren Rath nicht: denn ich bin in ſehr mißlichen Umſtaͤnden. Jch bin aber gewiß, Sie lieben mich nech: und Sie lieben mich um mei- nes Ungluͤcks willen nicht weniger. A Dieu, meine beſte Freundin Cl. Harlowe. Der

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/213>, abgerufen am 02.05.2024.