Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



kein Fluch, kein freyes Wort entfähret ihr: sie thut
gantz kleine Schritte: ihr Pferde-Maul muß wieder
jüngferlich werden. Jhre Stimme, die sonst don-
nert, wenn sie wettern will, ist jetzt gantz sanfte und
seufzend. Bey jedem Worte verneiget sie sich etli-
chemahl sehr tief, und kaum läst sie sich überreden,
sich in Gegenwart meiner Göttin niederzusetzen.

Jch bin jetzt eben im Begriff, euren Verhaltungs-
Befehl zu schreiben, den ihr auf den Montag Abend
beobachten müßt. Du bist ein braver Kerl, und du
willst klüger seyn als die andern: gib auf sie Acht,
daß sie mir keine Streiche machen.

Sonnabends spät in der Nacht.

Jch bin voller Verwirrung. Herr Gott (rief
Dorcas) was meynen sie? Sie will morgen in die
Kirche gehn! Jch spielte eben mit dem Frauenzim-
mer Quadrille: ich legte aber gleich die Karten nie-
der. Jn die Kirche? sagte ich: Jn die Kir-
che?
sagten die Mädchens alle und sahen einander
an. Wer hätte von einem solchen Einfall nur träu-
men können? Ohne es mir anzuzeigen! Ohne
sich zu erkundigen! Da sie ihre Kleider noch nicht
hat! Ohne Erlaubniß zu fodern! Vergißt sie,
daß sie meine Frau geworden ist? Bedenckt sie
nicht, daß ich mitgehen muß, wenn sie in die Kirche
will gehn? Will sie mich nicht bitten, daß ich ihr
Gesellschaft leiste? Sie weiß ja nicht anders, als
daß ihr Bruder und Singleton auf sie lauren! An
Kleidern, an Gestalt kann man sie gleich erkennen:
denn ein solches Frauenzimmer ist in gantz Engel-
land nicht mehr anzutreffen. Will sie denn in jede

Kirche



kein Fluch, kein freyes Wort entfaͤhret ihr: ſie thut
gantz kleine Schritte: ihr Pferde-Maul muß wieder
juͤngferlich werden. Jhre Stimme, die ſonſt don-
nert, wenn ſie wettern will, iſt jetzt gantz ſanfte und
ſeufzend. Bey jedem Worte verneiget ſie ſich etli-
chemahl ſehr tief, und kaum laͤſt ſie ſich uͤberreden,
ſich in Gegenwart meiner Goͤttin niederzuſetzen.

Jch bin jetzt eben im Begriff, euren Verhaltungs-
Befehl zu ſchreiben, den ihr auf den Montag Abend
beobachten muͤßt. Du biſt ein braver Kerl, und du
willſt kluͤger ſeyn als die andern: gib auf ſie Acht,
daß ſie mir keine Streiche machen.

Sonnabends ſpaͤt in der Nacht.

Jch bin voller Verwirrung. Herr Gott (rief
Dorcas) was meynen ſie? Sie will morgen in die
Kirche gehn! Jch ſpielte eben mit dem Frauenzim-
mer Quadrille: ich legte aber gleich die Karten nie-
der. Jn die Kirche? ſagte ich: Jn die Kir-
che?
ſagten die Maͤdchens alle und ſahen einander
an. Wer haͤtte von einem ſolchen Einfall nur traͤu-
men koͤnnen? Ohne es mir anzuzeigen! Ohne
ſich zu erkundigen! Da ſie ihre Kleider noch nicht
hat! Ohne Erlaubniß zu fodern! Vergißt ſie,
daß ſie meine Frau geworden iſt? Bedenckt ſie
nicht, daß ich mitgehen muß, wenn ſie in die Kirche
will gehn? Will ſie mich nicht bitten, daß ich ihr
Geſellſchaft leiſte? Sie weiß ja nicht anders, als
daß ihr Bruder und Singleton auf ſie lauren! An
Kleidern, an Geſtalt kann man ſie gleich erkennen:
denn ein ſolches Frauenzimmer iſt in gantz Engel-
land nicht mehr anzutreffen. Will ſie denn in jede

