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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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Die wahren Junggesellen, und ich, wir sind
einander ziemlich gleich. Der gantze Unterscheid
bestehet darin: ich thue das, was sie dencken.
Allein die, die man liederlich nennt, übertreffen uns
im dencken und thun ohngefähr eines Weber-
baums lang.

Jch muß meinen Satz erweisen: höre groß-gün-
stig zu. Wir lustigen Brüder lieben Zucht und Ehr-
barkeit an dem Frauenzimmer: hingegen das so ge-
nannte tugendhafte Frauenzimmer, oder, mit ei-
gentlichen Worten zu reden, die listigsten, pflegen
eine unverschämte und dreiste Manns-Person an-
dern vorzuziehen. Was kann die Ursache dieser Zu-
neigung seyn, als eine Gleichheit zwischen denen,
die sich einander lieben? Dieses zwang jenen Dich-
ter, zu sagen:

Wenn schöne Kinder auch die Augen nie-
derschlagen,
So schlägt ihr loses Hertz doch nur von
Schelmerey.

Sie mögen sich bemühen, durch ihre Handlungen
das Gegentheil zu beweisen.

Jch habe, ich weiß nicht wo, in einem Sitten-
Lehrer gelesen, alle Bosheit sey geringe gegen
der Weiber Bosheit.
(*) Kennest du den Kloß
nicht, der das geschrieben hat? War es etwa So-
crates?
der Hencker hohle! der hatte ja eine Frau!
Oder Salomon? König Salomon? Du erin-

nerst
(*) Der muntere Herr irret sich. Socrates und Sa-
lomon dürfen von den Schönen nicht angeklaget wer-
den. Siehe vielmehr Jesus Syrach XXV. 25.
Dritter Theil. O


Die wahren Junggeſellen, und ich, wir ſind
einander ziemlich gleich. Der gantze Unterſcheid
beſtehet darin: ich thue das, was ſie dencken.
Allein die, die man liederlich nennt, uͤbertreffen uns
im dencken und thun ohngefaͤhr eines Weber-
baums lang.

Jch muß meinen Satz erweiſen: hoͤre groß-guͤn-
ſtig zu. Wir luſtigen Bruͤder lieben Zucht und Ehr-
barkeit an dem Frauenzimmer: hingegen das ſo ge-
nannte tugendhafte Frauenzimmer, oder, mit ei-
gentlichen Worten zu reden, die liſtigſten, pflegen
eine unverſchaͤmte und dreiſte Manns-Perſon an-
dern vorzuziehen. Was kann die Urſache dieſer Zu-
neigung ſeyn, als eine Gleichheit zwiſchen denen,
die ſich einander lieben? Dieſes zwang jenen Dich-
ter, zu ſagen:

Wenn ſchoͤne Kinder auch die Augen nie-
derſchlagen,
So ſchlaͤgt ihr loſes Hertz doch nur von
Schelmerey.

Sie moͤgen ſich bemuͤhen, durch ihre Handlungen
das Gegentheil zu beweiſen.

Jch habe, ich weiß nicht wo, in einem Sitten-
Lehrer geleſen, alle Bosheit ſey geringe gegen
der Weiber Bosheit.
(*) Kenneſt du den Kloß
nicht, der das geſchrieben hat? War es etwa So-
crates?
der Hencker hohle! der hatte ja eine Frau!
Oder Salomon? Koͤnig Salomon? Du erin-

nerſt
(*) Der muntere Herr irret ſich. Socrates und Sa-
lomon duͤrfen von den Schoͤnen nicht angeklaget wer-
den. Siehe vielmehr Jeſus Syrach XXV. 25.
Dritter Theil. O
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[209/0223] Die wahren Junggeſellen, und ich, wir ſind einander ziemlich gleich. Der gantze Unterſcheid beſtehet darin: ich thue das, was ſie dencken. Allein die, die man liederlich nennt, uͤbertreffen uns im dencken und thun ohngefaͤhr eines Weber- baums lang. Jch muß meinen Satz erweiſen: hoͤre groß-guͤn- ſtig zu. Wir luſtigen Bruͤder lieben Zucht und Ehr- barkeit an dem Frauenzimmer: hingegen das ſo ge- nannte tugendhafte Frauenzimmer, oder, mit ei- gentlichen Worten zu reden, die liſtigſten, pflegen eine unverſchaͤmte und dreiſte Manns-Perſon an- dern vorzuziehen. Was kann die Urſache dieſer Zu- neigung ſeyn, als eine Gleichheit zwiſchen denen, die ſich einander lieben? Dieſes zwang jenen Dich- ter, zu ſagen: Wenn ſchoͤne Kinder auch die Augen nie- derſchlagen, So ſchlaͤgt ihr loſes Hertz doch nur von Schelmerey. Sie moͤgen ſich bemuͤhen, durch ihre Handlungen das Gegentheil zu beweiſen. Jch habe, ich weiß nicht wo, in einem Sitten- Lehrer geleſen, alle Bosheit ſey geringe gegen der Weiber Bosheit. (*) Kenneſt du den Kloß nicht, der das geſchrieben hat? War es etwa So- crates? der Hencker hohle! der hatte ja eine Frau! Oder Salomon? Koͤnig Salomon? Du erin- nerſt (*) Der muntere Herr irret ſich. Socrates und Sa- lomon duͤrfen von den Schoͤnen nicht angeklaget wer- den. Siehe vielmehr Jeſus Syrach XXV. 25. Dritter Theil. O

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/223>, abgerufen am 29.03.2024.