Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte

Jch habe meiner Mutter einige Stellen aus
Jhren Brieffen vorgelesen. Das Ende Jhres
gestrigen Schreibens gefiel ihr ungemein wohl,
und sie sagt mir: Sie hätten ihr Hertz dadurch
gewonnen. Unterdessen daß dieser Anfall einer
Danckbarkeit, die vielleicht mit Hitze und Frost
kommen möchte, noch währte, wollte ich meine
Bitte vorbringen, und sie so beweglich vorstellen,
als ich nur könnte. Gleich trat der Hickmann
herein, machte seinen Bücklin, und griff sich
bald an das Hals-Tuch, bald an die Manchetten.

Jch hätte gern mit ihm gescholten. Jch sag-
te aber weiter nichts, als: konnten Sie keinen
Bedienten finden? konnte sie niemand melden,
da sie sahen, daß wir allein beysammen wären?

Er bat um Vergebung, und sahe aus als
wüßte er nicht, ob er weggehen oder bleiben
sollte; bis endlich meine Mutter sagte: was
denn? meine Tochter, wir haben ja nichts heim-
liches mit einander zu reden. Setzen sie sich
nieder, Herr Hickmann.

Mit Jhrer Erla - ubniß/ Fräulein.
Sie wissen, wie er die Worte ziehet, wenn sich
seine Muskeln aus Ehrerbietigkeit nicht bewegen
können.

O/ ich bitte lassen sie sich nieder/ mein
guter Mann/ wenn sie müde sind: allein
bey meiner Mutter/ wenn es ihnen beliebt.
Jch wollte gern Raum genug für meinen
Reifrock haben. Jch weiß doch nicht/
was uns der Reifrock nützt/ als daß wir

die
Die Geſchichte

Jch habe meiner Mutter einige Stellen aus
Jhren Brieffen vorgeleſen. Das Ende Jhres
geſtrigen Schreibens gefiel ihr ungemein wohl,
und ſie ſagt mir: Sie haͤtten ihr Hertz dadurch
gewonnen. Unterdeſſen daß dieſer Anfall einer
Danckbarkeit, die vielleicht mit Hitze und Froſt
kommen moͤchte, noch waͤhrte, wollte ich meine
Bitte vorbringen, und ſie ſo beweglich vorſtellen,
als ich nur koͤnnte. Gleich trat der Hickmann
herein, machte ſeinen Buͤcklin, und griff ſich
bald an das Hals-Tuch, bald an die Manchetten.

Jch haͤtte gern mit ihm geſcholten. Jch ſag-
te aber weiter nichts, als: konnten Sie keinen
Bedienten finden? konnte ſie niemand melden,
da ſie ſahen, daß wir allein beyſammen waͤren?

Er bat um Vergebung, und ſahe aus als
wuͤßte er nicht, ob er weggehen oder bleiben
ſollte; bis endlich meine Mutter ſagte: was
denn? meine Tochter, wir haben ja nichts heim-
liches mit einander zu reden. Setzen ſie ſich
nieder, Herr Hickmann.

Mit Jhrer Erla - ubniß/ Fraͤulein.
Sie wiſſen, wie er die Worte ziehet, wenn ſich
ſeine Muskeln aus Ehrerbietigkeit nicht bewegen
koͤnnen.

O/ ich bitte laſſen ſie ſich nieder/ mein
guter Mann/ wenn ſie muͤde ſind: allein
bey meiner Mutter/ wenn es ihnen beliebt.
Jch wollte gern Raum genug fuͤr meinen
Reifrock haben. Jch weiß doch nicht/
was uns der Reifrock nuͤtzt/ als daß wir