Kirche
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0496" n="482"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
kein Fluch, kein freyes Wort entfa&#x0364;hret ihr: &#x017F;ie thut<lb/>
gantz kleine Schritte: ihr Pferde-Maul muß wieder<lb/>
ju&#x0364;ngferlich werden. Jhre Stimme, die &#x017F;on&#x017F;t don-<lb/>
nert, wenn &#x017F;ie wettern will, i&#x017F;t jetzt gantz &#x017F;anfte und<lb/>
&#x017F;eufzend. Bey jedem Worte verneiget &#x017F;ie &#x017F;ich etli-<lb/>
chemahl &#x017F;ehr tief, und kaum la&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ie &#x017F;ich u&#x0364;berreden,<lb/>
&#x017F;ich in Gegenwart meiner Go&#x0364;ttin niederzu&#x017F;etzen.</p><lb/>
          <p>Jch bin jetzt eben im Begriff, euren Verhaltungs-<lb/>
Befehl zu &#x017F;chreiben, den ihr auf den Montag Abend<lb/>
beobachten mu&#x0364;ßt. Du bi&#x017F;t ein braver Kerl, und du<lb/>
will&#x017F;t klu&#x0364;ger &#x017F;eyn als die andern: gib auf &#x017F;ie Acht,<lb/>
daß &#x017F;ie mir keine Streiche machen.</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Sonnabends &#x017F;pa&#x0364;t in der Nacht.</hi> </p><lb/>
          <p>Jch bin voller Verwirrung. Herr Gott (rief<lb/><hi rendition="#fr">Dorcas</hi>) was meynen &#x017F;ie? Sie will morgen in die<lb/>
Kirche gehn! Jch &#x017F;pielte eben mit dem Frauenzim-<lb/>
mer Quadrille: ich legte aber gleich die Karten nie-<lb/>
der. <hi rendition="#fr">Jn die Kirche?</hi> &#x017F;agte ich: <hi rendition="#fr">Jn die Kir-<lb/>
che?</hi> &#x017F;agten die Ma&#x0364;dchens alle und &#x017F;ahen einander<lb/>
an. Wer ha&#x0364;tte von einem &#x017F;olchen Einfall nur tra&#x0364;u-<lb/>
men ko&#x0364;nnen? Ohne es mir anzuzeigen! Ohne<lb/>
&#x017F;ich zu erkundigen! Da &#x017F;ie ihre Kleider noch nicht<lb/>
hat! Ohne Erlaubniß zu fodern! Vergißt &#x017F;ie,<lb/>
daß &#x017F;ie meine Frau geworden i&#x017F;t? Bedenckt &#x017F;ie<lb/>
nicht, daß ich mitgehen muß, wenn &#x017F;ie in die Kirche<lb/>
will gehn? Will &#x017F;ie mich nicht bitten, daß ich ihr<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft lei&#x017F;te? Sie weiß ja nicht anders, als<lb/>
daß ihr Bruder und <hi rendition="#fr">Singleton</hi> auf &#x017F;ie lauren! An<lb/>
Kleidern, an Ge&#x017F;talt kann man &#x017F;ie gleich erkennen:<lb/>
denn ein &#x017F;olches Frauenzimmer i&#x017F;t in gantz Engel-<lb/>
land nicht mehr anzutreffen. Will &#x017F;ie denn in jede<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Kirche</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[482/0496] kein Fluch, kein freyes Wort entfaͤhret ihr: ſie thut gantz kleine Schritte: ihr Pferde-Maul muß wieder juͤngferlich werden. Jhre Stimme, die ſonſt don- nert, wenn ſie wettern will, iſt jetzt gantz ſanfte und ſeufzend. Bey jedem Worte verneiget ſie ſich etli- chemahl ſehr tief, und kaum laͤſt ſie ſich uͤberreden, ſich in Gegenwart meiner Goͤttin niederzuſetzen. Jch bin jetzt eben im Begriff, euren Verhaltungs- Befehl zu ſchreiben, den ihr auf den Montag Abend beobachten muͤßt. Du biſt ein braver Kerl, und du willſt kluͤger ſeyn als die andern: gib auf ſie Acht, daß ſie mir keine Streiche machen. Sonnabends ſpaͤt in der Nacht. Jch bin voller Verwirrung. Herr Gott (rief Dorcas) was meynen ſie? Sie will morgen in die Kirche gehn! Jch ſpielte eben mit dem Frauenzim- mer Quadrille: ich legte aber gleich die Karten nie- der. Jn die Kirche? ſagte ich: Jn die Kir- che? ſagten die Maͤdchens alle und ſahen einander an. Wer haͤtte von einem ſolchen Einfall nur traͤu- men koͤnnen? Ohne es mir anzuzeigen! Ohne ſich zu erkundigen! Da ſie ihre Kleider noch nicht hat! Ohne Erlaubniß zu fodern! Vergißt ſie, daß ſie meine Frau geworden iſt? Bedenckt ſie nicht, daß ich mitgehen muß, wenn ſie in die Kirche will gehn? Will ſie mich nicht bitten, daß ich ihr Geſellſchaft leiſte? Sie weiß ja nicht anders, als daß ihr Bruder und Singleton auf ſie lauren! An Kleidern, an Geſtalt kann man ſie gleich erkennen: denn ein ſolches Frauenzimmer iſt in gantz Engel- land nicht mehr anzutreffen. Will ſie denn in jede Kirche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/496
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/496>, abgerufen am 19.04.2024.