Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



zu lassen, weil er sehr reich gewesen wäre. Er hätte
nie vorgegeben, daß er sie heyrathen wolte. Jhre
Freunde hätten in der That eine Klage deswegen
anfangen wollen, allein sie hätte nicht gewollt: dar-
über wären sie ihr so schlimm begegnet, daß es gros-
sen Theils ihren Todt verursachet hätte. Der klei-
ne Junge wäre ein artig Kind, dessen sich kein Va-
ter schämen dürfte. Seiner Mutter Schwester hätte
das Kind bey sich, und er hätte es ein paar mahl ge-
sehen ohne daß sie etwas davon wüste. Wenn sich
einige Gelegenheit gezeigt hätte, so würde er sich
des Kindes angenommen haben: allein die gantze
Familie hätte den Jungen lieb, ob sie gleich so gott-
los wären und auf den Vater schimpften.

Er sagt dieses wären seine Regeln im Liebhaben:
vor gemeinen Huren hüte er sich, er verheyrathete
seine Liebste an Jemand ehe er sich eine neue anschaf-
fe: wenn ein Mädchen von ihm schwanger würde,
und ihre Freunde wären hart, so liesse er es keine
Noth leyden, und besorgete insonderheit, daß es
ihr im Kind-Bette an nichts mangelte. Vor das
Kind sorge er so wie es dem Stande der Mutter
gemäß wäre; und wenn die Mutter im Kind-
Bette stürbe, so traurete er ordentlich um sie. Er
fragt Joseph auf sein Gewissen, ob er ei-
nen nennen könnte, der rechtschaffener mit den
Mädgens umginge; es sey daher kein Wunder, daß
ihn alle Mädgens lieb hätten.

Sein Hals und sein Kopf sey gantz sicher "Was
"meint ihr Joseph? vor anderthalb Jahren ist
"die Jungfer im Kindbette gestorben, bey ihren

"Leb-



zu laſſen, weil er ſehr reich geweſen waͤre. Er haͤtte
nie vorgegeben, daß er ſie heyrathen wolte. Jhre
Freunde haͤtten in der That eine Klage deswegen
anfangen wollen, allein ſie haͤtte nicht gewollt: dar-
uͤber waͤren ſie ihr ſo ſchlimm begegnet, daß es groſ-
ſen Theils ihren Todt verurſachet haͤtte. Der klei-
ne Junge waͤre ein artig Kind, deſſen ſich kein Va-
ter ſchaͤmen duͤrfte. Seiner Mutter Schweſter haͤtte
das Kind bey ſich, und er haͤtte es ein paar mahl ge-
ſehen ohne daß ſie etwas davon wuͤſte. Wenn ſich
einige Gelegenheit gezeigt haͤtte, ſo wuͤrde er ſich
des Kindes angenommen haben: allein die gantze
Familie haͤtte den Jungen lieb, ob ſie gleich ſo gott-
los waͤren und auf den Vater ſchimpften.

Er ſagt dieſes waͤren ſeine Regeln im Liebhaben:
vor gemeinen Huren huͤte er ſich, er verheyrathete
ſeine Liebſte an Jemand ehe er ſich eine neue anſchaf-
fe: wenn ein Maͤdchen von ihm ſchwanger wuͤrde,
und ihre Freunde waͤren hart, ſo lieſſe er es keine
Noth leyden, und beſorgete inſonderheit, daß es
ihr im Kind-Bette an nichts mangelte. Vor das
Kind ſorge er ſo wie es dem Stande der Mutter
gemaͤß waͤre; und wenn die Mutter im Kind-
Bette ſtuͤrbe, ſo traurete er ordentlich um ſie. Er
fragt Joſeph auf ſein Gewiſſen, ob er ei-
nen nennen koͤnnte, der rechtſchaffener mit den
Maͤdgens umginge; es ſey daher kein Wunder, daß
ihn alle Maͤdgens lieb haͤtten.

Sein Hals und ſein Kopf ſey gantz ſicher „Was
„meint ihr Joſeph? vor anderthalb Jahren iſt
„die Jungfer im Kindbette geſtorben, bey ihren

