solchen Aufführung gegen mich bewust wäre, die mich natürlicher Weise treiben müßte, das zu thun, weswegen man mich in Verdacht hätte. Es wäre ein grosses Unglück für mich, daß mein Bruder so grosse Lust hätte, seinen Verstand an mir zu zeigen: er würde mehr Lob verdienen, wenn er Proben seines guten Hertzens als seines schlauen Kopfes an mir machte. Jch wünschte indessen, daß er sich selbst so gut kennen möchte, als ich ihn zu kennen glaubte, so würde er viel- leicht weniger von seinen Gemüths-Gaben ein- genommen seyn, die in anderer Augen viel ge- ringer scheinen würden, wenn er nicht so viel Vermögen hätte mir unangenehme Dienste zu erweisen.
Jch war voller Unwillen, und konnte es nicht unterlassen, diese Anmerckung zu machen, die der genugsam verdienete, den der andere durch seinen eigenen Spion hinter das Licht führt. Jndessen habe ich so wenig Wohlgefallen an diesem nie- drigen Streiche, daß gewiß die Stückchens des Buben des Joseph Lehmanns an das Licht kommen solten, wenn mir nur erträglich begeg- net würde.
Sie antwortete: es thäte ihr leid, daß ich ei- ne so schlechte Meinung von meinem Bruder hätte. Er wäre ein Cavallier von schönem Ver- stande und grosser Gelehrsamkeit.
Ge-
Die Geſchichte
ſolchen Auffuͤhrung gegen mich bewuſt waͤre, die mich natuͤrlicher Weiſe treiben muͤßte, das zu thun, weswegen man mich in Verdacht haͤtte. Es waͤre ein groſſes Ungluͤck fuͤr mich, daß mein Bruder ſo groſſe Luſt haͤtte, ſeinen Verſtand an mir zu zeigen: er wuͤrde mehr Lob verdienen, wenn er Proben ſeines guten Hertzens als ſeines ſchlauen Kopfes an mir machte. Jch wuͤnſchte indeſſen, daß er ſich ſelbſt ſo gut kennen moͤchte, als ich ihn zu kennen glaubte, ſo wuͤrde er viel- leicht weniger von ſeinen Gemuͤths-Gaben ein- genommen ſeyn, die in anderer Augen viel ge- ringer ſcheinen wuͤrden, wenn er nicht ſo viel Vermoͤgen haͤtte mir unangenehme Dienſte zu erweiſen.
Jch war voller Unwillen, und konnte es nicht unterlaſſen, dieſe Anmerckung zu machen, die der genugſam verdienete, den der andere durch ſeinen eigenen Spion hinter das Licht fuͤhrt. Jndeſſen habe ich ſo wenig Wohlgefallen an dieſem nie- drigen Streiche, daß gewiß die Stuͤckchens des Buben des Joſeph Lehmanns an das Licht kommen ſolten, wenn mir nur ertraͤglich begeg- net wuͤrde.
Sie antwortete: es thaͤte ihr leid, daß ich ei- ne ſo ſchlechte Meinung von meinem Bruder haͤtte. Er waͤre ein Cavallier von ſchoͤnem Ver- ſtande und groſſer Gelehrſamkeit.
Ge-
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Die Geſchichte
ſolchen Auffuͤhrung gegen mich bewuſt waͤre, die
mich natuͤrlicher Weiſe treiben muͤßte, das zu
thun, weswegen man mich in Verdacht haͤtte.
Es waͤre ein groſſes Ungluͤck fuͤr mich, daß mein
Bruder ſo groſſe Luſt haͤtte, ſeinen Verſtand an
mir zu zeigen: er wuͤrde mehr Lob verdienen,
wenn er Proben ſeines guten Hertzens als ſeines
ſchlauen Kopfes an mir machte. Jch wuͤnſchte
indeſſen, daß er ſich ſelbſt ſo gut kennen moͤchte,
als ich ihn zu kennen glaubte, ſo wuͤrde er viel-
leicht weniger von ſeinen Gemuͤths-Gaben ein-
genommen ſeyn, die in anderer Augen viel ge-
ringer ſcheinen wuͤrden, wenn er nicht ſo viel
Vermoͤgen haͤtte mir unangenehme Dienſte zu
erweiſen.
Jch war voller Unwillen, und konnte es nicht
unterlaſſen, dieſe Anmerckung zu machen, die der
genugſam verdienete, den der andere durch ſeinen
eigenen Spion hinter das Licht fuͤhrt. Jndeſſen
habe ich ſo wenig Wohlgefallen an dieſem nie-
drigen Streiche, daß gewiß die Stuͤckchens des
Buben des Joſeph Lehmanns an das Licht
kommen ſolten, wenn mir nur ertraͤglich begeg-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/518>, abgerufen am 16.06.2024.
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