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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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10. Das hellenistische und römische Pflanzenrankenornament.

Mit Rücksicht auf den Umstand, dass wir den Fortentwicklungs-
process des flachen Palmettenrankenornaments in hellenistischer Zeit
hauptsächlich bloss an der Hand unteritalischer Vasen zu verfolgen im
Stande sind, ist es bedeutsam zu erwähnen, dass die Lekythos, von
welcher Fig. 127 entlehnt ist, aus Athen stammt, worauf mich Dr. Masner
aufmerksam macht: bedeutsam deshalb, weil sich hieraus ergiebt, dass
die erwähnten Besonderheiten nicht einen blossen unteritalischen Provin-
cialismus repräsentiren, sondern als weitreichende, weil offenbar organi-
sche Fortentwicklung angesehen werden müssen.

Das flache Palmettenornament ist auch während der römischen
Kaiserzeit stets in Anwendung gekommen, wenngleich nur in beschei-
denem Maasse. Namentlich im römischen Westen dagegen hat das

[Abbildung] Fig. 128.

Gemaltes griechisches Rankenornament.

plastischperspektivische Palmettenornament des sogen. Akanthus allmälig
das entschiedene Uebergewicht erlangt. Aber selbst hier finden wir
vereinzelt noch in der spätesten Zeit (Spalato) gesprengte Palmetten von
flacher Stilisirung an einer und derselben Ranke alternirend mit akan-
thisirenden Palmetten. Auch die spiralige Wellenranke ohne alle vege-
tabilischen Ansätze und Zwickelfüllungen, völlig im nackten Schema
des mykenischen Beispiels Fig. 50, ist bis in die späteste Zeit des
Römerweltreichs im Gebrauch geblieben56). Ja im Osten des Mittel-
meeres scheinen die flachen Typen aus der Zeit der ausgehenden
attischen Kunsthegemonie, zu welcher Zeit sich eben die künstlerische
Eroberung des Orients vollzogen hatte, in konservativer Weise stets
bewahrt und mit Vorliebe gebraucht worden zu sein, zum bezeichnenden

56) So tritt uns anscheinend die Wellenranke auf dem schönen hellenisti-
schen Diadem aus Abydos (Fig. 123) entgegen, doch zeigen die kurzen Seiten-
schösslinge an der ersten Windung rechts und links von der Mitte akanthi-
sirende Stilisirung. Es liegt somit eine Akanthusranke vor, an der nur die
buschigen Blätter zu Gunsten der in die Windungen hineingesetzten musi-
cirenden Figuren unterdrückt sind.
10. Das hellenistische und römische Pflanzenrankenornament.

Mit Rücksicht auf den Umstand, dass wir den Fortentwicklungs-
process des flachen Palmettenrankenornaments in hellenistischer Zeit
hauptsächlich bloss an der Hand unteritalischer Vasen zu verfolgen im
Stande sind, ist es bedeutsam zu erwähnen, dass die Lekythos, von
welcher Fig. 127 entlehnt ist, aus Athen stammt, worauf mich Dr. Masner
aufmerksam macht: bedeutsam deshalb, weil sich hieraus ergiebt, dass
die erwähnten Besonderheiten nicht einen blossen unteritalischen Provin-
cialismus repräsentiren, sondern als weitreichende, weil offenbar organi-
sche Fortentwicklung angesehen werden müssen.

Das flache Palmettenornament ist auch während der römischen
Kaiserzeit stets in Anwendung gekommen, wenngleich nur in beschei-
denem Maasse. Namentlich im römischen Westen dagegen hat das

[Abbildung] Fig. 128.

Gemaltes griechisches Rankenornament.

plastischperspektivische Palmettenornament des sogen. Akanthus allmälig
das entschiedene Uebergewicht erlangt. Aber selbst hier finden wir
vereinzelt noch in der spätesten Zeit (Spalato) gesprengte Palmetten von
flacher Stilisirung an einer und derselben Ranke alternirend mit akan-
thisirenden Palmetten. Auch die spiralige Wellenranke ohne alle vege-
tabilischen Ansätze und Zwickelfüllungen, völlig im nackten Schema
des mykenischen Beispiels Fig. 50, ist bis in die späteste Zeit des
Römerweltreichs im Gebrauch geblieben56). Ja im Osten des Mittel-
meeres scheinen die flachen Typen aus der Zeit der ausgehenden
attischen Kunsthegemonie, zu welcher Zeit sich eben die künstlerische
Eroberung des Orients vollzogen hatte, in konservativer Weise stets
bewahrt und mit Vorliebe gebraucht worden zu sein, zum bezeichnenden

56) So tritt uns anscheinend die Wellenranke auf dem schönen hellenisti-
schen Diadem aus Abydos (Fig. 123) entgegen, doch zeigen die kurzen Seiten-
schösslinge an der ersten Windung rechts und links von der Mitte akanthi-
sirende Stilisirung. Es liegt somit eine Akanthusranke vor, an der nur die
buschigen Blätter zu Gunsten der in die Windungen hineingesetzten musi-
cirenden Figuren unterdrückt sind.
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[247/0273] 10. Das hellenistische und römische Pflanzenrankenornament. Mit Rücksicht auf den Umstand, dass wir den Fortentwicklungs- process des flachen Palmettenrankenornaments in hellenistischer Zeit hauptsächlich bloss an der Hand unteritalischer Vasen zu verfolgen im Stande sind, ist es bedeutsam zu erwähnen, dass die Lekythos, von welcher Fig. 127 entlehnt ist, aus Athen stammt, worauf mich Dr. Masner aufmerksam macht: bedeutsam deshalb, weil sich hieraus ergiebt, dass die erwähnten Besonderheiten nicht einen blossen unteritalischen Provin- cialismus repräsentiren, sondern als weitreichende, weil offenbar organi- sche Fortentwicklung angesehen werden müssen. Das flache Palmettenornament ist auch während der römischen Kaiserzeit stets in Anwendung gekommen, wenngleich nur in beschei- denem Maasse. Namentlich im römischen Westen dagegen hat das [Abbildung Fig. 128. Gemaltes griechisches Rankenornament.] plastischperspektivische Palmettenornament des sogen. Akanthus allmälig das entschiedene Uebergewicht erlangt. Aber selbst hier finden wir vereinzelt noch in der spätesten Zeit (Spalato) gesprengte Palmetten von flacher Stilisirung an einer und derselben Ranke alternirend mit akan- thisirenden Palmetten. Auch die spiralige Wellenranke ohne alle vege- tabilischen Ansätze und Zwickelfüllungen, völlig im nackten Schema des mykenischen Beispiels Fig. 50, ist bis in die späteste Zeit des Römerweltreichs im Gebrauch geblieben 56). Ja im Osten des Mittel- meeres scheinen die flachen Typen aus der Zeit der ausgehenden attischen Kunsthegemonie, zu welcher Zeit sich eben die künstlerische Eroberung des Orients vollzogen hatte, in konservativer Weise stets bewahrt und mit Vorliebe gebraucht worden zu sein, zum bezeichnenden 56) So tritt uns anscheinend die Wellenranke auf dem schönen hellenisti- schen Diadem aus Abydos (Fig. 123) entgegen, doch zeigen die kurzen Seiten- schösslinge an der ersten Windung rechts und links von der Mitte akanthi- sirende Stilisirung. Es liegt somit eine Akanthusranke vor, an der nur die buschigen Blätter zu Gunsten der in die Windungen hineingesetzten musi- cirenden Figuren unterdrückt sind.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/273>, abgerufen am 28.03.2024.