Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
Ohren öffnet, wenn das Hertz gleich noch ver-
schlossen bleibt; weil es nicht in ihrer Macht ste-
het, den Anfang zu Liebeshändeln zu machen,
wo sie es wünschen.

Nichts mehr von diesen niederträchtigen Leu-
ten, von denen ich nicht einmahl mittelmäßig-gut
dencken kan! Allein in Absicht auf Lovelace
muß ich gestehen: gleichwie ich ihn völlig ver-
achtet und verabscheuet haben würde, wenn er
sich auf seinem Wege nach Harlowe-Burg
mit so niederträchtigen Streichen aufgehalten
hätte, die ich Anfangs wahr zu seyn glaubte:
so hat mich das, was Sie Grosmuth nennen,
ihm desto günstiger gemacht; und vielleicht gün-
stiger, als es gut für mich ist. Sie mögen
meiner deshalb spotten, so viel Sie wollen: ich
frage Sie nur, ob es bey Jhnen nicht eine glei-
che Wirckung hervorgebracht haben würde.

Wie edel ist seine Freygebigkeit! Jch versiche-
re Jhnen, wenn er sich sonst nur wahrhaftig und
auf Lebenslang bessern wollte, so würde ich ihm
blos deswegen sehr viel vergangene Fehler verge-
ben können, weil er gezeiget hat, daß so gütige und
reine Gedancken in seinem Hertzen wohnen können.

Sie werden sich leicht embilden, daß ich mich
nicht lange bedacht habe, seinen Brief zu erbre-
chen, nachdem ich Jhren letzten Brief erhalten
hatte: und eben so wenig werde ich Bedencken
tragen, ihm zu antworten, da ich ohnehin an
seinem Brieffe nichts auszusetzen habe. Ein neuer
Vortheil für ihn, der ihm dadurch desto leich-

ter

Die Geſchichte
Ohren oͤffnet, wenn das Hertz gleich noch ver-
ſchloſſen bleibt; weil es nicht in ihrer Macht ſte-
het, den Anfang zu Liebeshaͤndeln zu machen,
wo ſie es wuͤnſchen.

Nichts mehr von dieſen niedertraͤchtigen Leu-
ten, von denen ich nicht einmahl mittelmaͤßig-gut
dencken kan! Allein in Abſicht auf Lovelace
muß ich geſtehen: gleichwie ich ihn voͤllig ver-
achtet und verabſcheuet haben wuͤrde, wenn er
ſich auf ſeinem Wege nach Harlowe-Burg
mit ſo niedertraͤchtigen Streichen aufgehalten
haͤtte, die ich Anfangs wahr zu ſeyn glaubte:
ſo hat mich das, was Sie Grosmuth nennen,
ihm deſto guͤnſtiger gemacht; und vielleicht guͤn-
ſtiger, als es gut fuͤr mich iſt. Sie moͤgen
meiner deshalb ſpotten, ſo viel Sie wollen: ich
frage Sie nur, ob es bey Jhnen nicht eine glei-
che Wirckung hervorgebracht haben wuͤrde.

Wie edel iſt ſeine Freygebigkeit! Jch verſiche-
re Jhnen, wenn er ſich ſonſt nur wahrhaftig und
auf Lebenslang beſſern wollte, ſo wuͤrde ich ihm
blos deswegen ſehr viel vergangene Fehler verge-
ben koͤnnen, weil er gezeiget hat, daß ſo guͤtige und
reine Gedancken in ſeinem Hertzen wohnen koͤñen.

Sie werden ſich leicht embilden, daß ich mich
nicht lange bedacht habe, ſeinen Brief zu erbre-
chen, nachdem ich Jhren letzten Brief erhalten
hatte: und eben ſo wenig werde ich Bedencken
tragen, ihm zu antworten, da ich ohnehin an
ſeinem Brieffe nichts auszuſetzen habe. Ein neuer
Vortheil fuͤr ihn, der ihm dadurch deſto leich-

