Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



artige Wendung ich meinem Eigenlobe zu geben
weiß: du bewunderst diese Geschicklichkeit zwar, al-
lein du vergissest sie, ich weiß nicht wie? mir in
Rechnung zu bringen. Dein Neid ist die Ursache
dieser Vergeßlichkeit, wenn dich die Natur zur Be-
wunderung zwinget. Du bist ein viel so kurtzsich-
tiger Kerl, alß daß du deine eigene Seele und die
wahren Quellen deiner Leidenschaften kennen solltest.

Du redest schon wieder! Mich dünckt, du ant-
wortest mir: deine Beschuldigung gegen mich spricht
dich, Lovelace, nicht von der Anklage frey, daß
du hochmüthig seyst.

Du sagst die Wahrheit. Jch glaube selbst, daß
mir die Natur nicht wenig Einbildung gegeben hat.
Allein wenn es meines gleichen verarget wird, daß
wir uns etwas einbilden, so weiß ich nicht, bey wem
man diese Schwachheits-Sünde entschuldigen will.
Und dennoch finde ich bey mehrerer Uberlegung, daß
meines gleichen am wenigsten Ursache habe, sich et-
was einzubilden, und hochmütig zu seyn: denn die
Welt wird sie selbst kennen und ehren, weil ihrer
so wenige in der Welt sind. Wenn man einen
Narren überzeugen kann, daß ein Mensch in der
Welt mehr Verstand hat als er, so wird er von
selbst glauben, daß dieser Mensch ein Wunder des
Verstandes seyn müsse.

Was wird die allgemeine Lehre für alle Men-
schen seyn, die hieraus folget? nicht wahr, diese:
daß niemand hochmüthig seyn solle? Wie aber, wenn
es uns ohnmöglich ist, nicht hochmüthig zu seyn?
Vielleicht bin ich in solchen Umständen! Jch bilde

mir
Dritter Theil. P



artige Wendung ich meinem Eigenlobe zu geben
weiß: du bewunderſt dieſe Geſchicklichkeit zwar, al-
lein du vergiſſeſt ſie, ich weiß nicht wie? mir in
Rechnung zu bringen. Dein Neid iſt die Urſache
dieſer Vergeßlichkeit, wenn dich die Natur zur Be-
wunderung zwinget. Du biſt ein viel ſo kurtzſich-
tiger Kerl, alß daß du deine eigene Seele und die
wahren Quellen deiner Leidenſchaften kennen ſollteſt.

Du redeſt ſchon wieder! Mich duͤnckt, du ant-
worteſt mir: deine Beſchuldigung gegen mich ſpricht
dich, Lovelace, nicht von der Anklage frey, daß
du hochmuͤthig ſeyſt.

Du ſagſt die Wahrheit. Jch glaube ſelbſt, daß
mir die Natur nicht wenig Einbildung gegeben hat.
Allein wenn es meines gleichen verarget wird, daß
wir uns etwas einbilden, ſo weiß ich nicht, bey wem
man dieſe Schwachheits-Suͤnde entſchuldigen will.
Und dennoch finde ich bey mehrerer Uberlegung, daß
meines gleichen am wenigſten Urſache habe, ſich et-
was einzubilden, und hochmuͤtig zu ſeyn: denn die
Welt wird ſie ſelbſt kennen und ehren, weil ihrer
ſo wenige in der Welt ſind. Wenn man einen
Narren uͤberzeugen kann, daß ein Menſch in der
Welt mehr Verſtand hat als er, ſo wird er von
ſelbſt glauben, daß dieſer Menſch ein Wunder des
Verſtandes ſeyn muͤſſe.

Was wird die allgemeine Lehre fuͤr alle Men-
ſchen ſeyn, die hieraus folget? nicht wahr, dieſe:
daß niemand hochmuͤthig ſeyn ſolle? Wie aber, wenn
es uns ohnmoͤglich iſt, nicht hochmuͤthig zu ſeyn?
Vielleicht bin ich in ſolchen Umſtaͤnden! Jch bilde

