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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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10. Das hellenistische und römische Pflanzenrankenornament.
talen Schaffensgeistes der Griechen gewesen ist, und dass man trotzdem
an der Vorbildlichkeit der Akanthuspflanze keine Zweifel hat auf-
kommen lassen wollen.

Ist aber der Akanthus gemäss unseren Ausführungen auf S. 218 ff.
nichts anderes als die Palmette in plastisch-perspektivischer Projektion,
so werden wir ihn sofort auch im Rankenornament an die Stelle der flach
projicirten Palmette treten sehen müssen. Vor Allem kommt hier die
fortlaufende Wellenranke in Betracht, deren Schema es ja schon mit
sich bringt, dass von der Hauptranke fortwährend Seitenschösslinge ab-
zweigen und dadurch spitzwinklige Zwickel entstehen, deren Ausfüllung
durch Halbpalmetten-Fächer der griechische Kunstsinn gebieterisch

[Abbildung] Fig. 129.

Von einer getriebenen Goldplatte in der Eremitage.

forderte. In zweiter Linie werden wir das Auftreten des Akanthus in
der intermittirenden Wellenranke in Untersuchung zu ziehen haben.

Frühzeitig erfolgte die Uebertragung des Akanthus auf die
fortlaufende Wellenranke
auf plastisch verzierten Kunstwerken.
Fig. 129 giebt ein Bordürenfragment von einer in Gold getriebenen
Arbeit des 4. Jahrhunderts, die Stephani im Compte rendu 1864 Taf. IV
publicirt hat. Von den zwei Streifen, in welche die Bordüre zerfällt,
interessirt uns hier zunächst der obere57). Derselbe enthält eine fort-
laufende Wellenranke, deren spiralig eingerollte Seitenschösslinge in
je eine naturalisirende Blüthe auslaufen. Jede Rankengabelung, d. i. der
Punkt, an welchem ein Seitenschössling abzweigt, ist mit einer Hülse

57) Auf den unteren Streifen werden wir bei Besprechung der inter-
mittirenden Akanthusranke zurückkommen.

10. Das hellenistische und römische Pflanzenrankenornament.
talen Schaffensgeistes der Griechen gewesen ist, und dass man trotzdem
an der Vorbildlichkeit der Akanthuspflanze keine Zweifel hat auf-
kommen lassen wollen.

Ist aber der Akanthus gemäss unseren Ausführungen auf S. 218 ff.
nichts anderes als die Palmette in plastisch-perspektivischer Projektion,
so werden wir ihn sofort auch im Rankenornament an die Stelle der flach
projicirten Palmette treten sehen müssen. Vor Allem kommt hier die
fortlaufende Wellenranke in Betracht, deren Schema es ja schon mit
sich bringt, dass von der Hauptranke fortwährend Seitenschösslinge ab-
zweigen und dadurch spitzwinklige Zwickel entstehen, deren Ausfüllung
durch Halbpalmetten-Fächer der griechische Kunstsinn gebieterisch

[Abbildung] Fig. 129.

Von einer getriebenen Goldplatte in der Eremitage.

forderte. In zweiter Linie werden wir das Auftreten des Akanthus in
der intermittirenden Wellenranke in Untersuchung zu ziehen haben.

Frühzeitig erfolgte die Uebertragung des Akanthus auf die
fortlaufende Wellenranke
auf plastisch verzierten Kunstwerken.
Fig. 129 giebt ein Bordürenfragment von einer in Gold getriebenen
Arbeit des 4. Jahrhunderts, die Stephani im Compte rendu 1864 Taf. IV
publicirt hat. Von den zwei Streifen, in welche die Bordüre zerfällt,
interessirt uns hier zunächst der obere57). Derselbe enthält eine fort-
laufende Wellenranke, deren spiralig eingerollte Seitenschösslinge in
je eine naturalisirende Blüthe auslaufen. Jede Rankengabelung, d. i. der
Punkt, an welchem ein Seitenschössling abzweigt, ist mit einer Hülse

57) Auf den unteren Streifen werden wir bei Besprechung der inter-
mittirenden Akanthusranke zurückkommen.
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[249/0275] 10. Das hellenistische und römische Pflanzenrankenornament. talen Schaffensgeistes der Griechen gewesen ist, und dass man trotzdem an der Vorbildlichkeit der Akanthuspflanze keine Zweifel hat auf- kommen lassen wollen. Ist aber der Akanthus gemäss unseren Ausführungen auf S. 218 ff. nichts anderes als die Palmette in plastisch-perspektivischer Projektion, so werden wir ihn sofort auch im Rankenornament an die Stelle der flach projicirten Palmette treten sehen müssen. Vor Allem kommt hier die fortlaufende Wellenranke in Betracht, deren Schema es ja schon mit sich bringt, dass von der Hauptranke fortwährend Seitenschösslinge ab- zweigen und dadurch spitzwinklige Zwickel entstehen, deren Ausfüllung durch Halbpalmetten-Fächer der griechische Kunstsinn gebieterisch [Abbildung Fig. 129. Von einer getriebenen Goldplatte in der Eremitage.] forderte. In zweiter Linie werden wir das Auftreten des Akanthus in der intermittirenden Wellenranke in Untersuchung zu ziehen haben. Frühzeitig erfolgte die Uebertragung des Akanthus auf die fortlaufende Wellenranke auf plastisch verzierten Kunstwerken. Fig. 129 giebt ein Bordürenfragment von einer in Gold getriebenen Arbeit des 4. Jahrhunderts, die Stephani im Compte rendu 1864 Taf. IV publicirt hat. Von den zwei Streifen, in welche die Bordüre zerfällt, interessirt uns hier zunächst der obere 57). Derselbe enthält eine fort- laufende Wellenranke, deren spiralig eingerollte Seitenschösslinge in je eine naturalisirende Blüthe auslaufen. Jede Rankengabelung, d. i. der Punkt, an welchem ein Seitenschössling abzweigt, ist mit einer Hülse 57) Auf den unteren Streifen werden wir bei Besprechung der inter- mittirenden Akanthusranke zurückkommen.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/275>, abgerufen am 28.03.2024.