ter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0264" n="258"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
Ohren o&#x0364;ffnet, wenn das Hertz gleich noch ver-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en bleibt; weil es nicht in ihrer Macht &#x017F;te-<lb/>
het, den Anfang zu Liebesha&#x0364;ndeln zu machen,<lb/>
wo &#x017F;ie es wu&#x0364;n&#x017F;chen.</p><lb/>
          <p>Nichts mehr von die&#x017F;en niedertra&#x0364;chtigen Leu-<lb/>
ten, von denen ich nicht einmahl mittelma&#x0364;ßig-gut<lb/>
dencken kan! Allein in Ab&#x017F;icht auf <hi rendition="#fr">Lovelace</hi><lb/>
muß ich ge&#x017F;tehen: gleichwie ich ihn vo&#x0364;llig ver-<lb/>
achtet und verab&#x017F;cheuet haben wu&#x0364;rde, wenn er<lb/>
&#x017F;ich auf &#x017F;einem Wege nach <hi rendition="#fr">Harlowe-Burg</hi><lb/>
mit &#x017F;o niedertra&#x0364;chtigen Streichen aufgehalten<lb/>
ha&#x0364;tte, die ich Anfangs wahr zu &#x017F;eyn glaubte:<lb/>
&#x017F;o hat mich das, was Sie Grosmuth nennen,<lb/>
ihm de&#x017F;to gu&#x0364;n&#x017F;tiger gemacht; und vielleicht gu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;tiger, als es gut fu&#x0364;r mich i&#x017F;t. Sie mo&#x0364;gen<lb/>
meiner deshalb &#x017F;potten, &#x017F;o viel Sie wollen: ich<lb/>
frage Sie nur, ob es bey Jhnen nicht eine glei-<lb/>
che Wirckung hervorgebracht haben wu&#x0364;rde.</p><lb/>
          <p>Wie edel i&#x017F;t &#x017F;eine Freygebigkeit! Jch ver&#x017F;iche-<lb/>
re Jhnen, wenn er &#x017F;ich &#x017F;on&#x017F;t nur wahrhaftig und<lb/>
auf Lebenslang be&#x017F;&#x017F;ern wollte, &#x017F;o wu&#x0364;rde ich ihm<lb/>
blos deswegen &#x017F;ehr viel vergangene Fehler verge-<lb/>
ben ko&#x0364;nnen, weil er gezeiget hat, daß &#x017F;o gu&#x0364;tige und<lb/>
reine Gedancken in &#x017F;einem Hertzen wohnen ko&#x0364;n&#x0303;en.</p><lb/>
          <p>Sie werden &#x017F;ich leicht embilden, daß ich mich<lb/>
nicht lange bedacht habe, &#x017F;einen Brief zu erbre-<lb/>
chen, nachdem ich Jhren letzten Brief erhalten<lb/>
hatte: und eben &#x017F;o wenig werde ich Bedencken<lb/>
tragen, ihm zu antworten, da ich ohnehin an<lb/>
&#x017F;einem Brieffe nichts auszu&#x017F;etzen habe. Ein neuer<lb/>
Vortheil fu&#x0364;r ihn, der ihm dadurch de&#x017F;to leich-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ter</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0264] Die Geſchichte Ohren oͤffnet, wenn das Hertz gleich noch ver- ſchloſſen bleibt; weil es nicht in ihrer Macht ſte- het, den Anfang zu Liebeshaͤndeln zu machen, wo ſie es wuͤnſchen. Nichts mehr von dieſen niedertraͤchtigen Leu- ten, von denen ich nicht einmahl mittelmaͤßig-gut dencken kan! Allein in Abſicht auf Lovelace muß ich geſtehen: gleichwie ich ihn voͤllig ver- achtet und verabſcheuet haben wuͤrde, wenn er ſich auf ſeinem Wege nach Harlowe-Burg mit ſo niedertraͤchtigen Streichen aufgehalten haͤtte, die ich Anfangs wahr zu ſeyn glaubte: ſo hat mich das, was Sie Grosmuth nennen, ihm deſto guͤnſtiger gemacht; und vielleicht guͤn- ſtiger, als es gut fuͤr mich iſt. Sie moͤgen meiner deshalb ſpotten, ſo viel Sie wollen: ich frage Sie nur, ob es bey Jhnen nicht eine glei- che Wirckung hervorgebracht haben wuͤrde. Wie edel iſt ſeine Freygebigkeit! Jch verſiche- re Jhnen, wenn er ſich ſonſt nur wahrhaftig und auf Lebenslang beſſern wollte, ſo wuͤrde ich ihm blos deswegen ſehr viel vergangene Fehler verge- ben koͤnnen, weil er gezeiget hat, daß ſo guͤtige und reine Gedancken in ſeinem Hertzen wohnen koͤñen. Sie werden ſich leicht embilden, daß ich mich nicht lange bedacht habe, ſeinen Brief zu erbre- chen, nachdem ich Jhren letzten Brief erhalten hatte: und eben ſo wenig werde ich Bedencken tragen, ihm zu antworten, da ich ohnehin an ſeinem Brieffe nichts auszuſetzen habe. Ein neuer Vortheil fuͤr ihn, der ihm dadurch deſto leich- ter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/264
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/264>, abgerufen am 29.04.2024.