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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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Frau Howe sehr ungehalten seyn, wenn mein Kind
nicht noch grausamer gegen die Jungfer Parting-
ton
gewesen wäre. Denn da die Fräulein für sich
so besorgt war, so hätte sie ja bedencken sollen, daß
die Dorcas auch eine gefährliche Gesellschaft zu die-
sem unschuldigen und unvorsichtigen Kinde in das
Bette bringen könnte. Das Verbot der Frau
Howe ist mir gar nicht unangenehm, es mag nun
von den Harlowes oder von ihr selbst herkommen:
denn ich glaube gewiß, daß sie nicht so sorgfältig oder
so argwöhnisch würde gewesen seyn, wenn die Fräu-
lein Howe sie nicht mit Verdacht erfüllet hätte. Wer
kann auch alle mögliche Folgen dieses verbotenen
Briefwechsels zum voraus wissen, da einige Perso-
nen in unserem Spiel so sehr versteckt sind? Es ist
mir deswegen dieses Verbot gantz lieb: meine Schö-
ne wird nun ihre Sachen mit niemanden überlegen
können: niemand wird sie durch argwöhnische Ver-
muthungen beuntuhigen, und ich werde nicht nöthig
haben, ihre Briefe zu erbrechen, und dadurch eine
neue Sünde und wohl gar ihren Zorn auf mich zu la-
den. Jch bin sonst längstens mit diesem Vorschlage
schwanger gegangen.

Wie arbeitet die Vorsicht für mich! Allein warum
wehrt sich mein Kind so lange? Warum zwinget es
mich zu solchen Mitteln, die meine Unruhe vermeh-
ren und nach einiger Urtheil meine Sünde häuffen?
Doch ich möchte vielmehr fragen: warum will es ge-
gen Gestirn und Schicksal streiten?

Der
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Frau Howe ſehr ungehalten ſeyn, wenn mein Kind
nicht noch grauſamer gegen die Jungfer Parting-
ton
geweſen waͤre. Denn da die Fraͤulein fuͤr ſich
ſo beſorgt war, ſo haͤtte ſie ja bedencken ſollen, daß
die Dorcas auch eine gefaͤhrliche Geſellſchaft zu die-
ſem unſchuldigen und unvorſichtigen Kinde in das
Bette bringen koͤnnte. Das Verbot der Frau
Howe iſt mir gar nicht unangenehm, es mag nun
von den Harlowes oder von ihr ſelbſt herkommen:
denn ich glaube gewiß, daß ſie nicht ſo ſorgfaͤltig oder
ſo argwoͤhniſch wuͤrde geweſen ſeyn, wenn die Fraͤu-
lein Howe ſie nicht mit Verdacht erfuͤllet haͤtte. Wer
kann auch alle moͤgliche Folgen dieſes verbotenen
Briefwechſels zum voraus wiſſen, da einige Perſo-
nen in unſerem Spiel ſo ſehr verſteckt ſind? Es iſt
mir deswegen dieſes Verbot gantz lieb: meine Schoͤ-
ne wird nun ihre Sachen mit niemanden uͤberlegen
koͤnnen: niemand wird ſie durch argwoͤhniſche Ver-
muthungen beuntuhigen, und ich werde nicht noͤthig
haben, ihre Briefe zu erbrechen, und dadurch eine
neue Suͤnde und wohl gar ihren Zorn auf mich zu la-
den. Jch bin ſonſt laͤngſtens mit dieſem Vorſchlage
ſchwanger gegangen.

Wie arbeitet die Vorſicht fuͤr mich! Allein warum
wehrt ſich mein Kind ſo lange? Warum zwinget es
mich zu ſolchen Mitteln, die meine Unruhe vermeh-
ren und nach einiger Urtheil meine Suͤnde haͤuffen?
Doch ich moͤchte vielmehr fragen: warum will es ge-
gen Geſtirn und Schickſal ſtreiten?

Der
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[531/0545] Frau Howe ſehr ungehalten ſeyn, wenn mein Kind nicht noch grauſamer gegen die Jungfer Parting- ton geweſen waͤre. Denn da die Fraͤulein fuͤr ſich ſo beſorgt war, ſo haͤtte ſie ja bedencken ſollen, daß die Dorcas auch eine gefaͤhrliche Geſellſchaft zu die- ſem unſchuldigen und unvorſichtigen Kinde in das Bette bringen koͤnnte. Das Verbot der Frau Howe iſt mir gar nicht unangenehm, es mag nun von den Harlowes oder von ihr ſelbſt herkommen: denn ich glaube gewiß, daß ſie nicht ſo ſorgfaͤltig oder ſo argwoͤhniſch wuͤrde geweſen ſeyn, wenn die Fraͤu- lein Howe ſie nicht mit Verdacht erfuͤllet haͤtte. Wer kann auch alle moͤgliche Folgen dieſes verbotenen Briefwechſels zum voraus wiſſen, da einige Perſo- nen in unſerem Spiel ſo ſehr verſteckt ſind? Es iſt mir deswegen dieſes Verbot gantz lieb: meine Schoͤ- ne wird nun ihre Sachen mit niemanden uͤberlegen koͤnnen: niemand wird ſie durch argwoͤhniſche Ver- muthungen beuntuhigen, und ich werde nicht noͤthig haben, ihre Briefe zu erbrechen, und dadurch eine neue Suͤnde und wohl gar ihren Zorn auf mich zu la- den. Jch bin ſonſt laͤngſtens mit dieſem Vorſchlage ſchwanger gegangen. Wie arbeitet die Vorſicht fuͤr mich! Allein warum wehrt ſich mein Kind ſo lange? Warum zwinget es mich zu ſolchen Mitteln, die meine Unruhe vermeh- ren und nach einiger Urtheil meine Suͤnde haͤuffen? Doch ich moͤchte vielmehr fragen: warum will es ge- gen Geſtirn und Schickſal ſtreiten? Der L l 2

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/545>, abgerufen am 29.03.2024.