Jch lies mich entschuldigen. Herr Lovelace, an dessen Zorn mir nun so viel gelegen ist, schien un- gehalten zu werden.
Weil er so wohl, als ich, erwartete, daß ich heu- te ein Schreiben von Jhnen erhalten würde, so glau- be ich, daß er nicht lange ausbleiben wird. Viel- leicht ist er bey seiner Zurückkunft sehr vornehm, sehr männlich, sehr spröde: und ich werde eben so de- müthig und unterthänig seyn und versuchen müssen, ob er sich durch meine Seufzer erweichen läßt. Jch werde, wo nicht mit Worten doch mit niedergeschla- genen Augen ihn um Vergebung wegen meiner bis- herigen Aufführung bitten müssen. Gewiß, so weit wird es noch kommen. Jch will sehen, wie mich diese Demuth kleidet. Sie haben mir immer mei- ne Sanftmuth vorgeworffen. Jch will sehen, ob ich noch sanftmüthiger werden kann. O mein Schatz - - -
Jch will mich jetzt hinsetzen, die Hände Creutz- weise vor mich legen, und mich bemühen die Ver- leugnung selbst zu seyn: denn mich dünckt, daß ich ihn kommen höre. Oder soll ich ihn lieber gerade zu auf die Art anreden, die Sie mir vorgeschrieben haben?
Er ist nach Hause gekommen, und verlanget recht mit Ungeduld (wie Dorcas sagt) mich zu sprechen. Jch kann ihn jetzt ohnmöglich sprechen.
Montags Abends.
Der Jnnhalt Jhres Briefes und meine eigenen schwermüthigen Gedancken, machten mir es ohn- möglich, den Lovelace zu sprechen, so sehr er auch
dar-
Jch lies mich entſchuldigen. Herr Lovelace, an deſſen Zorn mir nun ſo viel gelegen iſt, ſchien un- gehalten zu werden.
Weil er ſo wohl, als ich, erwartete, daß ich heu- te ein Schreiben von Jhnen erhalten wuͤrde, ſo glau- be ich, daß er nicht lange ausbleiben wird. Viel- leicht iſt er bey ſeiner Zuruͤckkunft ſehr vornehm, ſehr maͤnnlich, ſehr ſproͤde: und ich werde eben ſo de- muͤthig und unterthaͤnig ſeyn und verſuchen muͤſſen, ob er ſich durch meine Seufzer erweichen laͤßt. Jch werde, wo nicht mit Worten doch mit niedergeſchla- genen Augen ihn um Vergebung wegen meiner bis- herigen Auffuͤhrung bitten muͤſſen. Gewiß, ſo weit wird es noch kommen. Jch will ſehen, wie mich dieſe Demuth kleidet. Sie haben mir immer mei- ne Sanftmuth vorgeworffen. Jch will ſehen, ob ich noch ſanftmuͤthiger werden kann. O mein Schatz ‒ ‒ ‒
Jch will mich jetzt hinſetzen, die Haͤnde Creutz- weiſe vor mich legen, und mich bemuͤhen die Ver- leugnung ſelbſt zu ſeyn: denn mich duͤnckt, daß ich ihn kommen hoͤre. Oder ſoll ich ihn lieber gerade zu auf die Art anreden, die Sie mir vorgeſchrieben haben?
Er iſt nach Hauſe gekommen, und verlanget recht mit Ungeduld (wie Dorcas ſagt) mich zu ſprechen. Jch kann ihn jetzt ohnmoͤglich ſprechen.
Montags Abends.
