Der sieben und zwantzigste Brief von Fräulein Howe an Fräulein Clarissa Harlowe.
Sonntags den 2. April.
Jch hätte Jhnen billig schon gestern von Em- pfang Jhres Bündels Wäsche Nachricht geben sollen. Robert sagt mir: der Jacob Lehman/ den Sie für den Verräther halten, habe ihn gesehen. Er sey auf dem Hüner-Hofe gewesen, und habe ihn über die Mauer nach dem grünen Gange zu angeredet: Wie kommt er hieher Robert? doch ich kanes wol den- cken. Mache er sich davon/ so geschwind als er kan.
Jch zweiffele nun nicht länger daran, daß Sie deswegen mehr Freyheit haben, spatzieren zu ge- hen, weil sich andere auf die Wachsamkeit dieses Kerls und der Elisabeth Barnes verlassen. Jndessen sind Sie doch das erste Frauenzim- mer, davon ich gehört habe, das in solchen Um- ständen keinen eintzigen Bedienten an der Hand gehabt hat, den es zu einigen kleinen Diensten hätte brauchen können. Kein Poet würde sich unterstehen, eine Angelica zu besingen, wenn er ihr nicht ihre Violetta/ ihre Cleanthe/ ihre Clelia oder sonst ein Mädchen mit einem arti- gen Nahmen zu Hülffe gäbe. Wenigstens müß- te es eine alte Kinder-Wärterin seyn.
Jch
der Clariſſa.
Der ſieben und zwantzigſte Brief von Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa Harlowe.
Sonntags den 2. April.
Jch haͤtte Jhnen billig ſchon geſtern von Em- pfang Jhres Buͤndels Waͤſche Nachricht geben ſollen. Robert ſagt mir: der Jacob Lehman/ den Sie fuͤr den Verraͤther halten, habe ihn geſehen. Er ſey auf dem Huͤner-Hofe geweſen, und habe ihn uͤber die Mauer nach dem gruͤnen Gange zu angeredet: Wie kommt er hieher Robert? doch ich kanes wol den- cken. Mache er ſich davon/ ſo geſchwind als er kan.
Jch zweiffele nun nicht laͤnger daran, daß Sie deswegen mehr Freyheit haben, ſpatzieren zu ge- hen, weil ſich andere auf die Wachſamkeit dieſes Kerls und der Eliſabeth Barnes verlaſſen. Jndeſſen ſind Sie doch das erſte Frauenzim- mer, davon ich gehoͤrt habe, das in ſolchen Um- ſtaͤnden keinen eintzigen Bedienten an der Hand gehabt hat, den es zu einigen kleinen Dienſten haͤtte brauchen koͤnnen. Kein Poet wuͤrde ſich unterſtehen, eine Angelica zu beſingen, wenn er ihr nicht ihre Violetta/ ihre Cleanthe/ ihre Clelia oder ſonſt ein Maͤdchen mit einem arti- gen Nahmen zu Huͤlffe gaͤbe. Wenigſtens muͤß- te es eine alte Kinder-Waͤrterin ſeyn.
Jch
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der Clariſſa.
Der ſieben und zwantzigſte Brief
von
Fraͤulein Howe an Fraͤulein Clariſſa
Harlowe.
Sonntags den 2. April.
Jch haͤtte Jhnen billig ſchon geſtern von Em-
pfang Jhres Buͤndels Waͤſche Nachricht
geben ſollen. Robert ſagt mir: der Jacob
Lehman/ den Sie fuͤr den Verraͤther halten,
habe ihn geſehen. Er ſey auf dem Huͤner-Hofe
geweſen, und habe ihn uͤber die Mauer nach dem
gruͤnen Gange zu angeredet: Wie kommt er
hieher Robert? doch ich kanes wol den-
cken. Mache er ſich davon/ ſo geſchwind
als er kan.
Jch zweiffele nun nicht laͤnger daran, daß Sie
deswegen mehr Freyheit haben, ſpatzieren zu ge-
hen, weil ſich andere auf die Wachſamkeit dieſes
Kerls und der Eliſabeth Barnes verlaſſen.
Jndeſſen ſind Sie doch das erſte Frauenzim-
mer, davon ich gehoͤrt habe, das in ſolchen Um-
ſtaͤnden keinen eintzigen Bedienten an der Hand
gehabt hat, den es zu einigen kleinen Dienſten
haͤtte brauchen koͤnnen. Kein Poet wuͤrde ſich
unterſtehen, eine Angelica zu beſingen, wenn
er ihr nicht ihre Violetta/ ihre Cleanthe/ ihre
Clelia oder ſonſt ein Maͤdchen mit einem arti-
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te es eine alte Kinder-Waͤrterin ſeyn.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/275>, abgerufen am 29.05.2023.
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