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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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sich von einander zu scheiden, so kann ich entweder
meiner Geliebte Gelegenheit zum Verdacht geben,
oder den Land-Mädchen London so angenehm
machen, daß es sich mit meinem Wilhelm einläßt.
Jch kann es noch besser machen, und sie an meines
Onckles Capellan bringen, der sich ein Vergnügen
daraus machen würde, mit dem vermuthlichen Er-
ben seines Patrons wohl zu stehen.

GOtt seegne dein ehrliches Hertz, Lovelace!
(wirst du dencken) du versorgest jederman.

Hier folget einige Nachricht von den frommen Unterredun-
gen, die zwischen ihm und der Clarisse vorgefallen sind. Bey
Erzählung dessen, was von den Mängeln einer allzu schleu-
nigen Besserung geredet war, schreibt er:

Jst das nicht aufrichtig zu Wercke gegangen?
Der Satz, den ich vorbrachte, gründet sich auf die
Erfahrung und auf die Natur der Sache. Es war
eine kleine List dabey: ich suchte zu verhüten, daß
mich das artige Kind nicht bey der ersten Ausschweif-
fung für einen groben Heuchler erklären möchte:
Denn ich habe ihr nicht verhalten, daß mich die
Besserung und der gute Vorsatz nur mit Hitze und
Frost überfällt; ob ich gleich hoffete, daß er durch
ihr Vorbild in eine gesetzte Gemüths-Fassung ver-
ändert werden könnte. Das benimt mir den Muth
am meisten, daß meine Lehrerin gar zu fromm ist.
Jch weiß nicht, wie ich ihr unter die Augen treten
soll. Wenn ich sie mir etwas gleicher machen, wenn
ich sie bewegen könnte, etwas vorzunehmen, dadurch
eine Reue möglich wird; so würden wir auf dem
Wege der Tugend einen Schritt gehen, und ein-
ander besser als bisher verstehen können. Denn

wür-



ſich von einander zu ſcheiden, ſo kann ich entweder
meiner Geliebte Gelegenheit zum Verdacht geben,
oder den Land-Maͤdchen London ſo angenehm
machen, daß es ſich mit meinem Wilhelm einlaͤßt.
Jch kann es noch beſſer machen, und ſie an meines
Onckles Capellan bringen, der ſich ein Vergnuͤgen
daraus machen wuͤrde, mit dem vermuthlichen Er-
ben ſeines Patrons wohl zu ſtehen.

GOtt ſeegne dein ehrliches Hertz, Lovelace!
(wirſt du dencken) du verſorgeſt jederman.

Hier folget einige Nachricht von den frommen Unterredun-
gen, die zwiſchen ihm und der Clariſſe vorgefallen ſind. Bey
Erzaͤhlung deſſen, was von den Maͤngeln einer allzu ſchleu-
nigen Beſſerung geredet war, ſchreibt er:

Jſt das nicht aufrichtig zu Wercke gegangen?
Der Satz, den ich vorbrachte, gruͤndet ſich auf die
Erfahrung und auf die Natur der Sache. Es war
eine kleine Liſt dabey: ich ſuchte zu verhuͤten, daß
mich das artige Kind nicht bey der erſten Ausſchweif-
fung fuͤr einen groben Heuchler erklaͤren moͤchte:
Denn ich habe ihr nicht verhalten, daß mich die
Beſſerung und der gute Vorſatz nur mit Hitze und
Froſt uͤberfaͤllt; ob ich gleich hoffete, daß er durch
ihr Vorbild in eine geſetzte Gemuͤths-Faſſung ver-
aͤndert werden koͤnnte. Das benimt mir den Muth
am meiſten, daß meine Lehrerin gar zu fromm iſt.
Jch weiß nicht, wie ich ihr unter die Augen treten
ſoll. Wenn ich ſie mir etwas gleicher machen, wenn
ich ſie bewegen koͤnnte, etwas vorzunehmen, dadurch
eine Reue moͤglich wird; ſo wuͤrden wir auf dem
Wege der Tugend einen Schritt gehen, und ein-
ander beſſer als bisher verſtehen koͤnnen. Denn

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[235/0249] ſich von einander zu ſcheiden, ſo kann ich entweder meiner Geliebte Gelegenheit zum Verdacht geben, oder den Land-Maͤdchen London ſo angenehm machen, daß es ſich mit meinem Wilhelm einlaͤßt. Jch kann es noch beſſer machen, und ſie an meines Onckles Capellan bringen, der ſich ein Vergnuͤgen daraus machen wuͤrde, mit dem vermuthlichen Er- ben ſeines Patrons wohl zu ſtehen. GOtt ſeegne dein ehrliches Hertz, Lovelace! (wirſt du dencken) du verſorgeſt jederman. Hier folget einige Nachricht von den frommen Unterredun- gen, die zwiſchen ihm und der Clariſſe vorgefallen ſind. Bey Erzaͤhlung deſſen, was von den Maͤngeln einer allzu ſchleu- nigen Beſſerung geredet war, ſchreibt er: Jſt das nicht aufrichtig zu Wercke gegangen? Der Satz, den ich vorbrachte, gruͤndet ſich auf die Erfahrung und auf die Natur der Sache. Es war eine kleine Liſt dabey: ich ſuchte zu verhuͤten, daß mich das artige Kind nicht bey der erſten Ausſchweif- fung fuͤr einen groben Heuchler erklaͤren moͤchte: Denn ich habe ihr nicht verhalten, daß mich die Beſſerung und der gute Vorſatz nur mit Hitze und Froſt uͤberfaͤllt; ob ich gleich hoffete, daß er durch ihr Vorbild in eine geſetzte Gemuͤths-Faſſung ver- aͤndert werden koͤnnte. Das benimt mir den Muth am meiſten, daß meine Lehrerin gar zu fromm iſt. Jch weiß nicht, wie ich ihr unter die Augen treten ſoll. Wenn ich ſie mir etwas gleicher machen, wenn ich ſie bewegen koͤnnte, etwas vorzunehmen, dadurch eine Reue moͤglich wird; ſo wuͤrden wir auf dem Wege der Tugend einen Schritt gehen, und ein- ander beſſer als bisher verſtehen koͤnnen. Denn wuͤr-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/249>, abgerufen am 29.03.2024.