Der Jnnhalt Jhres Briefes und meine eigenen ſchwermuͤthigen Gedancken, machten mir es ohn- moͤglich, den Lovelace zu ſprechen, ſo ſehr er auch
dar-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0076"n="70"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jch lies mich entſchuldigen. Herr <hirendition="#fr">Lovelace,</hi><lb/>
an deſſen Zorn mir nun ſo viel gelegen iſt, ſchien un-<lb/>
gehalten zu werden.</p><lb/><p>Weil er ſo wohl, als ich, erwartete, daß ich heu-<lb/>
te ein Schreiben von Jhnen erhalten wuͤrde, ſo glau-<lb/>
be ich, daß er nicht lange ausbleiben wird. Viel-<lb/>
leicht iſt er bey ſeiner Zuruͤckkunft ſehr vornehm, ſehr<lb/>
maͤnnlich, ſehr ſproͤde: und ich werde eben ſo de-<lb/>
muͤthig und unterthaͤnig ſeyn und verſuchen muͤſſen,<lb/>
ob er ſich durch meine Seufzer erweichen laͤßt. Jch<lb/>
werde, wo nicht mit Worten doch mit niedergeſchla-<lb/>
genen Augen ihn um Vergebung wegen meiner bis-<lb/>
herigen Auffuͤhrung bitten muͤſſen. Gewiß, ſo weit<lb/>
wird es noch kommen. Jch will ſehen, wie mich<lb/>
dieſe Demuth kleidet. Sie haben mir immer mei-<lb/>
ne Sanftmuth vorgeworffen. Jch will ſehen, ob<lb/>
ich noch ſanftmuͤthiger werden kann. O mein<lb/>
Schatz ‒‒‒</p><lb/><p>Jch will mich jetzt hinſetzen, die Haͤnde Creutz-<lb/>
weiſe vor mich legen, und mich bemuͤhen die Ver-<lb/>
leugnung ſelbſt zu ſeyn: denn mich duͤnckt, daß ich<lb/>
ihn kommen hoͤre. Oder ſoll ich ihn lieber gerade<lb/>
zu auf die Art anreden, die Sie mir vorgeſchrieben<lb/>
haben?</p><lb/><p>Er iſt nach Hauſe gekommen, und verlanget recht<lb/>
mit Ungeduld (wie <hirendition="#fr">Dorcas</hi>ſagt) mich zu ſprechen.<lb/>
Jch kann ihn jetzt ohnmoͤglich ſprechen.</p><lb/><p><hirendition="#et">Montags Abends.</hi></p><lb/><p>Der Jnnhalt Jhres Briefes und meine eigenen<lb/>ſchwermuͤthigen Gedancken, machten mir es ohn-<lb/>
moͤglich, den <hirendition="#fr">Lovelace</hi> zu ſprechen, ſo ſehr er auch<lb/><fwplace="bottom"type="catch">dar-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[70/0076]
Jch lies mich entſchuldigen. Herr Lovelace,
an deſſen Zorn mir nun ſo viel gelegen iſt, ſchien un-
gehalten zu werden.
Weil er ſo wohl, als ich, erwartete, daß ich heu-
te ein Schreiben von Jhnen erhalten wuͤrde, ſo glau-
be ich, daß er nicht lange ausbleiben wird. Viel-
leicht iſt er bey ſeiner Zuruͤckkunft ſehr vornehm, ſehr
maͤnnlich, ſehr ſproͤde: und ich werde eben ſo de-
muͤthig und unterthaͤnig ſeyn und verſuchen muͤſſen,
ob er ſich durch meine Seufzer erweichen laͤßt. Jch
werde, wo nicht mit Worten doch mit niedergeſchla-
genen Augen ihn um Vergebung wegen meiner bis-
herigen Auffuͤhrung bitten muͤſſen. Gewiß, ſo weit
wird es noch kommen. Jch will ſehen, wie mich
dieſe Demuth kleidet. Sie haben mir immer mei-
ne Sanftmuth vorgeworffen. Jch will ſehen, ob
ich noch ſanftmuͤthiger werden kann. O mein
Schatz ‒ ‒ ‒
Jch will mich jetzt hinſetzen, die Haͤnde Creutz-
weiſe vor mich legen, und mich bemuͤhen die Ver-
leugnung ſelbſt zu ſeyn: denn mich duͤnckt, daß ich
ihn kommen hoͤre. Oder ſoll ich ihn lieber gerade
zu auf die Art anreden, die Sie mir vorgeſchrieben
haben?
Er iſt nach Hauſe gekommen, und verlanget recht
mit Ungeduld (wie Dorcas ſagt) mich zu ſprechen.
Jch kann ihn jetzt ohnmoͤglich ſprechen.
Montags Abends.
Der Jnnhalt Jhres Briefes und meine eigenen
ſchwermuͤthigen Gedancken, machten mir es ohn-
moͤglich, den Lovelace zu ſprechen, ſo ſehr er auch
dar-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/76>, abgerufen am 02.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.