„Leb-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0374" n="360"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en, weil er &#x017F;ehr reich gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. Er ha&#x0364;tte<lb/>
nie vorgegeben, daß er &#x017F;ie heyrathen wolte. Jhre<lb/>
Freunde ha&#x0364;tten in der That eine Klage deswegen<lb/>
anfangen wollen, allein &#x017F;ie ha&#x0364;tte nicht gewollt: dar-<lb/>
u&#x0364;ber wa&#x0364;ren &#x017F;ie ihr &#x017F;o &#x017F;chlimm begegnet, daß es gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Theils ihren Todt verur&#x017F;achet ha&#x0364;tte. Der klei-<lb/>
ne Junge wa&#x0364;re ein artig Kind, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich kein Va-<lb/>
ter &#x017F;cha&#x0364;men du&#x0364;rfte. Seiner Mutter Schwe&#x017F;ter ha&#x0364;tte<lb/>
das Kind bey &#x017F;ich, und er ha&#x0364;tte es ein paar mahl ge-<lb/>
&#x017F;ehen ohne daß &#x017F;ie etwas davon wu&#x0364;&#x017F;te. Wenn &#x017F;ich<lb/>
einige Gelegenheit gezeigt ha&#x0364;tte, &#x017F;o wu&#x0364;rde er &#x017F;ich<lb/>
des Kindes angenommen haben: allein die gantze<lb/>
Familie ha&#x0364;tte den Jungen lieb, ob &#x017F;ie gleich &#x017F;o gott-<lb/>
los wa&#x0364;ren und auf den Vater &#x017F;chimpften.</p><lb/>
          <p>Er &#x017F;agt die&#x017F;es wa&#x0364;ren &#x017F;eine Regeln im Liebhaben:<lb/>
vor gemeinen Huren hu&#x0364;te er &#x017F;ich, er verheyrathete<lb/>
&#x017F;eine Lieb&#x017F;te an Jemand ehe er &#x017F;ich eine neue an&#x017F;chaf-<lb/>
fe: wenn ein Ma&#x0364;dchen von ihm &#x017F;chwanger wu&#x0364;rde,<lb/>
und ihre Freunde wa&#x0364;ren hart, &#x017F;o lie&#x017F;&#x017F;e er es keine<lb/>
Noth leyden, und be&#x017F;orgete in&#x017F;onderheit, daß es<lb/>
ihr im Kind-Bette an nichts mangelte. Vor das<lb/>
Kind &#x017F;orge er &#x017F;o wie es dem Stande der Mutter<lb/>
gema&#x0364;ß wa&#x0364;re; und wenn die Mutter im Kind-<lb/>
Bette &#x017F;tu&#x0364;rbe, &#x017F;o traurete er ordentlich um &#x017F;ie. Er<lb/>
fragt <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;eph</hi> auf &#x017F;ein Gewi&#x017F;&#x017F;en, ob er ei-<lb/>
nen nennen ko&#x0364;nnte, der recht&#x017F;chaffener mit den<lb/>
Ma&#x0364;dgens umginge; es &#x017F;ey daher kein Wunder, daß<lb/>
ihn alle Ma&#x0364;dgens lieb ha&#x0364;tten.</p><lb/>
          <p>Sein Hals und &#x017F;ein Kopf &#x017F;ey gantz &#x017F;icher &#x201E;Was<lb/>
&#x201E;meint ihr <hi rendition="#fr">Jo&#x017F;eph?</hi> vor anderthalb Jahren i&#x017F;t<lb/>
&#x201E;die Jungfer im Kindbette ge&#x017F;torben, bey ihren<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x201E;Leb-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[360/0374] zu laſſen, weil er ſehr reich geweſen waͤre. Er haͤtte nie vorgegeben, daß er ſie heyrathen wolte. Jhre Freunde haͤtten in der That eine Klage deswegen anfangen wollen, allein ſie haͤtte nicht gewollt: dar- uͤber waͤren ſie ihr ſo ſchlimm begegnet, daß es groſ- ſen Theils ihren Todt verurſachet haͤtte. Der klei- ne Junge waͤre ein artig Kind, deſſen ſich kein Va- ter ſchaͤmen duͤrfte. Seiner Mutter Schweſter haͤtte das Kind bey ſich, und er haͤtte es ein paar mahl ge- ſehen ohne daß ſie etwas davon wuͤſte. Wenn ſich einige Gelegenheit gezeigt haͤtte, ſo wuͤrde er ſich des Kindes angenommen haben: allein die gantze Familie haͤtte den Jungen lieb, ob ſie gleich ſo gott- los waͤren und auf den Vater ſchimpften. Er ſagt dieſes waͤren ſeine Regeln im Liebhaben: vor gemeinen Huren huͤte er ſich, er verheyrathete ſeine Liebſte an Jemand ehe er ſich eine neue anſchaf- fe: wenn ein Maͤdchen von ihm ſchwanger wuͤrde, und ihre Freunde waͤren hart, ſo lieſſe er es keine Noth leyden, und beſorgete inſonderheit, daß es ihr im Kind-Bette an nichts mangelte. Vor das Kind ſorge er ſo wie es dem Stande der Mutter gemaͤß waͤre; und wenn die Mutter im Kind- Bette ſtuͤrbe, ſo traurete er ordentlich um ſie. Er fragt Joſeph auf ſein Gewiſſen, ob er ei- nen nennen koͤnnte, der rechtſchaffener mit den Maͤdgens umginge; es ſey daher kein Wunder, daß ihn alle Maͤdgens lieb haͤtten. Sein Hals und ſein Kopf ſey gantz ſicher „Was „meint ihr Joſeph? vor anderthalb Jahren iſt „die Jungfer im Kindbette geſtorben, bey ihren „Leb-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/374
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/374>, abgerufen am 23.04.2024.