Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



es wird danckbar gegen die Manns-Person, die
ihm aus der Schande geholfen hat; der Mann muß
hinwiederum seiner vornehmen Liebsten gefällig seyn,
und der ehemalige Fall derselben wird ihn auf das
künftige vor Hörnern bewahren, wenn die Frau
Verstand und Nachdencken hat. Allein ein armes
Mädchen, (so wie mein Rosen-Knöspchen war) hat
keine solche Erziehung gehabt, daß es sich nach sei-
nem Fall wieder besinnen könnte. Es wird aus allen
Häusern gestossen, die, wie man es nennet, auf
ihre Ehre etwas halten: vielleicht verfolgen es die-
jenigen am heftigsten, die ihre Sachen geheimer trei-
ben konnten: und weil es keine Zuflucht hat, so muß
es sich auf den Kirch-Höfen, in den Bad-Stuben
und auf den Strassen behelfen. Armuth, Hunger
und Kranckheit verfolgen es, und es muß vor der
Zeit sein unglückliches Leben beschliessen.

Werdet ihr mir leugnen, daß es männlicher ist,
sich an einen Löwen, als sich an ein Schaf zu wagen?
Du weißt, daß ich mich immer deswegen für einen
Adler ausgegeben habe, weil ich einen edleren Raub
suche, und mir die Mühe nicht gebe, Zaunkönigen,
Bachsteltzen und Mistfincken nachzustellen.

Das, was mich am meisten schmertzet, ist dieses:
der Sieg, den ich jetzt zu erhalten suche, ist so un-
vergleichlich, daß alle künftigen Siege, darauf ich
mir Hoffnung machen kann, für nichts dagegen zu
rechnen sind. Wenn ich einige Zeit nachher mich
dieses Sieges erinnere, so werde ich eben so verdrieß-
lich darüber seyn, als Don Juan de Austria über sei-
nen lepantischen Sieg war, als er fand, daß alle

Hel-



es wird danckbar gegen die Manns-Perſon, die
ihm aus der Schande geholfen hat; der Mann muß
hinwiederum ſeiner vornehmen Liebſten gefaͤllig ſeyn,
und der ehemalige Fall derſelben wird ihn auf das
kuͤnftige vor Hoͤrnern bewahren, wenn die Frau
Verſtand und Nachdencken hat. Allein ein armes
Maͤdchen, (ſo wie mein Roſen-Knoͤſpchen war) hat
keine ſolche Erziehung gehabt, daß es ſich nach ſei-
nem Fall wieder beſinnen koͤnnte. Es wird aus allen
Haͤuſern geſtoſſen, die, wie man es nennet, auf
ihre Ehre etwas halten: vielleicht verfolgen es die-
jenigen am heftigſten, die ihre Sachen geheimer trei-
ben konnten: und weil es keine Zuflucht hat, ſo muß
es ſich auf den Kirch-Hoͤfen, in den Bad-Stuben
und auf den Straſſen behelfen. Armuth, Hunger
und Kranckheit verfolgen es, und es muß vor der
Zeit ſein ungluͤckliches Leben beſchlieſſen.

Werdet ihr mir leugnen, daß es maͤnnlicher iſt,
ſich an einen Loͤwen, als ſich an ein Schaf zu wagen?
Du weißt, daß ich mich immer deswegen fuͤr einen
Adler ausgegeben habe, weil ich einen edleren Raub
ſuche, und mir die Muͤhe nicht gebe, Zaunkoͤnigen,
Bachſteltzen und Miſtfincken nachzuſtellen.

Das, was mich am meiſten ſchmertzet, iſt dieſes:
der Sieg, den ich jetzt zu erhalten ſuche, iſt ſo un-
vergleichlich, daß alle kuͤnftigen Siege, darauf ich
mir Hoffnung machen kann, fuͤr nichts dagegen zu
rechnen ſind. Wenn ich einige Zeit nachher mich
dieſes Sieges erinnere, ſo werde ich eben ſo verdrieß-
lich daruͤber ſeyn, als Don Juan de Auſtria uͤber ſei-
nen lepantiſchen Sieg war, als er fand, daß alle