die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0276" n="270"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi> </hi> </fw><lb/>
          <p>Jch habe meiner Mutter einige Stellen aus<lb/>
Jhren Brieffen vorgele&#x017F;en. Das Ende Jhres<lb/>
ge&#x017F;trigen Schreibens gefiel ihr ungemein wohl,<lb/>
und &#x017F;ie &#x017F;agt mir: Sie ha&#x0364;tten ihr Hertz dadurch<lb/>
gewonnen. Unterde&#x017F;&#x017F;en daß die&#x017F;er Anfall einer<lb/>
Danckbarkeit, die vielleicht mit Hitze und Fro&#x017F;t<lb/>
kommen mo&#x0364;chte, noch wa&#x0364;hrte, wollte ich meine<lb/>
Bitte vorbringen, und &#x017F;ie &#x017F;o beweglich vor&#x017F;tellen,<lb/>
als ich nur ko&#x0364;nnte. Gleich trat der <hi rendition="#fr">Hickmann</hi><lb/>
herein, machte &#x017F;einen Bu&#x0364;cklin, und griff &#x017F;ich<lb/>
bald an das Hals-Tuch, bald an die Manchetten.</p><lb/>
          <p>Jch ha&#x0364;tte gern mit ihm ge&#x017F;cholten. Jch &#x017F;ag-<lb/>
te aber weiter nichts, als: konnten Sie keinen<lb/>
Bedienten finden? konnte &#x017F;ie niemand melden,<lb/>
da &#x017F;ie &#x017F;ahen, daß wir allein bey&#x017F;ammen wa&#x0364;ren?</p><lb/>
          <p>Er bat um Vergebung, und &#x017F;ahe aus als<lb/>
wu&#x0364;ßte er nicht, ob er weggehen oder bleiben<lb/>
&#x017F;ollte; bis endlich meine Mutter &#x017F;agte: was<lb/>
denn? meine Tochter, wir haben ja nichts heim-<lb/>
liches mit einander zu reden. Setzen &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
nieder, Herr <hi rendition="#fr">Hickmann.</hi></p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mit Jhrer Erla - ubniß/ Fra&#x0364;ulein.</hi><lb/>
Sie wi&#x017F;&#x017F;en, wie er die Worte ziehet, wenn &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;eine Muskeln aus Ehrerbietigkeit nicht bewegen<lb/>
ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#fr">O/ ich bitte la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;ich nieder/ mein<lb/>
guter Mann/ wenn &#x017F;ie mu&#x0364;de &#x017F;ind: allein<lb/>
bey meiner Mutter/ wenn es ihnen beliebt.<lb/>
Jch wollte gern Raum genug fu&#x0364;r meinen<lb/>
Reifrock haben. Jch weiß doch nicht/<lb/>
was uns der Reifrock nu&#x0364;tzt/ als daß wir</hi><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">die</hi> </fw><lb/>
          </p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[270/0276] Die Geſchichte Jch habe meiner Mutter einige Stellen aus Jhren Brieffen vorgeleſen. Das Ende Jhres geſtrigen Schreibens gefiel ihr ungemein wohl, und ſie ſagt mir: Sie haͤtten ihr Hertz dadurch gewonnen. Unterdeſſen daß dieſer Anfall einer Danckbarkeit, die vielleicht mit Hitze und Froſt kommen moͤchte, noch waͤhrte, wollte ich meine Bitte vorbringen, und ſie ſo beweglich vorſtellen, als ich nur koͤnnte. Gleich trat der Hickmann herein, machte ſeinen Buͤcklin, und griff ſich bald an das Hals-Tuch, bald an die Manchetten. Jch haͤtte gern mit ihm geſcholten. Jch ſag- te aber weiter nichts, als: konnten Sie keinen Bedienten finden? konnte ſie niemand melden, da ſie ſahen, daß wir allein beyſammen waͤren? Er bat um Vergebung, und ſahe aus als wuͤßte er nicht, ob er weggehen oder bleiben ſollte; bis endlich meine Mutter ſagte: was denn? meine Tochter, wir haben ja nichts heim- liches mit einander zu reden. Setzen ſie ſich nieder, Herr Hickmann. Mit Jhrer Erla - ubniß/ Fraͤulein. Sie wiſſen, wie er die Worte ziehet, wenn ſich ſeine Muskeln aus Ehrerbietigkeit nicht bewegen koͤnnen. O/ ich bitte laſſen ſie ſich nieder/ mein guter Mann/ wenn ſie muͤde ſind: allein bey meiner Mutter/ wenn es ihnen beliebt. Jch wollte gern Raum genug fuͤr meinen Reifrock haben. Jch weiß doch nicht/ was uns der Reifrock nuͤtzt/ als daß wir die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/276
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/276>, abgerufen am 18.04.2024.