mir
Dritter Theil. P
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0239" n="225"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
artige Wendung ich meinem Eigenlobe zu geben<lb/>
weiß: du bewunder&#x017F;t die&#x017F;e Ge&#x017F;chicklichkeit zwar, al-<lb/>
lein du vergi&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t &#x017F;ie, ich weiß nicht wie? mir in<lb/>
Rechnung zu bringen. Dein Neid i&#x017F;t die Ur&#x017F;ache<lb/>
die&#x017F;er Vergeßlichkeit, wenn dich die Natur zur Be-<lb/>
wunderung zwinget. Du bi&#x017F;t ein viel &#x017F;o kurtz&#x017F;ich-<lb/>
tiger Kerl, alß daß du deine eigene Seele und die<lb/>
wahren Quellen deiner Leiden&#x017F;chaften kennen &#x017F;ollte&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Du rede&#x017F;t &#x017F;chon wieder! Mich du&#x0364;nckt, du ant-<lb/>
worte&#x017F;t mir: deine Be&#x017F;chuldigung gegen mich &#x017F;pricht<lb/>
dich, <hi rendition="#fr">Lovelace,</hi> nicht von der Anklage frey, daß<lb/>
du hochmu&#x0364;thig &#x017F;ey&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Du &#x017F;ag&#x017F;t die Wahrheit. Jch glaube &#x017F;elb&#x017F;t, daß<lb/>
mir die Natur nicht wenig Einbildung gegeben hat.<lb/>
Allein wenn es meines gleichen verarget wird, daß<lb/>
wir uns etwas einbilden, &#x017F;o weiß ich nicht, bey wem<lb/>
man die&#x017F;e Schwachheits-Su&#x0364;nde ent&#x017F;chuldigen will.<lb/>
Und dennoch finde ich bey mehrerer Uberlegung, daß<lb/>
meines gleichen am wenig&#x017F;ten Ur&#x017F;ache habe, &#x017F;ich et-<lb/>
was einzubilden, und hochmu&#x0364;tig zu &#x017F;eyn: denn die<lb/>
Welt wird &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t kennen und ehren, weil ihrer<lb/>
&#x017F;o wenige in der Welt &#x017F;ind. Wenn man einen<lb/>
Narren u&#x0364;berzeugen kann, daß ein Men&#x017F;ch in der<lb/>
Welt mehr Ver&#x017F;tand hat als er, &#x017F;o wird er von<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t glauben, daß die&#x017F;er Men&#x017F;ch ein Wunder des<lb/>
Ver&#x017F;tandes &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Was wird die allgemeine Lehre fu&#x0364;r alle Men-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;eyn, die hieraus folget? nicht wahr, die&#x017F;e:<lb/>
daß niemand hochmu&#x0364;thig &#x017F;eyn &#x017F;olle? Wie aber, wenn<lb/>
es uns ohnmo&#x0364;glich i&#x017F;t, nicht hochmu&#x0364;thig zu &#x017F;eyn?<lb/>
Vielleicht bin ich in &#x017F;olchen Um&#x017F;ta&#x0364;nden! Jch bilde<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Dritter Theil.</hi> P</fw><fw place="bottom" type="catch">mir</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0239] artige Wendung ich meinem Eigenlobe zu geben weiß: du bewunderſt dieſe Geſchicklichkeit zwar, al- lein du vergiſſeſt ſie, ich weiß nicht wie? mir in Rechnung zu bringen. Dein Neid iſt die Urſache dieſer Vergeßlichkeit, wenn dich die Natur zur Be- wunderung zwinget. Du biſt ein viel ſo kurtzſich- tiger Kerl, alß daß du deine eigene Seele und die wahren Quellen deiner Leidenſchaften kennen ſollteſt. Du redeſt ſchon wieder! Mich duͤnckt, du ant- worteſt mir: deine Beſchuldigung gegen mich ſpricht dich, Lovelace, nicht von der Anklage frey, daß du hochmuͤthig ſeyſt. Du ſagſt die Wahrheit. Jch glaube ſelbſt, daß mir die Natur nicht wenig Einbildung gegeben hat. Allein wenn es meines gleichen verarget wird, daß wir uns etwas einbilden, ſo weiß ich nicht, bey wem man dieſe Schwachheits-Suͤnde entſchuldigen will. Und dennoch finde ich bey mehrerer Uberlegung, daß meines gleichen am wenigſten Urſache habe, ſich et- was einzubilden, und hochmuͤtig zu ſeyn: denn die Welt wird ſie ſelbſt kennen und ehren, weil ihrer ſo wenige in der Welt ſind. Wenn man einen Narren uͤberzeugen kann, daß ein Menſch in der Welt mehr Verſtand hat als er, ſo wird er von ſelbſt glauben, daß dieſer Menſch ein Wunder des Verſtandes ſeyn muͤſſe. Was wird die allgemeine Lehre fuͤr alle Men- ſchen ſeyn, die hieraus folget? nicht wahr, dieſe: daß niemand hochmuͤthig ſeyn ſolle? Wie aber, wenn es uns ohnmoͤglich iſt, nicht hochmuͤthig zu ſeyn? Vielleicht bin ich in ſolchen Umſtaͤnden! Jch bilde mir Dritter Theil. P

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/239
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/239>, abgerufen am 24.04.2024.