Hel-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0558" n="544"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
es wird danckbar gegen die Manns-Per&#x017F;on, die<lb/>
ihm aus der Schande geholfen hat; der Mann muß<lb/>
hinwiederum &#x017F;einer vornehmen Lieb&#x017F;ten gefa&#x0364;llig &#x017F;eyn,<lb/>
und der ehemalige Fall der&#x017F;elben wird ihn auf das<lb/>
ku&#x0364;nftige vor Ho&#x0364;rnern bewahren, wenn die Frau<lb/>
Ver&#x017F;tand und Nachdencken hat. Allein ein armes<lb/>
Ma&#x0364;dchen, (&#x017F;o wie mein Ro&#x017F;en-Kno&#x0364;&#x017F;pchen war) hat<lb/>
keine &#x017F;olche Erziehung gehabt, daß es &#x017F;ich nach &#x017F;ei-<lb/>
nem Fall wieder be&#x017F;innen ko&#x0364;nnte. Es wird aus allen<lb/>
Ha&#x0364;u&#x017F;ern ge&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en, die, wie man es nennet, auf<lb/>
ihre Ehre etwas halten: vielleicht verfolgen es die-<lb/>
jenigen am heftig&#x017F;ten, die ihre Sachen geheimer trei-<lb/>
ben konnten: und weil es keine Zuflucht hat, &#x017F;o muß<lb/>
es &#x017F;ich auf den Kirch-Ho&#x0364;fen, in den Bad-Stuben<lb/>
und auf den Stra&#x017F;&#x017F;en behelfen. Armuth, Hunger<lb/>
und Kranckheit verfolgen es, und es muß vor der<lb/>
Zeit &#x017F;ein unglu&#x0364;ckliches Leben be&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Werdet ihr mir leugnen, daß es ma&#x0364;nnlicher i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ich an einen Lo&#x0364;wen, als &#x017F;ich an ein Schaf zu wagen?<lb/>
Du weißt, daß ich mich immer deswegen fu&#x0364;r einen<lb/>
Adler ausgegeben habe, weil ich einen edleren Raub<lb/>
&#x017F;uche, und mir die Mu&#x0364;he nicht gebe, Zaunko&#x0364;nigen,<lb/>
Bach&#x017F;teltzen und Mi&#x017F;tfincken nachzu&#x017F;tellen.</p><lb/>
          <p>Das, was mich am mei&#x017F;ten &#x017F;chmertzet, i&#x017F;t die&#x017F;es:<lb/>
der Sieg, den ich jetzt zu erhalten &#x017F;uche, i&#x017F;t &#x017F;o un-<lb/>
vergleichlich, daß alle ku&#x0364;nftigen Siege, darauf ich<lb/>
mir Hoffnung machen kann, fu&#x0364;r nichts dagegen zu<lb/>
rechnen &#x017F;ind. Wenn ich einige Zeit nachher mich<lb/>
die&#x017F;es Sieges erinnere, &#x017F;o werde ich eben &#x017F;o verdrieß-<lb/>
lich daru&#x0364;ber &#x017F;eyn, als <hi rendition="#aq">Don Juan de Au&#x017F;tria</hi> u&#x0364;ber &#x017F;ei-<lb/>
nen lepanti&#x017F;chen Sieg war, als er fand, daß alle<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Hel-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[544/0558] es wird danckbar gegen die Manns-Perſon, die ihm aus der Schande geholfen hat; der Mann muß hinwiederum ſeiner vornehmen Liebſten gefaͤllig ſeyn, und der ehemalige Fall derſelben wird ihn auf das kuͤnftige vor Hoͤrnern bewahren, wenn die Frau Verſtand und Nachdencken hat. Allein ein armes Maͤdchen, (ſo wie mein Roſen-Knoͤſpchen war) hat keine ſolche Erziehung gehabt, daß es ſich nach ſei- nem Fall wieder beſinnen koͤnnte. Es wird aus allen Haͤuſern geſtoſſen, die, wie man es nennet, auf ihre Ehre etwas halten: vielleicht verfolgen es die- jenigen am heftigſten, die ihre Sachen geheimer trei- ben konnten: und weil es keine Zuflucht hat, ſo muß es ſich auf den Kirch-Hoͤfen, in den Bad-Stuben und auf den Straſſen behelfen. Armuth, Hunger und Kranckheit verfolgen es, und es muß vor der Zeit ſein ungluͤckliches Leben beſchlieſſen. Werdet ihr mir leugnen, daß es maͤnnlicher iſt, ſich an einen Loͤwen, als ſich an ein Schaf zu wagen? Du weißt, daß ich mich immer deswegen fuͤr einen Adler ausgegeben habe, weil ich einen edleren Raub ſuche, und mir die Muͤhe nicht gebe, Zaunkoͤnigen, Bachſteltzen und Miſtfincken nachzuſtellen. Das, was mich am meiſten ſchmertzet, iſt dieſes: der Sieg, den ich jetzt zu erhalten ſuche, iſt ſo un- vergleichlich, daß alle kuͤnftigen Siege, darauf ich mir Hoffnung machen kann, fuͤr nichts dagegen zu rechnen ſind. Wenn ich einige Zeit nachher mich dieſes Sieges erinnere, ſo werde ich eben ſo verdrieß- lich daruͤber ſeyn, als Don Juan de Auſtria uͤber ſei- nen lepantiſchen Sieg war, als er fand, daß alle Hel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/558
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/558>, abgerufen am 19.04.2024.